Das mongolische Sandwich

Soft Skills sind überall wichtig, aber nicht überall gleich! Lesen Sie dazu einen Artikel aus xPORT 2/2023!

Grafik einer Frau, die in ein Megafon spricht
LuckyN/Shutterstock.com

Schon bei der Definition des Begriffs Soft Skills stößt man schnell an seine Grenzen: Mal sind "überfachliche, persönliche Fähigkeiten" (was dem Begriff "Skills" nahekommt) gemeint, mal aber auch "persönliche Eigenschaften, Einstellungen oder Charakterzüge" (die gerade keine "Skills" oder Fähigkeiten darstellen). Und trotz mangelnder eindeutiger Definition bewegen wir uns auch noch ins Ausland und exportieren unsere Soft-Skill-Expertise. Unser Ziel ist der sogenannte "Globale Süden". Auf geht‘s − im Auftrag der Entwicklungszusammenarbeit nach Afrika und Asien, nach Namibia, Afghanistan und in die Mongolei.

Achtung Spoiler: Eines zeigen die Erfahrungen in der Vermittlung von Soft Skills im Ausland ganz klar: Sie sind überall wichtig, vielleicht wichtiger denn je, aber sie sind gleichzeitig überall anders.

Moderatorentraining in der Mongolei

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) setzt im Auftrag vor allem des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Entwicklungsprojekte weltweit um.

In der Regel werden die Aktivitäten im Rahmen eines Vorhabens zu Beginn des Jahres mit den Partnern im Detail geplant. Dazu bedient man sich sogenannter Operationsplanungsworkshops, in denen entlang der Ziele Aktivitäten geplant und abgestimmt werden. Das ist eine typische Aufgabe für Moderatorinnen und Moderatoren, die dabei fachunabhängig (oder, um bei der Definition des Begriffs Soft Skills zu bleiben, "überfachlich") das Planungsteam zum Ziel führen. Internationale Fachkräfte sind teuer und Flugreisen erzeugen unnötig Kohlendioxid; es liegt also nah, lokale Moderatorinnen und Moderatoren zu befähigen.

Am Anfang steht – wie wohl bei jedem Training – die Frage: Welche Fähigkeiten müssen vorhanden sein und welche davon sind es eventuell noch nicht? Mit dem Ergebnis dieser Analyse geht es für uns dann auf in die Mongolei.

Auf dem Programm steht, Mitarbeitende der Projekte fortzubilden und ihnen die "soften" und manchmal gar nicht so "soften" Skills an die Hand zu geben: Präsentationstechnik, Kommunikation, konstruktives Feedback und Moderationstechniken − eine gute Mischung aus methodischen und sozialen Soft Skills. Der Kurs soll dreimal drei Tage mit Pausen dauern und auch ein Ferncoaching bei der Planung und Umsetzung der ersten eigenen Moderation der Teilnehmenden umfassen, alles mit konsekutiver Übersetzung ins Mongolische.

Erwartungsvoll finden sich alle zukünftigen Moderatorinnen und Moderatoren ein. Kaum ist die Vorstellungsrunde geschafft, wird es auch schon spannend. Wir wollen gemeinsam versuchen, die Rolle des Moderators und der Moderatorin zu definieren, um daraus zusammen mit den Teilnehmenden die Fähigkeiten (und auch Haltung und Einstellung) abzuleiten.

Die scheinbar einfache Frage "Was ist ein Moderator oder eine Moderatorin?" wird schon zur Herausforderung, denn im Mongolischen gibt es zwar den Begriff "Moderator", der kommt aber nur im Fernsehen vor. Mit Latein (moderator: "Mäßigender, Lenker") muss man hier niemandem kommen. Nach intensiver Diskussion einigen wir uns darauf, den Begriff "Moderator", den es, wie gesagt, im Fernsehen ja schon gibt, mit neuer Bedeutung "aufzuladen" und zu nutzen. Gemeinsam definieren wird die Rolle und den Begriff, um eine Haltung und passende Methoden, Techniken und Fähigkeiten vermitteln zu können.

Am Ende des Kurses sind die ersten 15 nationalen "Moderatorinnen und Moderatoren" (wie in der Mongolei oft der Fall, sind es deutlich mehr Frauen als Männer) zertifiziert. Einige moderieren noch heute und füllen die Rolle erfolgreich aus, nutzen neue Kommunikationstechniken, präsentieren gekonnt und jonglieren mit Moderationskarten in einem Wald aus Pinnwänden, dass es eine wahre Freude ist.

