Bildungsboom in den Golfstaaten

Die Wirtschaftswoche berichtete jüngst unter den Titeln "Öl-Milliarden speisen Bildungsboom im Persischen Golf" und "Saudi-Arabien sucht nach seiner Zukunft" über die Stellung der Bildung in der arabischen Region.
 
 

  • 21.07.2008, Autor: Sebastian Matthes

    Öl-Milliarden speisen Bildungsboom im Persischen Golf

    Mit Öl-Milliarden finanzieren die Länder am Persischen Golf einen beispiellosen Bildungsboom. In der Wüste soll ein Wissens-Drehkreuz entstehen, das Studenten aus der ganzen Welt anzieht.

    Überall Sand. Sand brennt in den Augen, Sand knirscht zwischen den Zähnen, Sand wird immer wieder aufgewirbelt von dem heißen Wüstenwind. Doch heute setzt der Mini-Wüstenstaat Katar dem Sand etwas entgegen: Wasser. Genauer gesagt, die Wassermusik von Georg Friedrich Händel. Auf einer Insel in einem künstlichen See spielt das Royal Philharmonic Orchestra aus London den Dauerbrenner der Klassik-Hitparaden. Auf der Bühne gegenüber stehen 122 junge Menschen mit Talaren. Allesamt sind sie eine kleine Sensation: Sie sind der erste Abschlussjahrgang der Education City, einem der ambitioniertesten Bildungsprojekte unserer Tage.

    Vor zehn Jahren war hier nur Wüste. Dann war es die Herrscherfamilie Katars leid, ihre Milliarden aus dem Erdgasgeschäft nur in Autorennen und Tennisturniere zu investieren. Sie überredeten amerikanische Spitzenuniversitäten, am Rande von Doha, der Hauptstadt des Golf-Wüstenstaates, eine Niederlassung zu eröffnen.

    Heute ist die Wüste am Stadtrand ein Hybrid aus Science-Fiction- und Architekturmuseum. Manche Gebäude sehen aus wie Ufos, die gerade im Sand gelandet sind, andere wie Pyramiden. Starbucks, Schwimmbad, Golfplatz und Fitnessstudio sind in Laufnähe. Die Gebäude sind so großzügig geplant, dass sich die rund 1100 Studenten in den breiten Korridoren verlieren. Und in kühl klimatisierten Räumen lernen junge Männer und Frauen aus der ganzen Welt bei Professoren der feinsten Bildungsadressen der USA.

    Das Weill Medical College der Cornell University bildet Ärzte aus, Virginia Commonwealth sorgt für Designer-Nachwuchs, Carnegie Mellon trainiert Computerexperten und Jung-Manager, das Texas A&M College Ingenieure und die Georgetown University unterrichtet Diplomatie.

    Die Top-Adressen der Disziplinen, versammelt auf einem Campus, in einer 14 Quadratkilometer großen Stadt nur für Bildung: Das ist die Education City.

    Bildungsrausch am Persischen Golf

    Am Persischen Golf herrscht ein Bildungsrausch. Wie Katar finanzieren auch die Emirate Dubai und Abu Dhabi, das Sultanat Oman und Saudi-Arabien mit Milliarden aus dem Öl- und Gasgeschäft hypermoderne Bildungsstätten. Sie zahlen Universitäten aus aller Welt Millionen, damit sie Niederlassungen in der Wüste aufbauen. Und sie locken Studenten mit angenehmen Studienbedingungen und attraktiven Stipendienprogrammen.

    Die Zeit drängt. Über sieben Prozent Wachstum meldeten die Vereinigten Arabischen Emirate 2007, ebenso Katar. Die Unternehmen müssen Fachkräfte im Ausland einkaufen, weil die Hochschulen vor Ort den Bedarf schon lange nicht mehr decken. Nicht, weil sie zu wenig ausbilden: Ihr Standard ist schlichtweg zu niedrig.

