Made in China 2025 versus Industrie 4.0?

Das deutsche Konzept "Industrie 4.0" ist ein Leitfaden für die chinesische Strategie "Made in China 2025". China wird mit deutscher Hilfe immer konkurrenzfähiger und dringt in weitere Industriebereiche vor. Zwei Manager aus chinesischen und deutschen Unternehmen sehen die Kooperationen eher als Chancen.

Im Sommer 2015 war der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu Besuch in China: Deutsch-chinesische Kooperationen bei Industrie 4.0 werden auf höchster Ebene begleitet.

Am 6. März 2018 wurde der "Lernfabrik" vom Institut für Automatisierung und Industrie Technologie GmbH (IAIT) in Huai'an feierlich eröffnet. Laut "Made in China 2025" sollen bis 2020 15 dieser Zentren entstehen, bis 2025 sollen es 40 sein.

In China werden die Strategie Made in China 2025 und Industrie 4.0 oft synonym verwendet. Es geht darum, die Verbindung von Informationstechnologie und Industrie voranzutreiben. Dabei orientiert sich Made in China 2025 nicht nur stark am deutschen Konzept. Bereits im Juli 2015 unterschrieben beide Regierungen bei einem China-Besuch des damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel eine gemeinsame Absichtserklärung, die eine engere Verzahnung der bis dahin stark national ausgerichteten Initiativen Industrie 4.0 und Made in China 2025 anstrebt. Doch sowohl in der deutschen Industrie als auch in den Medien und der Politik werden immer wieder Befürchtungen laut, dass die Kooperation in erster Linie chinesische Konkurrenten stärkt. Ist die deutsch-chinesische Zusammenarbeit im Bereich Industrie 4.0 also eine einzigartige Chance oder gar ein dramatischer Fehler?

Auf dem Weg an die Weltspitze

Das 2015 beschlossene Strategiepapier Made in China 2025 skizziert Chinas Marschroute an die industrielle Weltspitze. Ende Januar 2018 wurde der Plan aktualisiert, um Trends und Probleme in der Fertigungsindustrie widerzuspiegeln, die aus neuen Ideen und Technologien resultierten, die in den vergangenen zwei Jahren hinzugekommen sind. Laut dem neuen Plan soll China bis 2025 zum weltweit führenden Hersteller von Telekommunikations-, Bahn- und Stromerzeugungsanlagen werden. Bislang war das Land immer aufgrund seiner günstigeren Lohnarbeitskosten für westliche Unternehmen als Produktionsstandort für Massenfertigung attraktiv. Die Digitalisierung aber wird dafür sorgen, dass die Arbeitskosten kaum mehr ins Gewicht fallen: Wenn Maschinen voll automatisiert sind, spielt der Faktor Mensch eine immer kleinere Rolle. China gehe dann sein komparativer Vorteil verloren, erklärt Torsten Küpper, Vizepräsident und Mitglied der Geschäftsführung beim chinesischen IKT-Giganten Huawei in Deutschland. "Digitalisierung ist der Zug der Zeit." China müsse nun schauen, wie es diesen in den nächsten Jahren wegfallenden Vorteil kompensiere. Seine einzige Chance ist "ein qualitativ gleiches Industriefertigungsniveau wie im Westen", sagt Küpper.

In Deutschland war das Konzept "Industrie 4.0" erstmals im Vorfeld der Hannover Messe vorgestellt worden. Ihm zufolge bestimmen intelligente und vernetzte Maschinen, Virtual Reality, Cloud Computing und Big Data den nächsten Schritt der industriellen Entwicklung. Maschinen sollen weitgehend autonom in Zusammenarbeit mit dem Menschen agieren, entscheiden und optimieren. Produktionsprozesse werden flexibler, transparenter und effizienter. Kunden können eigene Wünsche in die Produktion individualisierter Massengüter einbringen. Während sich in Deutschland derzeit allerdings alles um die effizientere Vernetzung von Produktionsprozessen über mehrere Unternehmen dreht, konzentriert sich die "Made in China 2025"-Strategie eher darauf, das produzierende Gewerbe auf das Niveau einer "Industrie 3.0" zu heben. "Deutschland muss nur Industrie 4.0 adaptieren", meint Küpper, "China muss hingegen erst einmal auf das Niveau 2.5 und 3.0 aufholen, um richtig in die Digitalisierung 4.0 einsteigen zu können. Die Qualität der Produktion in China ist größtenteils wie in Deutschland ungefähr zur Mitte der 90er-Jahre."

