"Nachhaltigkeit muss erlebbar sein."

junge Frau kniet vor einem Beet und arbeitet darin
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Barbara Hemkes, Leiterin des Arbeitsbereichs 4.2 "Innovative Weiterbildung, Durchlässigkeit, Modellversuche" im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), ermuntert Bildungsanbieter, ihre Chancen auf internationalen Bildungsmärkten "nachhaltig" zu steigern.

iMOVE: Nachhaltigkeit hat sich innerhalb weniger Jahre zu einem Megatrend entwickelt. Seit wann ist Nachhaltigkeit in der Berufsbildung in Deutschland ein Thema?

Barbara Hemkes: Das BIBB führt seit vielen Jahren Modellversuche und andere Arbeiten zu diesem Thema durch. Zunächst ging es um Umweltbildung, die 1998 aufgrund einer BIBB-Empfehlung in den Katalog der Standard-Berufsbildpositionen und damit in alle Ausbildungsverordnungen aufgenommen wurde. Damit wurde eine gute Grundlage gelegt.

iMOVE: Dem Begriff Nachhaltigkeit werden zahlreiche, teilweise sehr unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben. Worum geht es bei Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung?

Barbara Hemkes: Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung umfasst drei Aspekte. Erstens geht es darum, dass sich Menschen durch berufliche Aus- und Weiterbildung fachliche, soziale, personale und methodische Kompetenzen aneignen können, um eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. So geht es darum, im beruflichen Handeln ökonomische, ökologische und soziale Aspekte zu berücksichtigen.

Zweitens muss sich dies auch in der Didaktik und den Lehr-/Lernarrangements niederschlagen. Bildung soll nachhaltiges Handeln ermöglichen, auch in unsicheren Situation und bei Widerständen. Das schärft den umsichtigen und zukunftsorientierten Blick.

Drittens geht es darum, dass Bildung selbst ein Aspekt von Nachhaltigkeit ist. Der Aufbau von Bildungsstrukturen in sogenannten Entwicklungsländern etwa ermöglicht erst individuelle und gesellschaftliche Entwicklungschancen.

Insgesamt gilt Bildung als eine der entscheidenden Strategien, um nachhaltige Entwicklung zu realisieren.

Herausforderung Nachhaltigkeit

iMOVE: Der internationale Aspekt ist also bereits "eingearbeitet" – man schaut über den nationalen Tellerrand hinaus.

Barbara Hemkes: "Global denken – lokal handeln" war und ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Handlungsmaxime. Man kann Nachhaltigkeit nicht nur regional oder national ausrichten, sondern muss von Anfang an einen globalen Blickwinkel einnehmen. Dafür wurden grenzüberschreitende Arbeitsbeziehungen geschaffen, in die wir beim BIBB eingebunden sind. Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung wird lokal vor Ort konkret, an den verschiedenen Lernorten, in den Schulen und Betrieben.

iMOVE: Was zeigen die aktuellen Projekte und Modellversuche? Wie sollen und werden wir uns beim Thema Nachhaltigkeit weiterentwickeln?

Barbara Hemkes: Die Herausforderung Nachhaltigkeit wird in Zukunft an Bedeutung zunehmen. Notwendig ist, so sagt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltfragen, eine große Transformation, weil die Art und Weise, wie wir wirtschaften und leben, nicht zukunftsfähig ist, sondern die Menschheit und den Planeten vor massive Probleme, wie etwa globale Erwärmung, stellt. Das auf eine Ausbildung herunterzubrechen und Themen wie Ressourceneffizienz, Klimaschutz, erneuerbare Energien und gerechte Verteilung in den Berufsalltag zu integrieren, ist die große Kunst.

In unserem aktuellen Modellprogramm gehen wir der Frage nach, was Berufsarbeit als Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten kann. Bisher haben wir immer auf die Defizite geschaut, jetzt richten wir unseren Blick auf die Potenziale: Wo kommen wir in der Berufsarbeit mit Nachhaltigkeit in Berührung, wie können wir sie dann fördern und welche Handlungskompetenzen müssen deshalb gestärkt oder erweitert werden.