    So gut wie nie schaffen es die Universitäten der muslimischen Welt in internationale Ranglisten. Nur auf drei Themengebieten haben arabische Wissenschaftler in den vergangenen Jahren überhaupt beachtete Forschungsarbeiten veröffentlicht: in der Meerwasserentsalzung, der Kamelreproduktion und der Falkenjagd.

    Laut Thomson Reuters produzierten 45 muslimische Staaten mit 1,3 Milliarden Einwohnern zwischen 2001 und 2005 nur etwas über drei Prozent der Artikel in naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften – ein wichtiger Indikator für die Forschungsleistung. Alleine aus Deutschland stammen 8,6 Prozent der Beiträge. Ein Grund dafür ist, dass die 22 Länder der Arabischen Liga im Schnitt nur 0,2 Prozent des Inlandsprodukts für Bildung ausgeben, in den deutschen Bundesländern sind es 2,5 Prozent.

    Die Folge: Unter einer Million Einwohnern finden sich in arabischen Ländern nur 371 Wissenschaftler – deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt von knapp 1000.

    Zudem setzen die Hochschulen der Region auf Auswendiglernen, nicht auf Lösungskompetenz, bemängeln Kritiker. Deswegen haben die Studenten international keine Chance. Wer mehr will, geht nach Europa oder Nordamerika. So sehr die Welt von den Rohstoffen der Golfländer abhängig ist, so abhängig sind die Golfstaaten von dem Wissen der westlichen Welt.

    Die Education City soll den Braindrain stoppen, und das könnte funktionieren. Schon heute ist jeder zweite Student Ausländer. Menschen aus mehr als 50 Nationen studieren hier, darunter aus vielen Ländern der muslimischen Welt, aber auch aus Nordamerika, Australien und Europa.

    Bildung in der Wüstenhitze – Matthias Müller kann das nur empfehlen. Vor drei Jahren bekam sein Vater ein Jobangebot in Katar. Die Familie zog von München an den Golf. Nach der Schule schaffte der 20-Jährige die Aufnahmeprüfung an der Texas A&M und studiert nun Elektrotechnik.

    In guter Umgebung. In seinen Seminaren sitzen selten mehr als 20 Kommilitonen, sie lernen bei Professoren, die andere Studenten nur aus Lehrbüchern kennen, und die Uni ist technisch auf dem neuesten Stand: Sogar ein eigenes 3-D-Kino gibt es auf dem Campus – das Einzige in ganz Katar. Und als Müller mit Kommilitonen auf einer Exkursion in die USA reiste, zahlte die Uni alles: Flug, Freizeitprogramm und Vollpension im Hilton.

    Luxus-Bedingungen für Studenten

    Rund 15.000 Dollar kostet das Studium an der Texas A&M im Jahr. So viel zahlen auch seine Kommilitonen in den USA. Wer aber zum Studium in Katar zugelassen wird, bekommt bei Bedarf noch ein zinsloses Darlehen, ein luxuriöses Zimmer im Studentenwohnheim und Heimflüge zur Familie. Und wer nach dem Abschluss länger als vier Jahre in Katar arbeitet, muss das Darlehen nicht einmal zurückzahlen.

    In Katar weiß man genau, dass das Projekt nur gelingen kann, wenn viele bleiben. 300 Millionen Dollar investierte das Emirat deswegen in einen Wissenschaftspark. Auf dem Campus der Education City sollen internationale Konzerne Entwicklungsarbeit erledigen und die jungen Absolventen beschäftigen. Auf 45.000 Quadratmetern entstehen Büros, Laborräume und Konferenzhallen. EADS, Microsoft, Shell und Total haben bereits zugesagt, rund 225 Millionen Dollar in der Education City zu investieren.

    Demnächst soll in der Nähe des Wissenschaftsparks noch das Sidra-Medical-Research-Krankenhaus seinen Betrieb aufnehmen. Die Kosten: acht Milliarden Dollar. Mit dieser gigantischen Investition will das Land in der medizinischen Forschung Taktgeber der gesamten Region werden.

