Die Chancen für deutsche Bildungsanbieter in Ägypten standen im Mittelpunkt des iMOVE-Länderseminars am 16. April 2013 in Bonn.
Die rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten mit den eingeladenen Experten intensiv ihre Ideen zur Unterstützung der ägyptischen Wirtschaft durch "Training - Made in Germany".
iMOVE-Länderseminar Ägypten

Hans-Gerhard Reh von iMOVE führte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch den Tag. Er nutzte die Gelegenheit und wies auf das 5. Arabisch-Deutsche Bildungsforum hin, das am 20. und 21. November 2013 in Berlin stattfinden wird.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten das Länderseminar zum intensiven Netzwerken und für rege Diskussionen mit den Referentinnen und Referenten.
Besonderes Interesse hatten die Anwesenden an der Lösung von Problemen und der Überwindung von Schwierigkeiten, die in der Zusammenarbeit mit ägyptischen Partnern entstehen können.
Wirtschaftliche Situation in Ägypten
Manfred Tilz von Germany Trade and Invest (GTAI) stellte die aktuelle wirtschaftliche Situation in Ägypten vor.
Die Gesamtwirtschaft Ägyptens kommt nicht in Gang, Streiks machen eine Entwicklung unmöglich und auch der Tourismus ist noch weit vom vor-revolutionären Zustand entfernt.
Ein großes Problem im Land ist die hohe Arbeitslosigkeit mit einer offiziellen Quote von 13 Prozent. Die tatsächliche Quote schätzen Kenner jedoch auf circa 20 Prozent, bei Jugendlichen sogar auf 24 Prozent.
Die volkswirtschaftliche Lage ist laut Tilz ebenfalls kritisch. Die Staatsverschuldung liegt bei 72 Prozent, die Auslandsschulden bei 43,5 Milliarden US-Dollar. Verhandlungen über einen Kredit vom Internationalen Währungsfond IFW über 4,8 Milliarden US-Dollar geraten ins Stocken, da dieser mit hohen Auflagen verbunden ist, die die Regierung Mursi nicht erfüllen will.
Zum Abschluss seiner Ausführungen verdeutlichte der Experte die aktuelle Situation in Ägypten mit einer SWOT-Analyse.
[SWOT: englisches Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken)]
Berufliche Bildung in Ägypten
Martina Ziebell von MENA Projektpartner e. V. stellte das System der beruflichen Bildung in Ägypten vor.
Laut Ziebell strömen jedes Jahr 700.000 Neuzugänge auf den ägyptischen Arbeitsmarkt. Im Zusammenspiel mit der bestehenden Arbeitslosigkeit entsteht ein enormer Druck auf das ägyptische System.
Die Ressourcen für Bildung sind seit 2005 kontinuierlich gesunken. Die Alphabetisierungsrate ist trotz der Schulpflicht von neun Jahren rückläufig. Das private Bildungssystem ist in vielen Bereichen exzellent. Dagegen steht das staatliche, unterfinanzierte Bildungssystem.
Ziebell stellte die verschiedenen Wege einer beruflichen Bildung in Ägypten dar. Neben dem klassischen Bildungssystem gibt es die Technical Secondary Schools (TSS), die dem Bildungsministerium unterstehen. Weitere Träger der beruflichen Bildung sind staatliche Berufsbildungszentren, die Industrie und private Bildungsanbieter. Darüber hinaus gibt es auch viele Direkteinsteiger, die von der Schule direkt in den Betrieb gehen und ihren Beruf durch "Learning by Doing" erlernen.
Jedes Ministerium hat ein Konglomerat von Berufsbildungszentren. Um das System zu reformieren, müssten alle Ministerien an einen Tisch gebracht werden und ein einheitliches Ausbildungssystem schaffen. Hier verwies sie mehrfach auf die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die in diesem Bereich aktiv ist.
Die Herausforderungen an ein einheitliches berufsbildendes System in Ägypten sind vielfältig. Defizite sind zum Beispiel die Unübersichtlichkeit, veraltete Einrichtungen und Lehrmaterialien oder unqualifizierte Lehrkräfte, die keine Fortbildungen erhalten. Berufsschullehrer haben meist nur eine theoretische Ausbildung absolviert.
Laut Ziebell muss sich die neue Regierung erst finden und wartet noch mit Entscheidungen. Die Unternehmen beklagen den Fachkräftemangel, zögern jedoch gleichzeitig, sich finanziell an einer Ausbildung zu beteiligen.
Neue Berufe wie Kraftfahrzeug-Mechatroniker oder Systemplaner sind im staatlichen System nicht zu finden. Eine fehlende Datenerhebung zum Bedarf der ägyptischen Wirtschaft schafft Probleme, weil es keine Zahlen gibt, aus denen ein Bedarf abgeleitet werden kann.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stimmten der Referentin zu, dass eine Erhebung und Veröffentlichung solcher Daten die Unstimmigkeiten verdeutlichen würden und somit gleichzeitig ein Lösungsvorschlag aufgezeigt werden müsste, um keine weiteren Unruhen in Ägypten zu provozieren.
