Digitalisierung in der Berufsbildung – ganz umsonst?

Freie und quelloffene Software bietet vielfältige Möglichkeiten der Digitalisierung von Berufsbildungsdienstleistungen für den Export. Lesen Sie dazu einen Artikel aus dem iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 1/2020.

drei junge Menschen sitzen vor Bildschirmen
PeopleImagest/iStockphoto.com

Zugegeben, "freie und quelloffene Software" ist als Begriff nicht gerade sexy. Free-and-Open-Source Software klingt internationaler, aber auch nicht spannender. Und um das Ganze auf die Spitze zu treiben: Kostenlos ist hier auch nichts, wie man im ersten Moment vermuten mag. Aber dennoch: FOSS, wie derartige Software abgekürzt genannt wird, kann ein interessanter Ansatz sein, um digitale Lösungen in der Berufsbildung zu entwickeln, nachhaltig zu nutzen und – ganz wichtig! – erfolgreich zu exportieren.

Kostenlos ist hier nichts!

Da der Begriff "frei" schnell, aber fälschlich mit "kostenlos" gleichgesetzt wird, trägt diese Art Software zumindest im deutschsprachigen Raum auch den Namen FLOSS (Free/Libre-Open-Source-Software), um dem Begriff die Gratismentalität zu nehmen. Das "L" wie in libre (französisch und spanisch), livre (portugiesisch) oder libero (italienisch) steht für "frei", aber eben nicht für "kostenfrei".

Richtig ist, dass diese Softwarelösungen kostenlos bezogen und genutzt werden dürfen. Es fallen keine Anschaffungskosten, Lizenzgebühren oder Nutzungsentgelte an. Wichtiger aber ist, dass für solche Software der Quellcode offen ist und von jedem eingesehen, verändert und genutzt werden kann. Gerade deshalb ist das Ganze auch nicht vollständig kostenlos, denn der Nutzer ist selbst für seinen Umgang mit der Software verantwortlich, muss sie warten, aktualisieren, anpassen und unter Umständen einen Server zur Verfügung haben.

Potenzial für Bildungsanbieter

Für Bildungsanbieter, zumal Exporteure, hat solche Software viel zu bieten, denn man kann kundenspezifische Lösungen auf der Basis von vorhandenem (und dann eben doch kostenlosem) Code erarbeiten und anbieten. Dabei handelt es sich um Lösungen, die den Kunden am Ende weniger kosten als kommerzielle oder proprietäre Software, deren Anschaffungskosten und Lizenzgebühren den Preis der Angebote der Bildungsexporteure erhöhen und am Ende an Dritte fließen.   

Rechtlich gesehen darf jeder den Code insgesamt verwenden, anpassen oder auch nur teilweise nutzen. Je nach Lizenz verpflichtet sich der Nutzer dabei allerdings dazu, sein Produkt ebenfalls frei und quelloffen zur Verfügung zu stellen. Wie also sieht das Geschäftsmodell aus?

Weltweit gibt es eine unüberschaubare Anzahl von Anbietern, deren Geschäftsmodell auf einer solchen freien Software beruht. Das klingt zunächst unlogisch, ist es aber nicht:  Einerseits bieten Unternehmen Services rund um die Software an, sei es die Installation, die Wartung, die Anpassung oder Schulungen zur Nutzung. Andererseits werden Zusatzmodule zur freien Software angeboten, die eben nicht FOSS sind und damit kostenpflichtig werden (eine Light-Version gibt es dann als Teaser oft kostenlos). Die freie Software wird damit nicht nur zur Grundlage des eigenen Service, sondern quasi zum Marketinginstrument: Je mehr Nutzer die freie Software hat, desto größer der Markt für Dienstleistungen und Add-ons.

Anwendungsszenarien

Was heißt das für einen Berufsbildungsexporteur nun in der Praxis? Nehmen wir an, ein Anbieter entwickelt und vertreibt Schulbücher. Berufsschulen in Indien stellen einen Auftrag in Aussicht, brauchen aber auch eine Software, mit der sie den Verleih innerhalb der Schule und den Bestand überwachen können. Natürlich kann man so eine Software einkaufen. Aber man kann auch eine freie Lösung finden, die man kundengerecht anpassen und auch in andere Sprachen übersetzen (lassen) kann. Dann verfügt man über eine Komplettlösung, wobei man sich den Service der Anpassung entlohnen lässt. Soll es zusätzlich noch eine E-Reader-Software für die verlagseigenen Bücher sein? Kein Problem, es findet sich fast garantiert eine FOSS, die angepasst werden kann.

Nehmen wir an, ein anderer Anbieter wird gebeten, Berufsschulen in Sambia auszustatten, aber bitte dann auch gleich mit einer Online-Lösung für digitales Lernen außerhalb des Klassenzimmers. Die Server sind im Bestand, die Werkstattausstattung auch. Aber was ist mit der Online-Akademie? Als FOSS-Lösung ist sie vorhanden, kann angepasst und installiert werden und das Gesamtpaket steht. Eine Berufsschule in Hanoi will eine Lehrer- und Schülerbewertungsplattform dazu. Kein Problem. Ein Bildungszentrum in Timbuktu sucht nach einer Verwaltungslösung für die Schule. Auch kein Problem.

Voraussetzungen

Es gibt spezialisierte Anbieter, die vor allem digitale Lösungen erarbeiten und anbieten. Abhängig von den Anforderungen der Nachfrageseite ist es aber auch für alle anderen Bildungsanbieter kein Hexenwerk, FOSS in der Originalversion kostenlos mit anzubieten oder (als Service) anzupassen. So mancher von ihnen hat seine eigene Software entwickelt, dann als FOSS veröffentlicht und generiert heute Umsatz aus der Betreuung der gleichen Software bei Partnern oder bei der Entwicklung und dem Vertrieb von Zusatzmodulen.

Voraussetzungen sind ein gewisses Maß an digitaler Affinität, ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin mit etwas Programmier- und/oder Web-Erfahrung, Kenntnisse der Rechtslage und ein offenes Ohr für die Bedarfe der Kunden. Eine frühzeitige Beschäftigung mit FOSS ist auf jeden Fall besser, als dem Trend irgendwann hinterherzurennen.

Auf geht's!

Machen wir uns nichts vor: Viele der Zielländer des deutschen Berufsbildungsexports sind uns in Sachen Digitales weit voraus, zumindest was die Selbstverständlichkeit der Nutzung angeht und die klaren Anforderungen an den Nutzen. Auch als nicht auf Digitallösungen spezialisierter Anbieter kann man da mithalten und vielleicht ein neues Geschäftsfeld erobern, zumindest aber Komplettlösungen anbieten und im Wettbewerb bestehen, ohne das Rad − oder wie man auf dem Balkan sagt, "heißes Wasser" − neu zu erfinden.


Fachartikel "Digitalisierung in der Berufsbildung – ganz umsonst?"

Dieser Fachartikel ist dem aktuellen iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 1/2020, entnommen. Dort ist der Artikel um Ausführungen zu den Punkten "Rechtliches", "Open Educational Resources", "UNESCO-UNEVOC ruft sein erstes Zuschussprogramm ins Leben", "Aus der Praxis: Umfrageplattform" und "Bezugsquellen" ergänzt.

  • Autor: Thorsten Trede, Managing Director APPLICATIO Training & Management GmbH

xPORT 1/2020

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Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 01/2020