    Die Studenten der Education City sind vermutlich die teuersten der Welt. Und die Verantwortlichen des Projekts räumen ein, dass es billiger wäre, sie in einem Fünf-Sterne-Hotel in den USA abzusetzen und an einer Elite-Uni vor Ort anzumelden. Doch dann müsste das Know-how weiterhin importiert werden. Damit soll Schluss sein.

    Wenn Öl und Gas aufgebraucht sind, wollen die Länder am Golf längst ein Drehkreuz des Wissens sein. Deswegen werde man sich mit „einer anderen Art des Lehrens und Lernens“ auf den Weg in eine „wissensbasierte Gesellschaft“ machen, sagt das für die Education City zuständige Mitglied der Herrscherfamilie Abdullah al-Thani. Wie ernst das gemeint ist, sieht man einige Hundert Kilometer südöstlich von Katar – in Abu Dhabi.

    Ausgerechnet die Sorbonne hat in dem reichsten der Vereinigten Arabischen Emirate eine Niederlassung eröffnet. Jene Uni, die als Symbol für westliche Wissenschaft gilt und die immer wieder Schauplatz systemkritischer Proteste wird. „Wir sind hier, um kritisches und freies Denken in den Lehrbetrieb zu bringen“, sagt Ronald Perlwitz, der an der Sorbonne Abu Dhabi Angewandte Fremdsprachen lehrt. Die Bedingungen dafür sind gut. In Paris scheiterte manches Projekt alleine daran, dass weißes Papier fehlte, erinnert sich Perlwitz: „Überall musste gespart werden.“

    Im neuen Bildungsrausch kennt man keine Geldsorgen. Abu Dhabi überwies der New York University 50 Millionen Dollar, damit die weltbekannte Alma Mater eine Kopie ihres Campus’ in die Wüste pflanzt. Dubai legte einen Zehn-Milliarden-Dollar-Fonds für eine neue Wissensstadt nach. Und Katar zahlte vermutlich noch mehr für die Education City – über seine Bildungsausgaben schweigt das Emirat.

    Das Geld reicht jedenfalls für ein beachtliches All-inclusive-Paket: Katar bietet den Hochschulen mietfrei neue Gebäude, bezahlt die Professoren und spendiert ihnen voll ausgestattete Wohnungen plus Jeep vor der Tür. Die Bedingung: Die Zulassungsvoraussetzungen und Abschlüsse der Wüsten-Außenstellen müssen denen in den USA entsprechen.

    Im ersten Jahrgang scheint das gelungen zu sein. Das Niveau der Studenten sei „vergleichbar mit dem der Kommilitonen in den USA“, sagt Daniel Alonso, Dekan des Weill Cornell Medical College in Katar. Kein Wunder, dass viele Absolventen des ersten Jahrgangs nun aus fünf Job-Angeboten wählen können – Männer wie Frauen.

    Das ist neu. In den Cafés auf dem Campus sitzen Studenten mit getrimmten Schnurrbart, zusammen mit blonden Frauen in Jeans, Kommilitoninnen in Sari und jungen Männern im Dischdascha, dem traditionellen arabischen Gewand. Sie lernen gemeinsam, bringen Projekte auf den Weg und treffen sich in ihrer Freizeit. Noch vor wenigen Jahren waren gemischte Schulklassen in Katar tabu – eine höhere Bildung für die Söhne der Familien vorbehalten. Deswegen sind die Frauen die eigentlichen Gewinner der Bildungsrevolution am Golf.

    Doch so gut die Lern-Umgebung sein mag: Kommilitonen aus dem Westen berichten, dass vieles gewöhnungsbedürftig sei in den neuen Wüsten-Unis. Dass es im Sommer mit 55 Grad so heiß wird wie anderswo nur in Dampfbädern und dass das Studentenleben „mau“ sei, sagt etwa Steven Stelljes, der an der Texas A&M studiert.

