Argentinien: Bereiche mit Aus- und Weiterbildungsbedarf

viele junge Argentinier in Schutzkleidung bilden eine Gruppe und lachen in die Kamera
© Agaton Nachtigall/BBZ

Die Landwirtschaft ist ein wichtiges Standbein für Argentiniens Wirtschaft. Die fortschreitende Technisierung des Sektors erfordert eine veränderte Ausbildung.

In weiteren Bereichen gibt es konkreten Bedarf an Aus- und Weiterbildung. Welche und wo Anknüpfungspunkte für den Bildungsexport bestehen, lesen Sie im folgenden Auszug aus der neuen iMOVE-Marktstudie Argentinien.

Argentiniens Präsident Mauricio Macri hat große Pläne im Bildungssektor und möchte die berufliche Bildung vermehrt in den Fokus seiner Politik nehmen, um so den Arbeitsmarkt zu stabilisieren und zu stärken.

Wenn auch derzeit noch keine Gelder zur Untermauerung dieses Vorhabens fließen, so hat er zumindest einen Dialog zwischen verschiedenen Akteuren der beruflichen Bildung angestoßen. Es ist davon auszugehen, dass, sobald finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, Investitionsmöglichkeiten für berufliche Aus- und Weiterbildungsprogramme geprüft werden. So zeigt Macri einen politischen Willen zur Veränderung, verfolgt aber derzeit noch andere Prioritäten.

Dass in der beruflichen Aus- und Weiterbildung dringend Veränderungen nötig sind, zeigt ein wachsender Fachkräftemangel in Argentinien, insbesondere in technischen und handwerklichen Berufen. Das Defizit zeigt sich auch in Wachstumssektoren, die aufgrund ihres schnellen Wachstums den Mangel weiter steigern. Zu diesen Sektoren zählen insbesondere die hochtechnisierte Landwirtschaft, die erneuerbaren Energien und hochmoderne Technologiebranchen.

Diese Sektoren sind für private deutsche Bildungsanbieter besonders interessant, da es vielfach keine etablierten Ausbildungsgänge gibt. Stattdessen bietet das ein oder andere Unternehmen sporadische Möglichkeiten der Weiterbildung. In der Konsequenz gibt es für Bildungsexporteure ein riesiges Marktpotenzial.

Die Entwicklung der hochtechnisierten Landwirtschaft ist für die gesamtwirtschaftliche Situation in Argentinien sehr wichtig, da die Landwirtschaft ein wichtiges Standbein ist. Das Produktionswachstum soll innerhalb der nächsten fünf Jahre um 50 Prozent steigen. Eine gesteigerte Produktivität erfordert einen höheren Grad an Digitalisierung. Diese teilweise enormen Veränderungen rücken die Einführung neuer Ausbildungselemente in der Landwirtschaft in den Vordergrund.

Neben der Landwirtschaft gibt es eine Reihe weiterer Bereiche, in denen ein konkreter Bedarf an Aus- und Weiterbildung besteht.

Duale Ausbildung

Die aktuelle Regierung hat erstmals anerkannt, dass das argentinische Bildungssystem einige Defizite aufweist, und dass Handlungsbedarf in Richtung einer grundlegenden Verbesserung des Systems besteht. So werden derzeit auch in der beruflichen Bildung neue Wege und Alternativen zum Bestehenden erforscht und mit verschiedenen Akteuren diskutiert.

Die duale Ausbildung ist momentan eines der vorherrschenden Themen im bildungspolitischen Diskurs. Generell werden in Argentinien die Länder Deutschland und Australien mit einer dualen Ausbildung in Verbindung gebracht.

Im australischen Modell werden die Auszubildenden vom Unternehmen finanziert und ausgebildet. Im Unterschied zum deutschen dualen System übernimmt der Staat jedoch einen großen Teil der Ausbildungskosten des jeweiligen Unternehmens. Dieses Modell verspricht im argentinischen Fall einen größeren Erfolg. Denn in Argentinien ist man überzeugt, dass der Staat die Verantwortung für die Ausbildung seiner Bürgerinnen und Bürger trägt.

In jüngster Vergangenheit fanden diverse Besuche deutscher Regierungsvertreterinnen und -vertreter in Argentinien statt, bei denen es auch um das duale Berufsbildungssystem ging. Hieraus ergibt sich ein aktueller Anknüpfungspunkt für deutsche Bildungsanbieter, die die politischen Diskurs für sich nutzen können.

Einführung praktischer Elemente in der Sekundarstufe

Aktuell ist für die Entwicklung der beruflichen Aus- und Weiterbildung die Einführung praktischer Ausbildungsinhalte an Sekundarschulen ein Kernelement. Als wesentlichen Punkt für die Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten sieht die neue Regierung den Ausbau beruflicher Praktika für Studierende des letzten Jahres an der jeweiligen Sekundarschule. Durch diese Maßnahme sollen argentinische Schülerinnen und Schüler besser auf die Berufswelt vorbereitet werden und Alternativen zu einer universitären Ausbildung frühzeitig kennenlernen.

