Erfahrungen und Perspektiven von Erwerbsmigranten

Am 25. November 2025 lud iMOVE mit der Universität Bremen und dem Projekt SKILLS4JUSTICE zum Online-Seminar ein, um sich mit den Erfahrungen und Perspektiven von Erwerbsmigrantinnen und Erwerbsmigranten auseinanderzusetzen. Informieren Sie sich hier über die ersten spannenden Erkenntnisse der Forschungsarbeit von SKILLS4JUSTICE!

Zange und Schraubenzieher liegen auf einem Blatt Papier mit Tabellen

Das Webinar zu den Erfahrungen und Perspektiven von Erwerbsmigrantinnen und Erwerbsmigranten war der zweite Teil einer vierteiligen iMOVE-Veranstaltungsreihe in Kooperation mit der Universität Bremen und dem Projekt SKILLS4JUSTICE. Teil 3 und 4 sind für 2026 geplant.

Angesprochen zur Teilnahme am Webinar waren Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Akteurinnen und Akteure der (Berufs-)Bildungswirtschaft sowie alle Interessierten, die sich vertieft mit diesem Thema auseinandersetzen möchten.

Fachkräfte und ihr Weg nach Deutschland

Migrantinnen und Migranten machen auf ihrem Weg nach Deutschland Erfahrungen, die für die Bevölkerung vor Ort nicht unbedingt sichtbar werden. Die Debatte um Fachkräftemigration nimmt überwiegend die Gestaltung formaler Prozesse in den Blick, wogegen die langfristige Bindung insbesondere von im Ausland gewonnenen (zukünftigen) Fachkräften weniger beleuchtet wird.

Deutschland blickt auf eine jahrzehntelange Erfahrung mit der Fachkräftemigration zurück. Diese wurde immer wieder von Flüchtlingsbewegungen berührt, wobei die wissenschaftliche Aufbereitung sich vor allem auf die Rolle von Strukturen und Institutionen beschränkte.

Darüber hinaus ist die öffentliche, insbesondere die politische Diskussion vor allem an den Herausforderungen von Integration und Negativbeispielen in diesem Zusammenhang ausgerichtet. Erfolgsgeschichten und gute Erfahrungen erhalten deutlich weniger Aufmerksamkeit, was für den öffentlichen Diskurs nicht folgenlos bleibt.

Forschungsprojekt SKILLS4JUSTICE

Die Referentinnen Dr. Kristina Kühn und Frieda Klaus vom Institut für Technik und Bildung (ITB) der Universität Bremen stellten zu Beginn des Online-Seminars das HORIZON Europe geförderte Forschungsprojekt SKILLS4JUSTICE vor. Dieses hat zum Ziel, evidenzbasiertes Wissen zum Aufbau gerechter und nachhaltiger Migrationswege durch länderübergreifende Skills Partnerschaften bereitzustellen.

Herkunftsländer sind Äthiopien, Ukraine, Nordmazedonien und Türkei, Zielländer sind Italien, Frankreich, Litauen, Norwegen, Großbritannien, Polen und Deutschland. Das im Rahmen des Projekts zu entwickelnde Toolkit soll dazu dienen, voneinander zu lernen und Bedingungen zur Entwicklung von Skills Partnerschaften bewerten zu können. Mehr Input zu diesem Toolkit gibt es im vierten Teil der Seminarreihe mit dem Titel "Entwurf eines Toolkits für Skills Partnerships".

In Breakoutsessions diskutierten die Teilnehmenden, welche Erfahrungen sie selbst mit Migrantinnen und Migranten machen konnten. Die Wahrnehmung des öffentlichen Diskurses war allgemein, dass eher über als mit Migrantinnen und Migranten gesprochen würde.

Forschungsarbeit im direkten Austausch mit Migranten

Die vorgestellte Forschungsarbeit möchte Migrantinnen und Migranten als elementaren Teil der Migrationsdebatte einbeziehen und adressierte daher die Betroffenen direkt.

Insgesamt wurden 130 Personen im Rahmen des Projekts befragt, wovon etwas über 100 Personen an einer schriftlichen Befragung teilnahmen und weitere 24 Personen im persönlichen Gespräch zu ihrer individuellen Migrationsgeschichte befragt wurden.

Der Anteil an Geflüchteten betrug in der zweiten Gruppe knapp die Hälfte. Sowohl die anfängliche Diskussion sogenannter Personas (echte oder konstruierte Fälle) als auch die Darstellung der Ergebnisse erfolgte nach den Clustern (1) Fluchtmigration, (2) Bildungsmigration (Menschen, die nach Deutschland kommen, um eine Ausbildung oder ein Studium zu beginnen) und Erwerbsmigration (Menschen, die nach Deutschland kommen, um hier Arbeit aufzunehmen) sowie (3) die sogenannte "Zufallsmigration" (Menschen sind in Deutschland angekommen, ohne dies gezielt geplant zu haben, zum Beispiel als Au-pair oder Interrail-reisende Person gekommen und dann geblieben).