Portrait

Barbara Hemkes, Leiterin des Arbeitsbereichs 4.2 "Innovative Weiterbildung, Durchlässigkeit, Modellversuche" im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)

Nicht Defizite, sondern Potenziale

Wir stellen fest, dass zur Erzielung von Nachhaltigkeit natürlich spezifische fachliche Kompetenzen notwendig sind, die in den Berufen liegen und gestärkt werden können. Wir merken aber auch, dass es sehr wichtig ist, den Umgang mit Widersprüchen zu lernen und es aushalten zu können, dass die eigenen Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind. Entscheidend ist, dass man das Mögliche realisiert, auch gegen Widerstände, ohne frustriert zu sein, dass manches nicht umsetzbar ist.

Das Lernen ist das eine, aber man muss Nachhaltigkeit auch erleben können. Wir halten es daher für außerordentlich wichtig, die Lernorte selbst nachhaltig zu gestalten. Die Erfahrbarkeit von Nachhaltigkeit in der Ausbildung ist daher unser zweiter wichtiger Schwerpunkt.

Wir orientieren uns dabei an einem Indikatorensystem, dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex, und wollen ein eigenes System für den Lernort Betrieb entwickeln. Es soll als branchenübergreifender Transparenzstandard für die Berichterstattung unternehmerischer Nachhaltigkeitsleistungen in Unternehmen und Organisationen jeder Größe und Rechtsform genutzt werden. Damit sollen Betriebe eine Orientierungshilfe bei der Gestaltung nachhaltiger Lernorte erhalten.

Hierzu erarbeiten wir Modelle und hinterlegen sie mit konkreten Beispielen. So können im Betrieb Nachhaltigkeitschecks durchgeführt werden. So ein "Nachhaltigkeitsaudit" kann auch Teil der Ausbildung sein.

iMOVE: Welche Faktoren fördern Nachhaltigkeit in der Berufsbildung und welche be- oder verhindern sie?

Barbara Hemkes: Das ist in hohem Maße kontextabhängig. Ein Unternehmen, das sich nachhaltig ausrichtet, ist auch eher in der Lage, Nachhaltigkeit in die Ausbildung zu integrieren. Ein ganz entscheidender Faktor ist das ausbildende Personal, das diesen Prozess vorantreiben muss. Ebenfalls wichtig ist die Lernortkooperation. Die ausbildenden Betriebe und die berufsbildenden Schulen müssen zusammenarbeiten und abgestimmt Nachhaltigkeitsthemen im Rahmen ihrer jeweiligen Ausbildungsbeteiligung aufgreifen. Damit wird das Thema nicht nur betriebsspezifisch, sondern auch auf anderen Ebenen erlebt und gelernt. Wichtig ist dabei auch, dass an beiden Lernorten sowohl eine theoretische Unterfütterung als auch ein praktisches Ausprobieren und Einüben ermöglicht wird.

Leider sind es immer die gleichen Faktoren, die eine Öffnung der Unternehmen hin zum Thema Bildung für Nachhaltigkeit behindern, und zwar Zeit und Geld. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen haben Bedenken hinsichtlich des zeitlichen, personellen und finanziellen Aufwands, den sie dafür investieren müssen.

Chance Nachhaltigkeit

Dabei werden häufig auch wirtschaftliche Chancen übersehen, die sich durch eine nachhaltige Ausrichtung ergeben können. Deshalb arbeiten wir beispielsweise mit den Kammern zusammen, um genau diese Chancen aufzuzeigen. Bei kleineren Unternehmen, vor allem im Handel und im Handwerk, spielt dabei die Kundennachfrage eine wichtige Rolle. Die Kunden werden anspruchsvoller, beispielsweise was die biologische Qualität angeht, aber auch den fairen Handel der Produkte. Die Kunden wollen wissen, was die verschiedenen Güte- und Ökosiegel bedeuten und erhoffen sich dabei Beratung und Unterstützung vom verkaufenden Personal.

Die Kundenansprüche sind ein ganz wichtiger Treiber für die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit. Auch wenn der nachhaltige Konsum bislang noch "gefühlt" höher ist als in der Realität, so sind doch die richtigen Weichen gestellt. Selbst Discounter müssen heute eine "grüne" oder "Fairtrade"-Produktlinie haben, auch wenn sie bislang oft nur einen Bruchteil des Sortiments darstellt.

