Berufsausbildung immer wichtiger in Portugal

Duales Ausbildungswesen nach deutschem Vorbild gefragt

Der seit Jahren von deutschen Stellen in Portugal geleistete Beitrag zur Berufsausbildung und Weiterbildung ist beachtlich. Er wird auch von den offiziellen portugiesischen Stellen anerkannt und deckt sich in vollem Umfang mit deren Vorhaben. Die Ausbildungsstätten verfügen über eine Vielzahl von Programmen. Hinzu kommen unzählige firmeninterne Fortbildungsmaßnahmen zur Hebung des Ausbildungsniveaus, Verbesserung der Berufsqualifikation und Steigerung der Produktivität.

Die neue portugiesische Mitte-Rechts-Koalition unter Premierminister Pedro Passos Coelho strebt eine deutliche Verbesserung des gesamten Erziehungs- und Ausbildungswesens an. Sie erblickt in diesem Bereich einen wesentlichen Schlüssel zur Bewältigung künftiger Herausforderungen und für die Zukunft der portugiesischen Gesellschaft insgesamt.

Das Land weist seit Jahren im EU-Vergleich einen extrem hohen Anteil von Schulabbrechern auf. Er lag Eurostat-Angaben zufolge in den 90er Jahren bei etwa 45 Prozent. Seit 2002 geht die Quote schrittweise zurück. Allerdings lag sie im Jahr 2010 mit 28,7 Prozent immer noch über der doppelten Höhe des EU27-Durchschnitts (14,1 Prozent).

In dem Mitte Juni 2011 vorgelegten Programm spricht sich die Regierung für einen strategischen Entwurf eines neuen Erziehungssystems für die Jahre 2015-2020 aus. Sie will gleichzeitig auf einen breiten Konsens für die Umsetzung im Zeithorizont bis 2030 hinwirken. Neben einer deutlichen Verbesserung auf den einzelnen Schulstufen, nehmen technische Schulungen und die Berufsausbildung eine zentrale Bedeutung ein. Ausdrücklich hebt die Regierung hervor, dass sie im Bereich der Sekundarstufe ganz entscheidend auf ein duales Ausbildungssystem ("sistema de formação dual") mit theoretischer Ausbildung in Berufsschulen und praktischer Ausbildung in Betrieben setzt.

Die Unternehmen sollen mittels Incentives die künftigen Berufsbilder attraktiver machen. Darüber hinaus wird von ihnen der entscheidende Beitrag in der praktischen Ausbildung erwartet. Mit diesen beiden Elementen soll jungen Menschen der Übergang in die Berufswelt erleichtert werden. Die Finanzierung soll dem Regierungsprogramm zufolge anteilsmäßig zwischen Staat und Unternehmenswelt erfolgen.

Diese neue Betonung der Berufsausbildung im Rahmen eines "dualen Systems" läuft bei deutschen Unternehmen in Portugal offene Türen ein. Schon 1983 wurden nämlich zusammen mit der Deutsch-Portugiesischen Industrie- und Handelskammer (AHK) die ersten Ausbildungsstätten ("Centros DUAL") in Lissabon und Porto ins Leben gerufen.

Während dem Universitätssystem im Grunde genommen gute Noten erteilt werden und auch die erreichten Abschlüsse sich im internationalen Vergleich sehen lassen können, mangelte es dem Lande an qualifizierten Ausbildungsgängen auf Facharbeiterebene und im mittleren Bereich.

Dieser Mangel wurde schon früh von den deutschen Unternehmen erkannt und deshalb gemeinsam mit der AHK ein Berufsausbildungssystem in Anlehnung an das deutsche Duale System ins Leben gerufen. Unter dem Markensiegel "DUAL" sind die Zentren und die Ausbildungsprogramme landesweit bekannt.

Die deutsche Ausbildungsinitiative in Lissabon und Porto bietet zwei unterschiedliche Modelle an: Eine zweijährige und eine zweieinhalbjährige (früher dreijährige) Berufsausbildung. Voraussetzung für die Aufnahme in den ersten Ausbildungsgang ist der erfolgreiche Abschluss der 11. Klasse, beim zweiten genügt die 10. Klasse. Bei der zweieinhalbjährigen Ausbildung wiegt die theoretische Schulung etwas stärker als die praktische. Das hat seinen Grund: Mit dem erfolgreichen Abschluss der Berufsausbildung vor der AHK erhalten die jungen Leute nämlich nicht nur ihren Lehrbrief, sie erwerben gleichzeitig das portugiesische Abitur.