Fazit: Im Ausland kann nicht nur die Sprache bei Fortbildungen einer Herausforderung sein, sondern es können auch schon grundlegende Definitionen und Begriffe zu Unklarheiten führen, die es auszuräumen gilt.

Afghanische Methoden

Schon Jahre zuvor, als das noch relativ sicher möglich war, sollten im Auftrag des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in Afghanistan Verwaltungsbeamte neben Verwaltungstechniken auch Soft Skills erlernen. Unter den Teilnehmenden waren viele Frauen, die allerdings oft nicht allein kamen: Ein Onkel oder ein Bruder oder beide begleiteten die Frauen und saßen "schützend" drei Wochen lang jeden einzelnen Tag tapfer hinter ihnen.

Aber dabei blieb es nicht: Wenn die Frauen im Rahmen einer Übung beispielsweise eine Verhandlung leiten oder auch nur eine Kurzpräsentation halten sollten, standen ihre männlichen Begleiter mit dabei. Die Teilnehmerinnen konnten noch so viel lächeln, alle Techniken des "Active Listening" anwenden oder paraphrasieren − die männlichen Begleiter machten jeden Eindruck "kaputt". Es bedurfte eben nicht nur der Entwicklung von Soft Skills bei den Teilnehmerinnen, sondern auch bei den Begleitern.

Gegen Mitte des Programms kam eine Teilnehmerin mit der Frage auf die Trainer zu, ob man nicht besser afghanische Methoden lehren könnte statt der internationalen. Die Antwort, dass wir Trainer und Trainerinnen aus Deutschland die afghanischen Methoden gern von ihr lernen würden und sie doch versuchen sollte, die Anpassung unserer Methoden und Tipps auf den afghanischen Kontext im Workshop gemeinsam mit uns und den anderen Teilnehmenden zu diskutieren, ließ sie etwas verwundert zurück.

Fazit: Der Export von Wissen und Können ist sinnvoll. Er folgt aber nicht immer und automatisch das erwartete Echo und eine Kontextualisierung von Soft Skills ist immer notwendig.

Das mongolische Sandwich und die Zeit

Zurück in die Mongolei. Ein typisches Thema beziehungsweise eine wichtige Kompetenz im Werkzeugkasten der Soft Skills ist das Thema "Feedback": Konstruktiv, positiv und wertschätzend soll es ausfallen und offen und selbstkritisch empfangen werden.

Eine hohe Kunst, die zu erlernen man nur in die Mongolei fahren muss (was dann wohl ein Bildungsimport wäre). Eigentlich sollte sie das Team aus deutschem Trainer und deutsch-mongolischer, gleichzeitig übersetzender Co-Trainerin vermitteln – aber die Trainierenden wurden zu Lernenden. Niemand beherrscht die Kunst, Kritik zwischen zweimal Lob zu verpacken, so wunderbar wie unsere Teilnehmenden aus der Mongolei. Sie sind solche Meister darin, dass am Ende nur das Positive bleibt und Selbstreflexion ausfallen muss, da die kritisch-konstruktive Anmerkung so gut verpackt wurde, dass sie nicht mehr identifiziert werden kann. Aus unserer Sicht machten die Teilnehmenden am Ende das Richtige − aber machen Sie es auch richtig?

Auch Zeitmanagement gehört zu den Soft Skills. Und wenn Deutsche etwas – zumindest gerüchteweise – können, dann ist es, pünktlich zu sein. Das ist gewiss ein Klischee, aber dennoch ein Thema, das auch in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit eine Rolle spielt. Man muss Berichtsfristen einhalten, Zeit- und Aktivitätenpläne erstellen, diese mit Leben füllen und, und, und. Es gilt daher, Personal entsprechend zu befähigen und Zeitmanagementmethoden zu vermitteln.

Also steht Zeitmanagement auf dem Programm. Es werden A-B-C-Analysen erprobt, Dringlichkeit versus Wichtigkeit diskutiert, Gantt-Diagramme erstellt und persönliche Zeitfresser ermittelt. Das alles in einem Land, in dem man vor allem im persönlichen Kontakt kommuniziert und Verkehrsstaus jeden Zeitplan schon vor seiner Erstellung ad absurdum führen.  Aber es klappt − zu gut.