    Studentenkneipen, Speed-Dating-Abende und Erstsemester-Partys kennt man in Katar nur aus dem Fernsehen. Alkohol gibt es nur in Hotels, und ein Kulturprogramm wird gerade erst in aller Welt zusammengekauft. Wenn Studenten ausgehen, treffen sie sich deswegen vor dem Fernseher oder in den Kinos der Einkaufszentren. Meist endet der Abend – noch vor Mitternacht – in einer Teestube.

    Wer die Besten haben will, muss mehr bieten. Das hat sich auch bei den Verantwortlichen herumgesprochen. Sie haben im „Programing Board“ einige Studenten abgestellt, die mit einem eigenen Budget das Freizeitangebot aufpeppen sollen.

    Das Ergebnis: Bingo-Abende, Basketballturniere, Wüstentouren und ein kleines Filmfestival. Im nächsten Jahr sind Jazz-Konzerte geplant und Vorstellungen mit bekannten Comedians. Wie viel die Studenten ausgeben dürfen? Keine Details. „Aber es ist genug“, sagt Stelljes, der gerade zum Vorsitzenden dieser Studentenvertretung gewählt wurde, „um jede Menge zu organisieren.“

    So bleibt im neuen Bildungsrausch nichts dem Zufall überlassen. Nicht einmal das Studentenleben.

 
 

  • 25.07.2008, Autor: Michael Inacker

    Saudi-Arabien sucht nach seiner Zukunft

    Bildung als neue Ressource. Saudi-Arabien ist auf der Suche nach dem Überlebenskonzept für die Zukunft – eine stille Revolution von oben, in der Wirtschaft und Frauen eine zentrale Rolle spielen.

    Das neue Saudi-Arabien beginnt in Arizona. „Hier habe ich mir meinen Traum einer modernen Wohnkultur verwirklicht“, sagt in fließendem Deutsch der Geschäftsmann und Ingenieur Mohammed al-Bawardy und zeigt auf ein ganzes Stadtviertel, das er vor den Toren der saudischen Hauptstadt Riad errichtet hat. Arizona und der Wilde Westen waren seine geheimen Sehnsüchte aus Kindheitstagen – daher der Name für dieses 9000 Quadratmeter große Areal. Arizona hat al-Bawardy dieses Viertel aber auch deshalb genannt, weil er bewundert, wie die einstigen Siedler aus der amerikanischen Wüste eine moderne Industrielandschaft geformt haben. Genau das will al-Bawardy im Königreich der Wahhabiten auch: neue, westliche Management-Methoden, Energieeffizienz mit Solarkraft anstatt Verschwendung – vor allem aber ein neues Gesellschaftsbild: Frauen sind bei ihm Chefs und sitzen völlig unverschleiert an ihren Schreibtischen.

    So wie al-Barwardy gehört auch die Familie al-Mishari zu einer kleinen, aber immer größer werdenden Gruppe saudischer Unternehmer, die ihr Land verändern wollen. Abdul Rahman al-Mishari hat eine der ersten Privatkliniken des Landes gegründet. Inzwischen hat er die betriebswirtschaftliche und medizinische Verantwortung an Sohn Mohammed und Tochter Hadeel abgegeben. Die beiden haben ein hochmodernes Krankenhaus daraus geformt, das in Management, Qualität und Ausstattung einige deutsche Universitätskliniken in den Schatten stellt. Mit großem Stolz zeigt Mohammed al-Mishari den Video-Konferenzraum, aus dem live zu großen amerikanischen Kliniken geschaltet werden kann, um komplizierte Fälle, schwierige Diagnosen und Operationen zu beraten. Im Krankenhaus selbst arbeiten saudische und ausländische Ärztinnen und Ärzte eng zusammen.