Kooperation ist keine Einbahnstraße

Ähnlich wie bei "Industrie 4.0" ist auch die Verbesserung der Produktionstechnologie im Rahmen von Made in China 2025 nur ein Aspekt. Weiterhin sollen das Ausbildungssystem und die Förderung von Talenten verbessert werden. Dabei will eine deutsch-chinesische Kooperation mittels einer "Lernfabrik" im Industriepark in Huai’an, einer Millionenstadt rund 400 Kilometer nördlich von Shanghai, Akzente setzen. Unter der Regie des Instituts für Automatisierung und Industrie-Technologie (IAIT) und in Partnerschaft mit dem Fraunhofer-Institut IOSB-INA in Lemgo wird dort aktuell eine Modellproduktion installiert, in der vernetzte Funktionsmodule und digitalisierte Prozessbausteine implementiert werden. "Die zehn mal zehn Meter große Montagelinie dient dazu, in der Praxis Industrie-4.0-Technologien für die Unternehmen in Huai'an zur Verfügung zu stellen beziehungsweise diese Technologien nahezubringen und Schulungen und Workshops zu machen", erklärt IAIT-Geschäftsführer Thomas Nolting.

In dem insgesamt 1.000 Quadratmeter großen Ausstellungsbereich werden noch weitere namhafte deutsche, europäische und gegebenenfalls auch chinesische Anbieter von Technologien ihre Produkte ausstellen. Das Fraunhofer-Institut und das IfU-Institut für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung in Braunschweig werden Seminare und Beratungen zum Thema Digitalisierung anbieten.

"Die Lernfabrik soll beim Upgrade der vorhandenen Industriefertigungsanlagen in den Firmen in Huai’an helfen, um sich von Industrie 2.0 in Richtung 4.0 zu bewegen", sagt Nolting. Der Kontakt nach Fernost entstand in Shanghai im Jahr 2016. Er habe sich schnell zu einer vertieften Kooperation entwickelt. Um die Modernisierung der chinesischen Produktionsbetriebe voranzutreiben, hat die chinesische Regierung etwa zwei Millionen Euro in den Industriepark investiert.

Dabei ist die Kooperation keinesfalls eine Einbahnstraße von West nach Ost, so die Wahrnehmung im IAIT. Auf der einen Seite ist Deutschland im Maschinenbau und der Automobilindustrie schon im High-End-Bereich der Fertigung angelangt. Die jahrhundertelange Erfahrung in diesem Bereich fehlt den Unternehmen in China. Auf der anderen Seite ist China bei der Digitalisierung im Alltag Deutschland gut fünf Jahre voraus. Bei Cloud-Technologien, Big Data, Künstlicher Intelligenz und in vielen anderen Bereichen haben die Chinesen schon die Nase vorn und werden diesen Vorsprung auch beibehalten. "Wir bringen nicht nur chinesische Bedarfe nach Deutschland, sondern auch chinesische Technologien, bei denen chinesische Unternehmen ein Stück weiter sind als deutsche. Somit haben wir eine Win-Win-Situation", ist Nolting überzeugt. "Mittel- und langfristig werden sich da Synergiekooperationen ergeben, wo das Know-how von Ost nach West fließt."

Wunschpartner Deutschland

Einige der chinesischen Großkonzerne könnten durch "Industrie 4.0" einen großen Sprung machen. Als ein führendes Unternehmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) habe Huawei schon früh realisiert, dass Informationstechnologie (IT)-Unternehmen nur langfristig erfolgreich sein können, wenn sie ihre Produkte zusammen mit der verarbeitenden Industrie entwickeln und so letztendlich Digitalisierung ermöglichen. "Wir können nur IKT – und schauen dann natürlich auf der Welt, wo die Partner sind, die die stärksten in anderen Bereichen sind. Da kommen wir sehr schnell nach Deutschland. Die deutsche Industrie braucht IT-Know-how, wir brauchen umgekehrt das Know-how in sämtlichen anderen Sektoren", sagt Küpper.

Seit 2006 ist Huawei in Deutschland mehr als 30 Forschungskooperationen mit insgesamt 19 unterschiedlichen Institutionen eingegangen. Zusammen mit Softwarehersteller SAP hat Huawei beispielsweise die sogenannte HANA-Datenbankplattform entwickelt, die Kunden als Anwendung oder in der Cloud verwenden können. Huawei und Kuka kooperieren im Bereich Smart Factory. Mit dem Paket- und Brief-Express-Dienst DHL sucht das Unternehmen aus Shen-zhen eine Trackinglösung für Warensendungen. "Nicht jedes Projekt wird ein Blockbuster werden. Wenn wir zehn Projekte haben und drei oder vier funktionieren und bieten später Chancen auf dem Weltmarkt, dann hat sich das Ganze aber schon gelohnt", so Küpper.

