iMOVE-Länderseminar Brasilien

Seminarteilnehmer und Referent

Am 4. November 2011 fand in Berlin das erste iMOVE-Länderseminar Brasilien statt.

Über 20 Personen informierten sich über die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Land und tauschten sich mit den Referenten aus Bildung, Politik und Wirtschaft über die Bildungssituation und die Möglichkeiten einer deutsch-brasilianischen Kooperation im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung aus.

Wirtschaftliche und politische Entwicklungen in Brasilien

Hans-Gerhard Reh von iMOVE eröffnete das Seminar und wies auf die von iMOVE herausgegebene aktuelle Marktstudie zum Aus- und Weiterbildungsmarkt in Brasilien hin.

Im Rahmen des Länderseminars sollte der Bildungsmarkt der aufstrebenden Wirtschaftsmacht, wo die Unternehmen schon länger über einem Fachkräftemangel klagen, den interessierten deutschen Bildungsanbietern noch näher gebracht werden.
Referent bei seinem Vortrag
Peter Rösler (Lateinamerika Verein) über die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in Brasilien
Peter Rösler vom Lateinamerika Verein stellte die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in Brasilien dar.

Das Land zeichnet sich durch eine moderne Wirtschaftspolitik aus und profitiert sowohl von der politischen Kontinuität seit 1993 als auch vom Reichtum an Bodenschätzen. Der sozial ausgerichtete Staat investiert zunehmend in die Bildung seiner Bevölkerung. Trotz großer Erfolge auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren sind weitere Reformen und Investitionen notwendig, um die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten.
Referentin bei ihrem Vortrag
Jana Dotschkal (Lateinamerika Verein) über deutsch-brasilianische Beziehungen
Jana Dotschkal vom Lateinamerika Verein berichtete im Anschluss über die deutsche-brasilianischen Beziehungen.

Mit 1.300 deutschen Unternehmen im Land ist die deutsche Wirtschaft in Brasilien sehr präsent. Mit rund 900 deutschen Unternehmen ist São Paolo weltweit die größte deutsche Industriestadt.

Zu den Nachteilen des brasilianischen Marktes zählen aus Sicht der deutschen Unternehmen unter anderem die Bürokratie und Korruption, relativ hohe Produktionskosten, eine unterentwickelte Infrastruktur und ein unzureichendes Aus- und Weiterbildungsniveau.

Als Vorteile des Marktes werden unter anderem die umfassend entwickelte Industrie, hoch motivierte Arbeitskräfte, eine wachsende Mittelschicht, die starke Präsenz großer und mittelständischer deutscher Unternehmen und die geringen Mentalitätsunterschiede genannt. In Brasilien leben rund zehn Millionen Deutschstämmige.

Brasilien investiert zunehmend in technische Aus- und Weiterbildung

Referant während seines Vortrags
Marcelo Biãncao Crivelaro (Festo Didactic Brasilien) erläutert die aktuelle Bildungssituation in Brasilien
Marcelo Biãncao Crivelaro von Festo Didactic Brasilien erläuterte den Anwesenden die aktuelle Bildungssituation in Brasilien.

Seit Anfang der 90er Jahre hat die Regierung die Investitionen in die Bildung kontinuierlich erhöht.

Nachdem die Analphabetenrate in den letzen Jahren auf unter zehn Prozent gesenkt werden konnte, investiert die Regierung zurzeit verstärkt in die berufliche Aus- und Weiterbildung.

Im Zeitraum von 2007 bis 2010 investierte die Regierung 2,1 Milliarden Euro in die technische Aus- und Weiterbildung, 1,4 Milliarden davon in Weiterbildung der Beschäftigten in der Industrie.

Da es jedoch noch einige Jahre dauern wird, bis diese Investitionen Früchte tragen und der Wirtschaft mehr und besser qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen werden, nehmen zurzeit viele Unternehmen die Aus- und Weiterbildung Ihrer Arbeitskräfte selbst in die Hand. So müssen zum Beispiel die Arbeiter des Unternehmens Petrobras zuerst eine eineinhalbjährige betriebsinterne Weiterbildung erfolgreich absolvieren, um als qualifizierte Fachkräfte übernommen zu werden.