    Wenn der saudische König Abdullah von einem neuen Dialog in seinem Land spricht, dann hat er Beispiele wie den Ingenieur al-Bawardy und die Klinikbetreiber al-Mishari im Blick. Er braucht deren Unternehmergeist, um sein Reich nicht nur auf das Zeitalter nach dem Öl vorzubereiten, sondern auch um es gesellschaftspolitisch aus dem Mittelalter zu holen. Bei dieser Revolution von oben soll die saudische Wirtschaft eine tragende Rolle spielen. Und die saudischen Unternehmen wiederum brauchen zur Ausfüllung dieser Rolle westliche Geschäftspartner. Das macht das Wüstenreich nicht nur zu einem weltweit umworbenen Geldgeber, sondern auch zu einem attraktiven Investitionsstandort. Der Handel wächst im Bereich Finanzdienstleistungen und IT – doch das ist der saudischen Führung zu wenig. „Unser Land will industrielle Partnerschaften, sucht Kontakt gerade auch zum deutschen Mittelstand“, sagt Suliman al-Sayyari von der saudisch-deutschen Entwicklungs- und Investmentgesellschaft Sageco. Der deutsche Mittelstand, so al-Sayyari, ist Job-Motor für industrielle Arbeitsplätze und „Vorbild für die Entwicklung in Saudi-Arabien“.

    König Abdullah will reformieren und ist dazu bereit, mit vielen Tabus zu brechen. Er, der auch den Titel „Hüter der beiden heiligen Stätten“ des Islam in Mekka und Medina trägt und dessen wahhabitische Tradition zu den konservativsten im Islam gehört, traf sich am 6. November des vergangenen Jahres sogar mit Papst Benedikt in Rom, um aus der religiösen Frontstellung seines Landes mit dem Westen herauszukommen. Wenige Monate zuvor hatte König Abdullah in einem Kreis saudischer und japanischer Intellektueller vor einer „Krise der Vernunft, der Ethik und der Menschlichkeit“ gewarnt, die die Menschheit erfasst habe.

    Das sprengt das Bild eines Landes, dessen alleinige Verfassung bis 1991 der Koran war und in dem die öffentliche Ausübung des Christentums unter Strafe steht. Dessen grüne Flagge das Glaubensbekenntnis des Islam trägt. Dessen Gesetze sich aus der Scharia ableiten und jegliche nicht-islamischen Gotteshäuser und Symbole untersagen. Und dessen Söhne nicht zuletzt 15 der 19 Attentäter des 11. September 2001 gestellt haben. Zwar bleibt der Islam auch heute zentrales Fundament staatlichen Handelns, aber Abdullah, seit August 2005 an der Staatsspitze, setzt sich systematisch vom radikalen Flügel der wahhabitischen Geistlichkeit ab.

    Dabei geht Abdullah geschickt vor. Er sucht selten die offene Konfrontation, sondern schafft einfach andere Strukturen, in denen das neue Saudi-Arabien gelebt wird. Beispielhaft sind dafür die „Economic Citys“: Insgesamt sechs neue Großstädte werden mitten ins bisherige Nichts der Wüste oder der Küsten gesetzt – das Gesamtvolumen der Anschubfinanzierung aus dem Staatshaushalt beträgt über 60 Milliarden Dollar. Bis 2020 sollen in diesen Städten 1,3 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, und zusammen sollen die neuen Ballungszentren 150 Milliarden Euro zum Bruttosozialprodukt des Landes beisteuern.

    Ten by Ten

    Entscheidend sei, so heißt es von westlichen Diplomaten in Riad, dass König Abdullah mit diesem Mega-Projekt städtische Gesellschaftsstrukturen schaffe, in denen der Einfluss der Geistlichkeit und der Religionspolizei zurückgedrängt werde. Jede dieser Städte hat ihren eigenen wirtschaftlichen Schwerpunkt: Mal geht es um Handel und Logistik, mal um Bildung, Wissenschaft und Forschung oder Informationstechnologie und Pharma sowie natürlich auch um Petrochemie. Das Projekt kommt einem riesigen Infrastrukturvorhaben gleich. Doch nur wenige deutsche Architekten und Bauunternehmungen nutzen bislang ihre Chance. Einzig die Deutsche Bahn konnte sich – ausgerechnet in Zusammenarbeit mit dem saudischen Bauunternehmen Bin Laden – Tranchen an wichtigen Eisenbahn-Trassen sichern.