Die Jugendlichen können in den jeweiligen Ausbildungsgängen zwischen einer größeren Zahl von Berufen wählen. Im zweijährigen Programm zählen dazu unter anderen Industriekaufmann, Kraftfahrzeug (Kfz)-Lackierer, Hotelfachkraft, Schlosser, Speditionskaufmann, Kfz-Mechatroniker. Das zweieinhalbjährige Programm umfasst Berufe wie Buchhaltungskaufmann, Servicekaufmann (Informatik,  Automobil, Produktion, Mechatronik, Instandhaltung) Energietechniker, Fachwirt Logistik und Management.

Das Ausbildungsangebot weicht geringfügig zwischen Lissabon und Porto ab. Die jungen Leute kommen überwiegend aus Portugal. Vereinzelt werden auch Jugendliche aus Deutschland aufgenommen, vorzugsweise diejenigen mit internationalem Hintergrund. Die Ausbildung erfolgt nur auf Portugiesisch. Gegenwärtig sind rund 470 junge Leute eingeschrieben. Alljährlich schließt etwa ein Drittel ihre Ausbildung ab. Über 90 Prozent finden sofort ihren ersten festen Arbeitsplatz.

Aufgrund des enormen Zuspruchs dieser beiden Ausbildungsgänge hat die AHK im Jahr 1999 ein weiteres Ausbildungsprogramm zum Hotelfachmann aufgelegt, zu dem dann später die Ausbildungsgänge Koch und Restaurantfachmann hinzukamen. Diese werden an der Algarveküste in Portimão angeboten und führen in zweieinhalb Jahren zu dem erwünschten Abschluss. In diesen Ausbildungsgängen ist die Unterrichtssprache Deutsch, weshalb sie auch stark von Abiturienten aus Deutschland nachgefragt werden. Portugiesen erhalten einen intensiven Deutsch-Sprachunterricht. Unter den Hotels, die als Ausbildungsbetriebe gewonnen werden konnten, finden sich die großen bekannten Fünf-Sterne-Häuser.

Diese verschiedenen Berufsausbildungsprogramme finden sowohl bei den staatlichen Stellen als auch bei den Unternehmen eine hohe Akzeptanz. Zum einen sind die "Centros DUAL" als Berufsausbildungsstätten vom portugiesischen Staat anerkannt und werden vom Portugiesischen Amt für Arbeit und Berufsausbildung (Instituto do Emprego e da Formação Profissional, IEFP) teilfinanziert. Dies unterstreicht der IEFP-Präsident, Francisco Madelino: "IEFP und DUAL verfolgen die gleichen Ziele zur Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Internationalisierung des Landes." Zum andern ist die Zahl der Unternehmen, die als Ausbildungsstätten mit den "Centros DUAL" zusammenarbeiten, in den über 25 Jahren von sechs auf weit über 200 angestiegen.

Das Modell der "Dualen Ausbildung" hat sich nach diesen Erfahrungen und mit diesen Ergebnissen in Portugal bewährt. Der Geschäftsführer der AHK, Hans-Joachim Böhmer führt dazu aus: "Das Modell wird von den Unternehmen sehr gut aufgenommen, von den Jugendlichen als effiziente Alternative zur Hochschule angesehen und von der portugiesischen Arbeitsverwaltung anerkannt und finanziell unterstützt."

Die AHK ist darüber hinaus mit ihren "Centros DUAL" auch im Bereich der Weiterbildung aktiv. In einem umfangreichen Kursangebot werden so spezielle Lücken geschlossen und zeitnah auf entstehenden Bedarf reagiert. Das Kursangebot hat einen Umfang zwischen 50 und 300 Stunden und bietet vor allem für Unternehmen flexible, maßgeschneiderte Lösungen an, die sich inhaltlich, zeitlich und örtlich ganz auf den spezifischen Firmenbedarf ausrichten. Die Programme umfassen unter anderem Kurse von der REFA-Grundausbildung über das Organisations- und Produktmanagement bis zum EU-Energiemanager, der IT-Security und der Gebäudeeffizienz. Dieses Segment des gezielten Angebots im Firmenschulungsbereich mit der Ausarbeitung von Finanzierungsalternativen (unter anderem unter Einbeziehung staatlicher Fördergelder) dürfte künftig noch eine wesentlich größere Bedeutung gewinnen.