Ein Jahr später erreicht uns ein verzweifelter Anruf: Ein Teilnehmer meldet sich – was nach so langer Zeit eine Freude und ein gutes Zeichen zugleich ist – und vermeldet, dass wir sein Leben "versaut" haben. Nichts funktioniert mehr, nichts geht. Er hat vollumfängliche Pläne, er plant hocheffizient, nichts frisst seine Zeit. Theoretisch! Rein praktisch ist er am Ende, denn niemand spielt mit. Er ist pünktlich und vorbereitet bei jedem Treffen, hat eine Agenda und Meilensteine − nur sonst ist niemand da. Und wenn dann irgendwann jemand erscheint, sind alle Pläne egal.

Soft Skills sind stark kulturell beeinflusst. Wenn alle gleichermaßen unpünktlich sind, dann treffen sich alle zur gleichen Zeit − nur dann nicht, wenn nur einer oder eine pünktlich ist. Die mongolische Gesellschaft ist kontextreich, beziehungsorientiert, eher risikofreudig und polychron. Diese interessante Mischung von Kollektivismus und Individualismus beeinflusst am Ende auch das "Richtig" bei der Anwendung von Soft Skills.

Fazit: Selbst grundlegendste Soft Skills müssen im kulturellen Kontext hinterfragt und zumindest bei der Vermittlung diskutiert werden. Die Teilnehmenden bringen sich dabei gern ein.

Präsentieren in Namibia

Zu den typischen Soft-Skill-Trainings – und das nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit – zählen solche zu Präsentationstechniken inklusive Rhetorik, Sprache und non-verbale Kommunikation. Mit reichlicher Auslanderfahrung gesegnet, nutzen wir als Trainerinnen und Trainer so oft wie möglich non-verbale Kommunikationsmittel, gerade dann, wenn Workshops und Trainings übersetzt werden. Das kann auch danebengehen. In Bulgarien schüttle ich auf eine Frage hin überzeugt den Kopf und vermittle damit unbeabsichtigt ein überzeugendes non-verbales "Ja". Soft Skills sind so wichtig, weil sie eben auch nicht einfach und universell sind.

In Namibia geht es aber auf Englisch und das macht es schon einfacher. Dennoch lernt man schnell, dass "soft" keineswegs "weich" im Sinne von simpel oder gar "Wischiwaschi" bedeutet. Je traditioneller die Teilnehmenden, desto klarer wird: Natürlich kommunizieren wir wertschätzend und auf Augenhöhe − aber erst, wenn der Älteste gesprochen hat, und dann auch nur in seinem Sinne. Natürlich wenden wir uns beim Präsentieren dem Publikum zu − aber eigentlich ist das Publikum zuerst einmal immer der Chef. Und am ehesten entwerfen wir die Präsentation und lassen sie dann vom Chef halten − der sie dann auch mal gar nicht kennt (das soll allerdings auch andernorts vorkommen, zum Beispiel bei uns).

Fazit: Das schönste Wissen um Präsentationstechniken nützt nicht viel, wenn sie von anderen Verhaltensregeln überlagert werden.

Soft Skills interkulturell begreifen und trainieren

Interkulturelles Management und die entsprechende Kommunikation gehören auch zu den Soft Skills. Gerade als Bildungsanbieter sollte man diese Fertigkeiten auch einsetzen. Soft Skills sind universell wichtig, der Export von Expertise in diesem Bereich sicherlich sinnvoll. Sie sind aber eines nicht: überall gleich.

Soft Skills sollen dem Nutzer Fähigkeiten an die Hand geben, erfolgreich seine oder ihre Fachexpertise zur Anwendung zu bringen. Dafür müssen die Soft Skills – und natürlich auch ihre Vermittlung– an den Kontext, das Land, die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer und deren Kultur angepasst sein. Was uns in Deutschland erfolgreich macht – ob als Ingenieurin, Ingenieur, IT-Spezialistin, IT-Spezialist, Pflegekraft, Tischlerin oder Tischler − macht jemand anderen irgendwo auf der Welt auch erfolgreich − aber eben nicht auf genau die gleiche Weise. Präsentieren, Verhandeln, Zuhören, Planen muss man fast überall, aber nicht immer führt das gleiche Rezept zum Erfolg.

Soft-Skills-Training ist kein Produkt, das man beim Export in andere Länder unverändert hervorholen und verkaufen kann. Es gilt, nicht nur die Zielgruppe und ihre Vorkenntnisse, sondern auch ihren Kontext und ihre kulturellen Besonderheiten genau zu kennen und zu berücksichtigen.

  • Autorin und Autor: Gerelchimeg Chuluunbaatar-Trede, Head of Asia Division, und Thorsten Trede, Managing Director, der APPLICATIO Training & Management GmbH

xPORT 2/2023

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Quelle: iMOVE