    Zur Vermarktung des Reform-Aufbruchs hat sich das Königshaus eine weitere Neuerung einfallen lassen: Nicht die klassischen, für ihre Bürokratie kritisierten Ministerien von Wirtschaft und Handel spielen dabei die entscheidende Rolle, sondern die „Saudi-Arabian General Investment Authority“ (Sagia). Sie soll mit professionellen Marketing-Methoden Investoren anziehen und das neue Bild Saudi-Arabiens im Ausland verkaufen. Deshalb hat die Sagia nach Deutschland nicht einen verschlossenen und murrenden Saudi-Macho geschickt, sondern ihre Charmeoffensive: die medienwirksame Dahlia Rahaimy.

    Und während die Traditionsministerien vom König kurzgehalten werden, bekommt die Sagia nahezu alle Wünsche erfüllt. Wie viel Geld hinter der Sagia steckt, sieht man an deren repräsentativem Gebäude mitten in Riad. Wie in einem Märchen aus 1001 Nacht werden dort mit großen Modellen und computeranimierten Videopräsentationen faszinierende Geschichten zu den Economic Citys erzählt.

    Doch die Sagia ist mehr als nur Imagewerber. Ihrem Chef, Gouverneur Amr al-Dabbagh, hat der König Ministerrang im saudischen Kabinett eingeräumt. Al-Dabbagh will die Veränderung des Landes vorantreiben. Sein Ziel lautet „Ten by Ten“ – bis 2010 will Saudi-Arabien unter den zehn Ländern mit der größten Wettbewerbsfähigkeit sein. Dazu hat Sagia 300 konkrete Vorhaben aufgesetzt, die nach und nach mit der Regierung abgearbeitet werden – wie ein neues Versicherungs- und Gesundheitswesen, eine effektive Verwaltung oder moderne Schulen und Universitäten.

    Um all das zu erreichen, setzt die Sagia einen machtvollen Hebel ein: die Wahrheit. Die Wahrheit über den tatsächlichen Zustand der saudischen Wirtschaft. Dokumentiert werden Fortschritte und Defizite in regelmäßigen „Wettbewerbs-Berichten“. Dort heißt es in einem für Saudi-Arabien ungewohnten Ton: „Die Produktivität im Nicht-Öl-Sektor ist niedrig“, „ein überbordender Regierungsapparat könnte den Landesetat übermäßig belasten, zu wachsender Bürokratie führen und damit die Reformen der Vergangenheit gefährden“, darüber hinaus führe „die wachsende junge Bevölkerung zu einem Arbeitslosenproblem“. Zwar sei der Nicht-Öl-Sektor von 2000 bis 2006 um 6,1 Prozent – von niedrigem Niveau kommend – gewachsen. Aber dies Wachstum sei „deutlich unter dem 15,9-prozentigen Anstieg der Öl-Branche“.

    Saudi-Arabien, der größte Öl-Produzent der Welt, stellt sich der Einsicht, dass es seine Öl-Abhängigkeit beenden muss. Die Überjüngung der Gesellschaft birgt die Gefahr, dass sich der religiöse Extremismus in absehbarer Zeit explosionsartig ausbreiten könnte. Denn für die Millionen junger Menschen, die in den nächsten Jahren auf den Arbeitsmarkt drängen, gibt es bislang keine Job-Perspektive. Während die saudische Öl-Wirtschaft mit dem Staatskonzern Saudi Aramco an der Spitze für mehr als 50 Prozent des Bruttosozialprodukts steht, werden von dieser Branche nur zwei Prozent aller Beschäftigten beschäftigt. Natürlich wäre ohne den Öl-Boom der vergangenen Jahrzehnte und den aktuellen Preisentwicklungen des schwarzen Goldes der Reichtum Saudi-Arabiens nicht vorstellbar gewesen. Aber immerhin sollen bereits jetzt 10 bis 15 Prozent der erwerbsfähigen Saudis arbeitslos sein (genauere Zahlen liegen wegen fehlender Statistiken nicht vor). Selbst wenn man ein weiteres Wachstum von Arbeitsplätzen mit einer derzeitigen Rate von jährlich drei Prozent unterstelle, so moniert der Wettbewerbsreport der Sagia vom September 2007, werde dies wegen der großen Zahl heranwachsender Saudis keine Erleichterung bringen.