Zur Unterstützung wird im argentinischen Parlament derzeit ein Gesetzentwurf mit dem Titel "Aprender Practicando" (deutsch: praktisch lernen) diskutiert. Der Entwurf sieht vor, dass in Kooperation mit lokalen Unternehmen am Ende der Sekundarschule Praktika angeboten werden. Es soll zudem eine Möglichkeit geschaffen werden, dass die Schülerinnen und Schüler im Anschluss an ihre Praktika von den Unternehmen als Auszubildende übernommen werden.

Im Vorfeld des Gesetzentwurfes wurden bereits verschiedene Pilotprojekte nach diesem Vorbild mit großem Erfolg durchgeführt. Die Gewerkschaften sollen dabei als Kontrollinstanz eine zentrale Rolle einnehmen.

Das vorgeschlagene Gesetz verdeutlicht die Bereitschaft der Politik, zum jetzigen Zeitpunkt in die Einführung praktischer Elemente in der Sekundarstufe zu investieren. Neben Praktika will man weitere praxisbezogene Elemente einführen, die in großen Teilen von inländischen Anbietern nicht bereitgestellt werden können.

Ausbildung im Handwerk

Die berufliche Bildung erfährt insbesondere im Handwerk nur eine geringe gesellschaftliche Wertschätzung. Lediglich die Technikerausbildung genießt ein höheres Ansehen. Mit der bestehenden Ausbildung weisen handwerkliche Fachkräfte auch große Defizite auf. Eine Ausbildung für Handwerkerinnen und Handwerker aller Art gibt es de facto nicht, auch ein Abschluss vergleichbar mit dem deutschen "Meister" gibt es in Argentinien nicht.

Es gibt zwar Fachkräfte, die handwerkliche Tätigkeiten ausüben, diese haben sich ihre Fachkenntnisse allerdings oft selbst angeeignet. Handwerkerinnen und Handwerker haben in Argentinien einen entsprechend schlechten Ruf, denn ihre Arbeit wird von vielen Auftraggebern als unzureichend empfunden. Eine Ausbildung in diesem Bereich ist Voraussetzung für die Verbesserung dieser Situation. Deutsche Unternehmen können hierzu mit passenden Referenzen beitragen.

In diesem Bereich sieht auch die argentinische Politikerin Cornelia Schmidt-Liermann ein großes Ausbaupotenzial und bezeichnet die Einrichtung einer Handwerkskammer als nächsten notwendigen Schritt in der beruflichen Ausbildung. Hierin sieht sie einen Lösungsansatz für den Aufbau einer institutionalisierten Berufsbildung für das Handwerk.

Derzeit bietet sich dieser Fachkräftegruppe zwar die Möglichkeit, an mehrwöchigen weiterbildendenden Kursen teilzunehmen, eine Ausbildungsmöglichkeit besteht aber nicht.

Dies wird beispielsweise im Gebäudebau als ein großes Defizit bewertet. Die Bauindustrie Argentiniens bietet zum jetzigen Zeitpunkt zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Sanierungs- und Ausbaubedarf von Gebäuden bezieht sich vorrangig auf staatliche Einrichtungen wie Schulen.

Informationsangebote für Sekundarschüler

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) identifiziert als zentralen Ansatzpunkt für ein verbessertes Verhältnis zwischen den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den zur Verfügung stehenden ausgebildeten Fachkräften den Ausbau der Informationsangebote. Hierbei steht insbesondere die Vorbereitung von Sekundarschulabgängerinnen und -abgängern auf alle potenziellen Ausbildungsmöglichkeiten in der Kritik.

Konkret prangert die OECD folgenden Missstand an: Die Absolventinnen und Absolventen kennen die Optionen der beruflichen Ausbildung nicht gut genug und nehmen sie folglich auch nicht als Alternative zum klassischen Werdegang an der Universität wahr. Politische Anstrengungen sollten vermehrt in Richtung einer soliden Berufsberatung gehen, die die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts berücksichtigt.

Da es derzeit kein funktionierendes System zur fachkundigen Berufsberatung gibt, werden auch Informationssysteme aus dem Ausland in Zukunft nachgefragt. Private Bildungsanbieter mit einem gut funktionierenden und weitreichenden Informationssystem profitieren von diesem Missstand.

Dieser Punkt ist auch ein Anknüpfungspunkt, denn Anbieter ohne eine zielführende Marketingstrategie haben es schwer, gegen die dominierenden Universitäten anzukommen. Dies bestätigte auch ein Interviewpartner, der im Rahmen der iMOVE-Marktstudie Argentinien befragt wurde. Der Interviewpartner betonte, dass sich private Bildungsanbieter eine gute Ausgangsposition schaffen, indem sie an Sekundarschulen, Hochschulen und Berufsbildungsschulen auftreten und ihre Angebote den Studierenden vorstellen.

Marktstudie Argentinien

Titelbild der Marktstudie zum Bildungsmarkt Argentinien

Bildungsmarkt Argentinien

wehende Nationalflagge Argentinien

Quelle: iMOVE, Auszug aus der iMOVE-Marktstudie für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, 2018