Durch private Einrichtungen zur beruflichen Weiterbildung versucht man in Ägypten, die Lücke zwischen erreichter Qualifikation der Auszubildenden und deren Beschäftigungsfähigkeit ("Employability") zu schließen.
Ziebell erläuterte die Rolle der Ministerien bei der beruflichen Bildung und die gesellschaftlich-kulturelle Stellung von Bildung in Ägypten.
Chancen für deutsche Bildungsanbieter in Ägypten
Im zweiten Teil ihrer Ausführungen ging Martina Ziebell auf die Chancen für deutsche Bildungsanbieter in Ägypten ein.
Dabei beschrieb sie die deutsch-ägyptischen Beziehungen im nach-revolutionären Ägypten. Sie listete potenzielle Kunden wie die ägyptische Privatwirtschaft und informierte über die erforderlichen Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit.
Die große Frage, die ihrer Ansicht nach besteht, ist diejenige nach der Finanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen. Dies bestätigen auch die Ergebnisse einer Umfrage der Deutsch-Ägyptischen Auslandshandelskammer (AHK) in Kairo, die die AHK für die iMOVE-Marktstudie Ägypten durchführte.
Neben direkten B2B-Geschäften spielen auch die Programme internationaler Geberländer im Bereich beruflicher Aus- und Weiterbildung eine Rolle im Hinblick auf Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Anbieter. Die Programme haben den Vorteil, dass direkt und in stabiler Währung abgerechnet wird.
Martina Ziebell stellte einen Erfahrungsbericht zur Einführung des "Energy Manager" (EUREM) als Weiterbildungsmodul in Ägypten vor. Es handelt sich um eine Public Private Partnership-Maßnahme (PPP), die über die sequa gGmbH mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert wurde. Circa 100 Energy Manager werden im Rahmen des Projekts geschult.
Ziebell erläuterte die Herausforderungen bei der Projektumsetzung. So konnten beispielsweise vorgesehene Partner nicht einbezogen werden, sondern es mussten kurzfristig neue Partner gefunden werden.
Als dritte Gruppe potenzieller Kunden stellte die Referentin ägyptische Staatsunternehmen, Behörden und Ministerien vor. Ziebell wertete diese Gruppe als diejenige mit dem größten Bedarf aber gleichzeitig auch als die Gruppe, die die größten Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit sich bringt.
Abschließend unterstrich Ziebell, dass die Übergangsphase von vor-revolutionärer Struktur zu nach-revolutionärer Struktur noch gestaltet werden muss.






Aktivitäten der GIZ in Ägypten
Tilman Nagel von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) stellte deren Aktivitäten im Bereich Qualifizierung und Beschäftigung in Ägypten vor.
Handlungsfelder der GIZ in Ägypten sind nicht mehr die Aus- und Weiterbildung, sondern Wasser- und Abwassermanagement sowie Klima- und Umweltschutz. Er betonte, dass die GIZ selbst nicht ausbildet und deshalb keine Konkurrenz für deutsche Weiterbildungsanbieter darstellt. Nagel unterstrich auch die Ausführungen von Martina Ziebell.
Laufende Projekte der GIZ sind der "Nationale Beschäftigungspakt" im Auftrag des Auswärtigen Amtes, die "Green Jobs Initiative" und das Programm zur Förderung von Jugendbeschäftigung.
Die GIZ hat eine Studie erstellt, die belegt, dass in Ägypten zurzeit kein Bedarf an grünen Berufen besteht. Allerdings ist man davon überzeugt, dass sich dieser Bedarf entwickeln wird.
Die Hauptaktivität der GIZ in Ägypten ist das Programm zur Förderung von Jugendbeschäftigung. Ziel des Programms ist die Stärkung der Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft.
Die GIZ hat für Ägypten in den letzten Jahren keine Ausschreibungen veröffentlicht. Es wird jedoch in diesem Jahr noch eine Ausschreibung im Rahmen des Jugendbeschäftigungs-Programms geben. Die Finanzierung soll von ägyptischer Seite erfolgen.

BIBB-Aktivitäten in Ägypten
Jan Ebben stellte die Aktivitäten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Ägypten und die Aufgaben der internationalen Abteilung vor.
Nach seiner Einschätzung hat die internationale Nachfrage zum dualen System insgesamt zugenommen. Speziell in Ägypten ist sie jedoch gleich geblieben, da Ägypten schon länger Interesse am deutschen System zeigt.
In Ägypten führte das BIBB eine Organisationsberatung beim Industrial Training Council (ITC) zu den Themen Mission-Vision, Performance Management System, Keywork Processes and Quality Assurance durch. Die Beratung beinhaltete die Implementierung von 15 Ausbildungssteinen.
Die Zusammenarbeit des BIBB mit Ägypten erfolgte im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Internationalisierungsstrategie.