    Mehr als im Westen registriert wird, haben diese dramatischen Zahlen zu einem Bewusstseinswandel in Teilen der saudischen Elite geführt. Nicht mehr Öl gilt als Ressource der Zukunft, sondern Bildung und Ausbildung der eigenen Bevölkerung. König Abdullah und einige seiner Prinzen gehen inzwischen noch selbstverständlicher als zum Freitagsgebet zu öffentlichen Konferenzen mit Titeln wie „Towards a knowledge economy“, bei denen die Eliten und die Verwaltung auf Reformen eingeschworen werden sollen. Der achte Entwicklungsplan des Landes sieht bereits die Umwandlung Saudi-Arabiens in eine wissensbasierte Gesellschaft vor. Innerhalb weniger Jahre wurde die Zahl der Universitäten verdoppelt, rund ein Viertel des Staatshaushalts wird inzwischen für Bildung und Schule eingesetzt.

    Als Berater holten sich die saudischen Reformer Männer mit globaler Erfahrung – wie den Wettbewerbs-Ökonomen Michael Porter von der Harvard Business School und den ehemaligen Premierminister von Singapur Lee Kuan Yew. Bei einem bemerkenswerten Forum im Januar in Riad lobten die beiden die Fortschritte im Land. Die „Hardware“ – Infrastruktur, Logistik, Kommunikation, Bildungswesen – habe sich extrem verbessert. Nur bei der „Software“ – der Mentalität, der Kultur, der Bürokratie – gebe es nach wie vor große Hemmnisse. Lee Kuan Yew legte auch den Finger in die Wunde der saudischen Gesellschaft: Das Potenzial der Frauen müsse viel stärker genutzt werden.

    Mächtiger Kampf

    Damit tut sich Saudi-Arabien weiterhin schwer. So hielt Lee seinen Vortrag vor einem nach Geschlechtern getrennten Publikum: Zwar nahmen erstmals Frauen im selben Vortragssaal wie die Männer teil, doch zwischen den Geschlechtern gab es eine Trennwand. Die eine oder andere weibliche Teilnehmerin, die sich, durch einen falschen Eingang kommend, im Männerteil verirrte, wurde sofort des Platzes verwiesen.

    Derzeit tobt hinter den Glas- und Betonfassaden in Riad zwischen Reformern und Traditionalisten ein mächtiger Kampf. Dieser Konflikt ist härter als von außen sichtbar. Und sein Ausgang ist, wie alle Transformationsprozesse in autokratischen Systemen, nicht vorhersehbar. König Abdullah, der Sohn von einer der 21 Gemahlinnen des Staatsgründers ibn Saud, geht zwei Schritte vor, muss aber zur Beruhigung seiner Geistlichkeit, immer auch einen Schritt zurückgehen. Dennoch ist seine Stellung unangefochten und selbst seinen Kritikern imponiert, dass Saudi-Arabien dabei ist, Ägypten als politisch-wirtschaftliches Zentrum Arabiens abzulösen.

    Allerdings haben manche Reglementierungen – gerade für Frauen – groteske Züge. Genauso übrigens wie die Methoden zu deren Überwindung: Einer der modernsten und wirtschaftlich einflussreichsten Saudis ist Prinz al-Walid bin Talal al Saud. Von seinem Büro im 66. Stock des höchsten Gebäude Riads, des Kingdom Tower, hat er einen berauschenden Blick über eine Stadt, deren Randbezirke sich am Horizont im gelblichen Dunst der Wüste verlieren. Von hier kontrolliert er sein 23 Milliarden Dollar umfassendes weltweites Anlagevermögen (darunter City Bank und Apple). Seine Investmentbankerinnen und Managerinnen sind jung, hübsch, tragen kurze Röcke und zumeist langes, offenes schwarzes Haar. Hier oben kontrolliert die Religionspolizei das Einhalten der vorgegebenen religiösen Bekleidungsvorschriften nicht, aber der Prinz weiß um die Hemmnisse der saudischen Gesellschaft und hat seinen eigenen Weg gefunden, diese zu überwinden: Frauen dürfen beispielsweise nach wie vor nicht alleine Autofahren. Was macht seine königliche Hoheit Prinz al-Walid? Er engagiert für seinen Privatjet – eine Boeing 747 – eine Frau als Pilotin.