Erfolgreiche Geschäftsbeziehungen mit brasilianischen Partnern

Der brasilianische Honorarkonsul Dr. Jan Curschmann von der Taylor Wessing Anwaltskanzlei, die auf jahrzehntelange Erfahrung mit Brasilien zurückblickt, referierte über den Umgang mit brasilianischen Geschäftspartnern.
Brasilien verfügt nach Schaffung zahlreicher Gesetze im Laufe der vergangenen 25 Jahre jetzt über ein modernes Rechtssystem. Bei der Effizienz der Gerichte gibt es deutliche regionale Unterschiede.

Wer mit brasilianischen Partnern eine effektive und erfolgreiche Geschäftsbeziehung aufbauen möchte, sollte viel in die Pflege von guten persönlichen Beziehungen investieren. Auf lange Sicht ist das nicht zeitaufwändiger sondern zeitsparend.

Ein freundlicher Austausch über die eigene Person und die Familie, das sogenannte "papo inicial" leitet jeden geschäftlichen Termin ein. Problemlösungsstrategien der Brasilianer unterscheiden sich in der Regel von denen der Deutschen.
Referent während seines Beitrags
Dr. Jan Curschmann (Taylor Wessing Anwaltskanzlei) über den Umgang mit brasilianischen Geschäftspartnern
Da die Brasilianer mehr personen- als sachbezogen agieren, wird ein direktes "nein" gerne umgangen. Kenntnisse des Portugiesischen sind in Brasilien zurzeit ein Muss, denn auf der Leitungsebene sind oft noch keine ausreichenden Englischkenntnisse vorhanden.

Arbeitsmarkt und Beschäftigung in Brasilien

Referent während seines Vortrags
Oliver Parche (DIHK) über die aktuelle Qualifizierungs- und Arbeitsmarktsituation
Oliver Parche vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) berichtete über die aktuelle Qualifizierungs- und Arbeitsmarktsituation in Brasilien.

In Brasilien besteht eine extrem große Bereitschaft der Arbeitnehmer, sich - nicht selten auf eigene Kosten - neben der Arbeit weiterzubilden.
Da der Staat bei Weitem nicht ausreichend Studienplätze an öffentlichen Hochschulen anbietet, von insgesamt 2.270 Hochschulen sind nur 250 staatliche Einrichtungen, studiert die Mehrheit an privaten, kostenpflichtigen Hochschulen. Immerhin vergibt der Staat für das Studium an privaten Hochschulen Voll- und Teilstipendien.

In den kommenden Jahren wird die Regierung das Studium im Ausland, auch in Deutschland, verstärkt finanziell unterstützen.

In einigen Regionen Brasiliens herrscht zurzeit Vollbeschäftigung. Parallel dazu gibt es Regionen mit hohen Arbeitslosenraten. Brasilien ist unter den Ländern der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) der viertgrößte Markt für Zeitarbeit.

Erfahrungsberichte deutsch-brasilianischer Kooperation

Referent bei seinem Vortrag
Joachim Elsaesser (LVI) über eine Initiative von BDI und LVI zu Technologie- und Wissenspartnerschaft
Joachim Elsaesser vom Landesverband der Baden-Württembergischen Industrie (LVI) berichtete über die Initiative vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und der LVI zu Technologie- und Wissenspartnerschaft mit Schwellenländern.

Dabei stellte er die Kooperation mit der Confederação Nacional da Indústria (CNI) in Brasilien und die Rolle dualer bi-nationaler Studiengänge für die Kooperation zwischen Technologie-Clustern vor.

Er warb bei den Anwesenden dafür, dass deutsche Produkte, Technologien oder Bildung nicht einzeln, sondern als System ins Ausland exportiert werden. Somit soll eine erfolgreiche und nachhaltige Wirtschaftspolitik gesichert werden.
Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer
Marcelo Biãncao Crivelaro berichtete über die Aktivitäten von Festo Didactic Brasilien, im Hinblick auf große Kunden wie SENAI (Serviço Nacional de Aprendizagem Industrial) und Centro Paula Souza. Beide Organisationen zeichnen sich aus durch gute Beziehungen zur Industrie, Investitionsstärke, gut qualifiziertes Lehrpersonal und Anerkennung seitens des Arbeitsmarktes.