Schließlich räumt Portugal schon seit Jahren dem Erfahrungswissen hohe Bedeutung ein und will es sich nutzbar machen. Diese Initiative wurde ebenfalls durch die "Centros DUAL" der AHK aufgegriffen. Personen ohne höhere Schul- oder Berufsausbildung, die jedoch im Laufe der Jahre ein hohes Maß an Berufserfahrung erlangen konnten, wird zum einen das vorhandene Wissen zertifiziert und zum andern aufgezeigt, was ihnen noch fehlt, um einen qualifizierten Abschluss zu erhalten. Das Zertifikat kann in jedem Berufsalter nachgefragt und abgelegt werden. In manchen Fällen mag das Zertifikat keine Bescheinigung mehr für eine neue Karriere sein, es stellt aber für viele eine wichtige zusätzliche persönliche Bestätigung eines jahrzehntelangen Berufslebens dar.

In all diesen Ausbildungs- und Weiterbildungsprogrammen sowie der Zertifizierung von Erfahrungswissen sind zirka 100 Lehrer eingeschaltet und knapp 20 administrative Kräfte involviert. Insgesamt umfasst die Zahl der "Auszubildenden" die alljährlich in den "Centros DUAL" eingeschrieben sind mittlerweile mehr als 2.500 Personen.

Daneben wurden 2002 erste Ideen zur Gründung einer Berufsakademie unter deutschen Unternehmen in Portugal als private Firmeninitiative ventiliert. Die offizielle Gründung erfolgte dann Ende 2003 als "Advanced Technical Education Centre (ATEC)" durch Volkswagen Autoeuropa, Siemens und Bosch mit Beteiligung der Deutsch-Portugiesischen Industrie- und Handelskammer (AHK). Dieses größte private Berufsbildungszentrum ist im Lande unter der Bezeichnung "ATEC-Academia de Formação" bekannt.

Ziel war und ist vor allem, ein auf den spezifischen Industriebedarf ausgerichtetes Ausbildungsprogramm zu entwickeln und für Portugal neue technische Kurse in den nationalen Berufe-Katalog zu integrieren. Das Programm von ATEC wurde mit dem bereits vorhandenen "DUAL"-Angebot abgestimmt und in dieser Hinsicht auf den "Engineering"-Sektor und auf die vielfältigen Bereiche eines Industriebetriebs weiterentwickelt. Bei zwei Kursen von ATEC, für Netzwerk- und für Automatisierungstechniker, erstellt die AHK, zusätzlich zum portugiesischen Abschlusszeugnis, den Facharbeiterbrief der Deutschen Kammerorganisation. Diese beiden Kurse gehören zu den Ausbildungsgängen, die bei Fachhochulen und Universitäten das bei ATEC durchgeführte Training anerkannt bekommen.

Ursprungsideen von ATEC waren unter anderem die praxisorientierte Berufsausbildung in Portugal auszubauen, eine Ausbildung nach deutschen Standards (Duales System) sicherzustellen, einen Wissenstransfer nach Portugal zu ermöglichen, Synergien aus bestehenden Aktivitäten von Volkswagen, Siemens und Bosch zu schaffen, die Mitarbeiter nicht nur für den Eigenbedarf, sondern für den Markt zu qualifizieren sowie eine Stärkung der regionalen Industrie, insbesondere der Automobil- und Elektronik-Cluster, zu erreichen.

Mit diesen Leitlinien verbindet ATEC einen hohen Standard auf allen Bereichen einer umfassenden Mitarbeiterentwicklung. Wie Hans-Jürgen Müller, Mitglied der Geschäftsführung von ATEC, denn auch feststellt: "Leitlinie dieser Berufsausbildung ist ein ganzheitlich, praxisorientierter Ansatz. Neben professionellem Training und der Entwicklung praktischer Intelligenz steht gleichrangig die Bildung der Persönlichkeit und die Entwicklung eines modernen Verhaltens, das Produktions- und Arbeitsorganisationsformen gerecht wird. Durch Orientierung an Prozessketten (Planen > Ausführen > Kontrollieren > Verbessern), Arbeiten im Team, TPM (Total Productive Maintenance), CI (Continuous Improvement), kostenbewusstem Denken und Handeln, Kundenorientierung als integraler Bestandteil des gesamten Ausbildungsprozesses, wird ein hohes Maß an Qualität und Professionalität erreicht."