    Frauenpower auf der arabischen Halbinsel

    Das klingt wie ein Katz-Maus-Spiel bei Hofe. Doch so einfach ist der Wandel für die Gesellschaft nicht. Rückschläge sind möglich – gerade weil nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die gesellschaftliche Öffnung Saudi-Arabiens unverkennbar ist: Frauen, die noch vor einem Jahr nicht wagen durften, ohne Vater, Ehemann oder Bruder in die Öffentlichkeit zu gehen, treffen sich jetzt schon mal in einigen Bistros und Cafeterien der mondänen Hotels wie dem al-Faisaliah in der Hauptstadt. Sie kommen in kleinen Gruppen, teilweise noch mit der traditionellen Verhüllung des Gesichts, schauen sich um, nehmen Platz, legen dann die Kopfbedeckungen ab und fangen lustig an, bei Saudi-Champaign – Apfelsaftschorle – über Allah und die Welt zu diskutieren.

    Frauenpower auf der arabischen Halbinsel: Inzwischen sind mehr als die Hälfte der Hochschulabsolventen weiblich, und die Zeitung „Arab News“ räumt dem Karriere-Tag am Frauen-College der Prince-Sultan-Universität in der Wirtschaftsmetropole Jeddah eine halbe Seite ein.

    Viele junge Saudis sehen in der Bildung ihren Schlüssel zu einer Welt, die ihnen bisher verschlossen war. Männer und Frauen studieren im Westen, genießen Annehmlichkeiten, die ihnen vorenthalten waren. Sie kehren mit einem anderen Blick auf ihr Land zurück. Bei den daheimgebliebenen Globalisierungsverlierern erregen ihre Karrieren, ihr Harvard-Business-Englisch und westliche Manieren Misstrauen – die Distanz zu den arbeitslosen und unqualifizierten Bewohnern der Armenviertel wächst.

    Saudischer Weg

    König Abdullah geht einen schwierigen Weg. Wie so oft in der Geschichte bedeuten Reformen immer auch das Risiko des Kontrollverlusts über die selbst angestoßene Entwicklung. Wird man einem Volk, das dabei ist, seine wirtschaftliche Freiheit zu erobern, auf Dauer politische und auch religiöse Liberalität vorenthalten können? Bei dieser Frage werden saudische Gesprächspartner seltsam einsilbig. Sie hoffen auf einen „saudischen“ Weg. Die Geschäftsleute setzen vor allem auf eine Modernisierung des Rechtssystems. Dass die Globalisierung sich mit der Scharia rechtlich noch fassen lässt, glaubt in Riad niemand mehr. Und bei der politischen Teilhabe wird auf die wachsende Rolle des Madjlis al Shura hingewiesen. Das ist ein vom König eingesetztes Beratungsgremium, das keine Entscheidungen trifft, aber öffentlich sehr unbequeme Fragen stellen darf.

    Auch der Unternehmer al-Bawardy wurde inzwischen ins Madjlis berufen. Die Verwirklichung seines Traums im Viertel Arizona hat ihn wohlhabend und einflussreich gemacht. Heute ist er sich sicher, dass etwas vom Geist Arizonas, seines saudischen Arizonas, das Wüstenreich auch gesellschaftlich verändern wird.

Quelle: Internetseite der WirtschaftsWoche http://www.wiwo.de/, Artikel vom 21. und 25.07.2008