Werden Käufer zu Konkurrenten?

Um seine Lücken bei der Aufholjagd von Industrie 2.0 auf 3.0 zu schließen, geht China auch auf Einkaufstour im Ausland. Die veröffentlichten Summen der Direktinvestitionen chinesischer Firmen in der Europäischen Union stiegen 2016 auf über 35 Milliarden Euro, davon gingen elf Milliarden nach Deutschland. Weltweit investierte China 2016 200 Milliarden Dollar, rund eine Billion seit 2005.

Sowohl in der deutschen Politik als auch in der Industrie gab es heftige Diskussionen wegen der vermehrten Übernahmeangebote an Hochtechnologiefirmen, wie der Fall des Roboterherstellers Kuka, des Spezialmaschinenbauers Aixtron und des Leuchtmittelproduzenten Osram. Laut einer Umfrage von Germany Trade & Invest halten es rund 35 Prozent der befragten deutschen Unternehmen in China mindestens für wahrscheinlich, dass ein chinesischer Wettbewerber innerhalb der nächsten fünf Jahre in ihrer jeweiligen Branche die Innovationsführerschaft übernimmt. Neue Gefahren von ungewolltem Abfluss von Know-how entstehen etwa durch den verstärkten Zugriff des chinesischen Staates auf den Datenverkehr. Immer wieder kommt die Frage auf, wie weit Deutschland gehen kann, ohne dass mit dem Verkauf von Industrie-Ikonen und deren Technologie die deutsche Wirtschaft auf die Dauer geschwächt wird.

IAIT-Chef Nolting zeigt null Verständnis für die alarmierende Berichterstattung zum Thema Kuka & Midea in Deutschland und die Intervention der Bundesregierung. "Sie (Kuka und Midea, Anmerkung) reden jahrelang miteinander und haben jahrelang Geschäfte gemacht. Es gibt einen fairen, guten Vertrag, der unter anderem vorsieht, dass Kuka Deutschland zehn Jahre lang unabhängig bleibt. Allein der Bedarf von Midea an Automatisierung ist unvorstellbar."

Huawei-Manager Küpper teilt diese Meinung: "Ich sehe das auch nicht unbedingt negativ. Ich sehe es eher so, dass es eben auch Chancen eröffnet. Für Kuka als Mittelständler ist es wahrscheinlich schwer mit seinem Zuschnitt und ohne einen starken Partner auf dem asiatischen Markt richtig erfolgreich zu sein. Ich glaube, das sieht Kuka auch so." "Wenn ein amerikanisches Unternehmen hier ein deutsches Unternehmen mit Hightech kauft, ist es die gleiche Situation. Aber es redet kein Mensch darüber," ergänzt Nolting.

Dennoch räumt er ein: "Sicherlich muss man bei Kerntechnologien und Know-how-Transfer immer vorsichtig und wachsam sein und vielleicht auch mal Nein sagen. Ob Politik das beurteilen kann, bezweifle ich aber." Generell glaubt Nolting, dass gut 90 Prozent der Kooperationen, M&A oder Joint Ventures zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen erfolgreich sind.

Die Vorwürfe gegen Übernahmen durch chinesische Unternehmen treffen zwar Huawei nicht direkt, weil der Technologiekonzern derzeit nicht durch M&A wächst. Sorgen macht man sich dennoch: "Ich nenne es leichten Protektionismus", sagt Küpper. "Das ist ein Phänomen, das nicht nur Deutschland und China betrifft, sondern derzeit überall auf der Welt, in Russland, Amerika, der Türkei und Europa zu beobachten ist. Das ist eine Entwicklung, die für wirtschaftliche Unternehmen grundsätzlich kein positives Klima schafft. Wir glauben, das ist nicht der richtige Weg. Wir mögen Freihandel, wir mögen Globalisierung." Aber Küpper bleibt optimistisch: "Wir sind alle vernünftige Kaufleute. Ich glaube, dass die deutschen Firmen (die Chancen und Risiken, Anmerkung) selbst für sich ausbalancieren können. Ich glaube auch, dass es momentan nur eine Phase ist, die man auch überwinden wird."


Quelle: OWC Außenwirtschaft, owc.de, 11.04.2018