Um sich in eine gute Ausgangsposition für den Gewinn von Aufträgen, die oft auf öffentlichen Ausschreibungen basieren, zu bringen, berät Festo Didactic Brasilien seine Kunden bei der Entwicklung von Lehrplänen und bietet standarisierte oder maßgeschneiderte Weiterbildungsprogramme für deren Lehrpersonal an. Dabei erwähnte Binãcao Crivelaro auch die Schwierigkeit der Bildungseinrichtungen, ihr technisch ausgebildetes Lehrpersonal zu halten, denn die Wirtschaft ist für viele sowohl finanziell als auch im Hinblick auf den gesellschaftlichen Status attraktiver als der Bildungssektor.
Referentin bei ihrem Vortrag
Jenny Schaffrath (gpdm) über unterschiedliche Ansätze zur Geschäftsanbahnung in Brasilien
Jenny Schaffrath von gpdm berichtete über die unterschiedlichen Ansätze, die das Bildungsunternehmen bei der Geschäftsanbahnung in Brasilien verfolgt.

Nicht zuletzt wegen der Größe des Landes und der bedeutenden regionalen Unterschiede hat sich ein differenziertes Vorgehen für die gpdm als richtig erwiesen. Dabei werden bestehende persönliche Kontakte in Brasilien bewusst eingesetzt und gute persönliche Beziehungen aufgebaut, die zur Erweiterung des Netzwerks in Brasilien genutzt werden.

Am Beispiel des in Deutschland sehr erfolgreichen Programms "Arena4You" schilderte Jenny Schaffrath, wie die gpdm die Anpassung des Programms für den brasilianischen Bildungsmarkt vorantreibt.
Referent beim Vortrag
Ardin Djalali (Steinbeis Hochschule Berlin) über die Erfahrungen der Hochschule in Brasilien
Ardin Djalali von der Steinbeis Hochschule Berlin berichtete über die Erfahrungen der Hochschule in Brasilien.

Im Rahmen der School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) bietet die Hochschule in Brasilien einen berufsbegleitenden Master-Studiengang an. Die Studierenden arbeiten und lernen in Unternehmen unter der Aufsicht eines Projektdozenten. Diese Rolle wird von erfahrenen Managern übernommen.

Für die Unternehmen besteht durch die Beteiligung an diesem Programm ein konkreter Nutzen, zum Beispiel in Form von Projektergebnissen, die die Studierenden ausarbeiten.

Trends auf dem brasilianischen Bildungsmarkt

Blick in den Seminarraum über die Köpfe der Teilnehmer
In der anschließenden Diskussionsrunde nutzten die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer die Chance, Fragen an den brasilianischen Bildungsexperten Biãncao Crivelaro zu stellen und tauschten sich mit ihm über die Trends auf dem Bildungsmarkt aus.

Die Stellung des Staates und der staatlichen Bildungseinrichtungen als wichtiger Auftraggeber wurde dabei betont. Da die entsprechenden politischen Strukturen noch relativ jung sind, lernen die die Bildungseinrichtungen derzeit selbst, wie sie ihre Anforderungen und Bedürfnisse optimal realisieren können.

Für erfolgreiche Geschäftsbeziehungen sind Portugiesischkenntnisse und die Pflege von persönlichen Beziehungen zu potenziellen Partnern unabdingbar.
Beständigkeit des Engagements weckt bei brasilianischen Partnern das notwendige Vertrauen. Präsenz vor Ort ist von großer Wichtigkeit. Dabei muss mit sehr hohen Immobilienpreisen, besonders in Sao Paolo oder Rio de Janeiro, gerechnet werden.

Leider kämpft die technische Ausbildung in Brasilien immer noch mit einem schlechten Image, auch wenn sich die Situation langsam wandelt.

E-Learning wird zurzeit von einigen Bildungsanbietern, auch von SENAI, eingesetzt. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwiefern diese Lernform bei den eher kontaktfreudigen Brasilianern, bei denen das persönliche Miteinander eine große Rolle spielt, sich durchsetzen kann.
Seminarteilnehmer