ATEC hat zwei Standorte: Palmela in der Nähe von Lissabon im Industriepark der Automobilfabrik von Volkswagen und im Norden auf dem Gelände von Siemens Porto. Das Angebotsportfolio ist recht umfangreich und umfasst in der Berufsausbildung unter anderem die Sparten Kfz-Mechatroniker, Industriemechatroniker, Industriemechaniker-Werkzeugbau, Elektromechaniker, Techniker für Automatisierungs- und Steuerungselektronik, Computerelektronik Facharbeiter, alle mit der Doppelqualifikation: Abitur und Berufsabschluss. Daneben gibt es eine Technische Ausbildung, die unter anderem zu den Abschlüssen Techniker Planung und Organisation, Industrieelektroniker, Assistent Elektronik/Datentechnik führt.

Alljährlich schließen rund 250 jüngere Menschen ihre Ausbildung bei ATEC ab und können bei einer Vermittlungsquote von zirka 90 Prozent mit einer Anstellung im Betrieb rechnen. Insgesamt verfügt ATEC über einen Stab von etwa 50 Mitarbeitern, wovon rund 35 direkt im Lehrbereich tätig sind. Außerdem greift ATEC auf einen Pool von bis zu 100 Lehrern für spezielle Kurse oder Schulungsprogramme zurück.

Neben diesen Ausbildungsprogrammen ist ATEC sehr stark im "Marktgeschäft" engagiert und bietet ein umfangreiches Weiterbildungsangebot in vielen Bereichen an. So wickelt die Akademie zum Beispiel die Mitarbeiterweiterbildungsmaßnahmen für die drei Gründungsfirmen ab. Sie schult zudem viele Zulieferer. ATEC ist somit in die gesamte Wertschöpfungskette verantwortlich eingebaut. In diesen Bereichen durchlaufen nochmals alljährlich rund 7.000 Personen eine ATEC-Schulung. Daneben gibt es spezielle Ausbildungsgänge in den Bereichen Technische Ausbildung, Methoden, Qualitätsmanagement sowie auf dem Gebiet der Personal- und Organisationsentwicklung. Zudem gibt es spezifische Beratungskurse.

Angesichts dieser Bilanz nimmt es kein Wunder, dass dem gesamten deutschen Berufsausbildungs- und Weiterbildungsangebot hohe Anerkennung und große Wertschätzung von den portugiesischen Stellen gezollt wird. Es trifft nämlich nicht nur zur Gänze die erklärte Absicht diverser Regierungen. Die Ausbildungsstätten sind gänzlich durch die zum Ministerium für Arbeit und Solidarität gehörende Generaldirektion für Arbeit und Arbeitsbeziehungen (Direcção-Geral do Emprego e das Relações de Trabalho, DGERT) zertifiziert und alle Stellen arbeiten darüber hinaus engstens mit dem Amt für Arbeit und Berufsausbildung (Instituto do Emprego e da Formação Profissional, IEFP) zusammen und erhalten staatliche Unterstützungen.

Schließlich ist das deutsche Berufsausbildungs- und Weiterbildungsangebot in diesem Umfang und in dieser Tiefe das einzige, das von ausländischen Stellen im Lande ins Leben gerufen worden ist. Sodann unterstreichen die deutschen Unternehmen damit schon seit Jahrzehnten nicht nur die Ernsthaftigkeit ihres dauerhaften Investitionsengagements, sondern auch das Interesse an gut ausgebildeten, engagierten Mitarbeitern und zudem an der Entwicklung des Landes. Sie leisten damit seit nahezu drei Jahrzehnten neben dem reinen Unternehmensengagement einen zusätzlichen wichtigen Beitrag für Portugal.

Quelle: Germany Trade and Invest, Artikel 26.07.2011