Die Teilnehmenden berichteten im Rahmen einer Gruppendiskussion auch von ihren eigenen Erfahrungen zum Beispiel im Rahmen der Zufallsmigration, dass sie während ihres Aufenthalts eine Partnerin oder einen Partner gefunden haben, die sie zum Bleiben veranlasst haben.

Erkenntnisse aus Gruppendiskussionen der Befragten

Ergebnisse aus den Gruppendiskussionen war unter anderem die Feststellung, dass für eine gelungene Integration in Deutschland der Spracherwerb entscheidend, aber gleichzeitig herausfordernd ist.

Bezüglich der Anerkennung von im Herkunftsland erworbenen Qualifikationen diskutierte die Gruppe, dass Geflüchtete den Prozess oft nicht kennen, Erwerbsmigrantinnen und Erwerbsmigranten sich dagegen gut vorbereitet darauf einstellen können.

Die unterschiedlichen Verfahren zur Erteilung von Arbeitserlaubnissen waren ebenfalls Gegenstand der Diskussion ebenso wie die Frage der Motivation, mit der jemand sein Herkunftsland verlässt, um nach Deutschland zu kommen.

Eine kritische Anmerkung zur lückenhaften Debatte bezog sich darauf, dass das Thema "Abschied nehmen vom Herkunftsland" kaum Raum erhält.

Zange und Schraubenzieher liegen auf einem Block mit Tabellen

Screenshot mit Sprecherinnen und Sprecher

Bildungsmigration und Erwerbsmigration

Die Forscherinnen stellten ihre Ergebnisse in Anlehnung an Prozessschritte dar, die Integration oder Nicht-Integration zur Folge haben können. Leitfrage war, an welchen Stellen im Prozess welche Stärken von Migrantinnen und Migranten adressiert werden können oder müssen, um erfolgreiche Integration, Selbstwirksamkeits- und Sicherheitserleben herzustellen.

Bei der Bildungs- und Erwerbsmigration ging es um das Ankommen und was gebraucht wird, damit diese Phase ein positives Erlebnis wird. Dafür ist realistisches Erwartungsmanagement im Herkunftsland notwendig, damit man Enttäuschungen vermeiden, mindestens aber verringern kann. Dabei benannten die Befragten die Prozessbegleitung als essenziell, aber es ist nicht klar, in wessen Verantwortungsbereich ein solches Angebot fällt.

Ausgewählte Ergebnisse der Forschungsarbeit

Im Anschluss an die Gruppendiskussion stellten Dr. Kristina Kühn und Frieda Klaus ausgewählte Ergebnisse der Forschungsarbeit vor.

Im Folgenden eine kurze Auswahl:

Hinsichtlich der Qualifizierungsprofile im Kontext von Erwerbsmigration sind Frauen oft höher qualifiziert als Männer. In Deutschland absolvieren Männer oft eine Berufsausbildung.

Nach 2024 Eingewanderte sagen zu 50 Prozent, dass sie bleiben möchten, Männer sind oft unentschlossener als Frauen. Bildungsmöglichkeiten sind ein wichtiges Motiv für diese Gruppe.

Im Fluchtkontext ist der Bleibewunsch für männliche Betroffene vor allem mit Statusverbesserung verbunden, während Frauen auch gedanklich eher bei der Flucht bleiben.

Familie ist für alle Gruppen ein Impulsgeber und wichtiger Wegbegleiter.

Ein wichtiges Ergebnis der Forschungsarbeit ist, dass die soziale Integration als schwieriger und insgesamt bedeutsamer bewertet wird als die Integration in Bildung und Arbeit. Dies drückt den Wunsch nach Anschluss und Sicherheit aus.

Diaspora kann als wichtiger Faktor betrachtet werden, um sich im Zielland gut zu integrieren. Doch wünschen sich die Migrantinnen und Migranten mehr Unterstützung bereits im Herkunftsland und bei der Ankunft, sowohl beruflich als auch sozial. 30 Prozent der Befragten gaben an, dass es schwierig ist, in Deutschland soziale Kontakte aufzubauen.

Diskriminierungserfahrungen und Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz empfinden die Migrantinnen und Migranten eher nicht. Zwei Ergebnisse sollen allerdings gesondert benannt werden: erstens fällt es Migrantinnen und Migranten schwer, Ungerechtigkeiten oder Unzufriedenheiten gegenüber ihrem Arbeitgeber anzusprechen. Der zweite Aspekt betrifft die Personen mit Diskriminierungserfahrung.