Die Ziele der Beratung waren die Ausrichtung der Berufsbildung an Arbeitsmarkt und Branchenbedarf. Dabei lag der Fokus auf einem offenen, transparenten und durchlässigen System sowie auf einem sozialen Prestige der beruflichen Bildung.
Ebben betonte, dass die Gestaltung von Bildungssystemen nicht nur eine Angelegenheit von nationalem Interesse ist, sondern dass die Qualität von Bildungssystemen zunehmend auch einen Wettbewerbsvorteil im globalen Markt darstellt.



REFA-Schein in Ägypten
Thomas Haberbosch von der GVIT (German Vocational Training Institute based on REFA Methodology Ltd.) berichtete, wie der REFA-Schein 1:1 in Ägypten umgesetzt wird.
[REFA: Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung]
Haberbosch war vom hohen Qualifizierungsgrad der ägyptischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Administration, insbesondere der Frauen, beeindruckt.
In Ägypten haben Zertifikate laut Haberbosch einen hohen Stellenwert. Die Inhalte der Zertifikate orientierten sich jedoch oft nicht an den tatsächlichen Bedürfnissen.
Ein weiterer Mangel, den Haberbosch in Ägypten feststellte, ist, dass Unternehmen Anlagen kaufen, für deren Bedienung und Wartung das Know-how vor Ort fehlt.
Nach seiner Erfahrung haben die ägyptischen Unternehmen aber begriffen, dass sie in Aus- und Weiterbildung investieren müssen, um auf dem Markt erfolgreich zu sein.
Geschäftsanbahnung in Ägypten
Jean Elsner von Jets Training GmbH ist mit ihrer Firma seit vielen Jahren in Ägypten aktiv.
Sie berichtete von ihren Geschäftsanbahnungs-Erfahrungen und darüber, dass man sich auf die ägyptische Mentalität einstellen muss, um zum Erfolg zu kommen. In Ägypten ist alles sehr persönlich. Daher muss man sich viel Zeit zum Netzwerken und zur Kontaktpflege nehmen.
Laut Elsner hat die Revolution das Geschäft etwas ausgebremst und kommt jetzt Schritt für Schritt wieder in Gang. Das Potenzial für deutsche Aus- und Weiterbildungsanbieter schätzt Elsner sehr hoch ein. Sie sieht aber auch, dass die akademische Bildung immer noch einen weit höheren Wert hat, als die berufliche Ausbildung.
Jean Elsner rät für das Geschäft in Ägypten, die Menschen kennen zu lernen, zu Netzwerken und Partner inklusive Anwalt und Steuerberater zu finden, denen man vertraut.
TU Campus El Gouna
Dr. Heba Aguib stellte das Zentralinstitut der Technischen Universität (TU) Berlin - den TU Campus El Gouna - vor, der als öffentliche deutsche non-profit Universität geführt wird.
El Gouna ist als PPP-Gründung (PPP: Public Private Partnership) zwischen der TU Berlin und Orascom Hotels and Development hervorgegangen. Sie wird von der Sawiris Foundation unterstützt.
Die Universität nimmt nur Studierende auf, die einen Bachelor haben und mindestens ein Jahr Berufserfahrung aufweisen können. Diese Voraussetzungen werden gefordert, weil die Dozenten mit ihren Studierenden intensiv Ideen entwickeln und angewandte Forschung und Entwicklung betreiben.
Ausbildungsbausteine für Bauberufe
Dr. Stefan Wolf von der TU Berlin stellte das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte WEB-TT-Projekt vor.
[WEB-TT: Water-Energy-Building - Training and Transfer]
Das Projekt wird von einem Konsortium bearbeitet und kooperiert mit dem größten ägyptischen Bauunternehmer, um für Bauberufe Ausbildungsbausteine zu entwickeln.
Das duale System lässt sich auch nach Ansicht von Dr. Wolf nicht 1:1 übertragen. Das Konsortium möchte aber deutsche Ausbildungszertifikate anbieten. Am Ende soll es ein Zertifikat geben, das deutschen Ausbildungsstandards entspricht.
Bisher wurden Train-the-Trainer-Konzepte, Kurzausbildungsprogramme und Zertifizierungssysteme entwickelt. Die Facharbeiter, die trainiert werden sollen, sind handwerklich schon sehr gut ausgebildet. Sie müssen nun in handlungsorientierten Trainings lernen, wie sie andere Fachkräfte gut aus- und weiterbilden.
Auf den Punkt gebracht
Ägypten befindet sich zurzeit zweifellos in einer politisch, wirtschaftlich und sozial instabilen Lage. In dieser Situation fällt besonders positiv auf, dass in dem Land auf verschiedenen Ebenen daran gearbeitet wird, die berufliche Aus- und Weiterbildung voran zu bringen und das Ansehen nicht-akademischer Berufe in der Bevölkerung weiter in ein besseres Licht zu rücken.