Wenn jemand diskriminiert wird, dann findet diese Diskriminierung in hohem Maße und intersektional, also bezogen auf mehrere Dimensionen von Diskriminierung, statt und die Betroffenen fühlen sich in Deutschland dann nicht sicher. Insofern bedarf es weiterer Überlegungen, wie der Aufbau eines sozialen Netzwerks nicht zuletzt als Mittel gegen Diskriminierung umgesetzt werden kann.

Informelle Netzwerke (Freunde, Familie, Diaspora) sind bei der Jobsuche ebenso hilfreich wie die Wahrnehmung alternativer Strukturen außerhalb des beruflichen Alltags.

Der informelle Sektor selbst wird von allen befragten Gruppen nicht aktiv gesucht, vielmehr möchten die Befragten in Deutschland legal arbeiten. In Einzelfällen müssten sie informelle Arbeitsverhältnisse aber in Kauf nehmen, um Übergänge in formelle Arbeitsverhältnisse finanziell zu überbrücken.

Insgesamt konnten 68 Prozent der Migrantinnen und Migranten innerhalb des ersten Jahres ihres Aufenthalts in Deutschland eine Tätigkeit aufnehmen, wobei 22 Prozent durch Bildungsanbieter Unterstützung gefunden haben. 30 Prozent empfanden die Jobsuche einfach, 26 Prozent als schwierig.

Mit Blick auf besondere Stärken, die die befragten Migrantinnen und Migranten bei sich selbst sehen, nannten sie Mehrsprachigkeit, Durchhaltevermögen, Geduld, kulturelles Verständnis und damit einhergehend auch das Verständnis für den Einwanderungsprozess. Zusätzlich unterstrichen sie eine hohe Motivation, auch dafür, sich permanent weiterzuentwickeln und dazu zu lernen.

Besonders hohe Zustimmungswerte erhielten "neue Perspektiven einbringen" und "Offenheit für Neues", beides hochrelevante Haltungen im Kontext von Innovation und Innovationsfähigkeit. Dieses Potenzial zu nutzen, ist aktuell einerseits eine Herausforderung sowohl für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Andererseits ist die Aktivierung dieses Potenzials für Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation sehr naheliegend.

Höhere Sichtbarkeit positiver Integrationsbeispiele nötig

Die anschließende Diskussion der Ergebnisse machte deutlich, dass sich die Teilnehmenden des Online-Seminars mehr Sichtbarkeit von positiven Beispielen im öffentlichen Diskurs wünschen.

Die aktuell überwiegend an Herausforderungen und Negativbeispielen ausgerichtete Debatte schadet langfristig der eigenen Strategie der Fachkräftegewinnung aus dem (nicht-EU) Ausland.

Die zu erwartenden negativen Auswirkungen rückläufiger Migration sahen alle als großes Risiko für den Wohlstand in Deutschland. Dieser Aspekt steht in Verbindung mit der Notwendigkeit öffentlicher Wertschätzung für den Beitrag zur Gesellschaft als Ganzes.

Weitere Termine der Reihe mit der Uni Bremen 

Im Rahmen der Kooperation von iMOVE mit der Universität Bremen und dem Projekt SKILLS4JUSTICE sind Folgetermine bis Ende 2026 geplant. Die zwei weiteren Termine finden zu diesen inhaltlichen Schwerpunkten statt:

  • Einflussbedingungen auf Fachkräftegewinnung (regional) und Bedingungen zum Aufbau von Skills Partnerships (länderübergreifend) - Teil 3
  • Entwurf eines Toolkits für Skills Partnerships - Teil 4

Alle Veranstaltungstermine werden separat angekündigt und können unabhängig voneinander gebucht werden.

SKILLS4JUSTICE

Im EU-geförderten Projekt "Skill partnerships for sustainable and just migration patterns" (SKILLS4JUSTICE) widmet sich ein Forschungsvorhaben der Sammlung und Analyse der Berichte von Migrantinnen und Migranten. Ziel ist ein besseres Verständnis des subjektiven Verständnisses der Betroffenen, um kollektive Erfahrungen sichtbar und zudem für die Weiterentwicklung der Strukturen und Angebote nutzbar zu machen.

Es zeigt sich, dass die Erlebensberichte für Personen im Vergleich von Flucht- und Qualifikationskontext durchaus unterschiedlich sind und die daraus resultierenden Anforderungen einer differenzierten Antwort bedürfen.

Das HORIZON-geförderte Projekt "Skill partnerships for sustainable and just migration patterns" (SKILLS4JUSTICE) zielt darauf ab, eine evidenzbasierte Grundlage zur Gestaltung von Qualifikations- und Bildungspartnerschaften zu entwickeln und so zu einer zukunftsfähigen Fachkräftegewinnung über Grenzen hinweg beizutragen.

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