Die großen Unternehmen sind in internationale Zusammenhänge eingebunden und auch da steigt der Druck, sich entsprechend auszurichten. Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob sie das tatsächlich tun oder nur eine Art "Green-washing" betreiben. Das beurteilen zu können, ist ebenfalls Ziel einer beruflichen Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der Hochglanz-Nachhaltigkeitsbericht ist jedenfalls wirkungslos, wenn Nachhaltigkeit nicht im Unternehmen gelebt wird.

iMOVE: Kann Nachhaltigkeit die Attraktivität deutscher Bildungsexporte steigern?

Barbara Hemkes: Jeder Bildungsanbieter profitiert davon, Nachhaltigkeitsprinzipien zu berücksichtigen, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern im eigenen Handeln. Die Nachfrage steigt, und zwar auf Länderebene, nicht nur bei einzelnen Unternehmen und an einzelnen Orten. Vertreter von Institutionen und Verantwortliche für ganze Bildungsstrukturen fragen, was sie tun können, um sich in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten.

Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und globalen Gerechtigkeit ist es wichtig, vor allem Ausbildungspersonal in den Zielländern aufzubauen, das vor Ort mit den eigenen Leuten in Kenntnis der regionalen Besonderheiten Nachhaltigkeit realisieren kann. Das fördert nicht nur die Entwicklung vor Ort, sondern auch den Austausch darüber, was möglich und nötig ist. Durch diesen Austausch können wir viel lernen. Ich erlebe vor allem in Afrika, dass dort viele interessante und wichtige Erkenntnisse unter zum Teil viel schwierigeren Bedingungen als bei uns gewonnen werden.

iMOVE: Welche internationale Nachfrage besteht zum Thema Nachhaltigkeit in beruflicher Bildung aus Deutschland?

Barbara Hemkes: Deutsche Bildungsanbieter können auf der Technikkompetenz aufbauen, die den Deutschen zugesprochen wird, aber auch auf der Leistungsfähigkeit des deutschen Berufsbildungssystems. Work-based Learning hat international an Bedeutung gewonnen. Die Vorstellung, erfahrungsgeleitetes Lernen in die Bildungsstrukturen zu integrieren und dies mit Nachhaltigkeit zu verbinden, ist sehr ausgeprägt.

"Bildungsdienstleister können sich an uns wenden, um sich zu informieren, wie man nachhaltigkeitsorientierte Inhalte wirksam in Bildungsangebote integriert. Wir haben über wissenschaftliche Studien viele Erkenntnisse zusammengetragen, die wir gern weitergeben. Umgekehrt ist auch für uns ein Austausch spannend. Wir interessieren uns dafür, was international nachgefragt und auch "geliefert" wird, um unseren Wissenspool zu erweitern."

Nicht nur technische "Green Skills"

Häufig nachgefragt wird die Vermittlung von "Green Skills" auf technischer Ebene. Dabei geht es oft um den Dreiklang "Energie, Ressourcen, Kreislaufwirtschaft". Einige Nachfrager haben aber auch Interesse an der Gestaltung der gesamten betrieblichen Bildung im Sinne von Nachhaltigkeit. Dabei geht es beispielsweise um Strukturen wie Lernortkooperation und die Befähigung des Ausbildungspersonals. In einem noch umfassenderen Sinn besteht aber auch der Wunsch nach Unterstützung bei der strategischen Ausrichtung der Betriebe bis hin zur Etablierung und Modifizierung von Berufsbildungsstrukturen, um Nachhaltigkeit zu integrieren. An dieser strukturellen Verankerung arbeiten wir übrigens auch noch hier in Deutschland.

Natürlich gibt es in den unterschiedlichen Märkten jeweils eigene Themenschwerpunkte. Klimaschutz und Energie haben etwa in Kenia, wo vielerorts Wasserknappheit die Landwirtschaft bedroht, ganz andere Konnotationen als beispielsweise in Brasilien, wo die Abholzung der Regenwälder eine wichtige Rolle spielt. Entsprechend spezifisch ist die Nachfrage, auch wenn die Maßnahmen strategisch eingebettet, langfristig ausgerichtet und mit einem ganzheitlichen Blick entwickelt und durchgeführt werden müssen.

Deutsche Bildungsanbieter sind gut beraten, sich zu informieren, was sich ihre Zielmärkte konkret in Richtung Nachhaltigkeit vorgenommen haben. Dazu haben viele Länder offizielle Erklärungen abgegeben. Und dann gilt es, sich zu überlegen, wie das eigene Berufsbildungsangebot dort unterstützend wirksam werden kann. Auch die Auslandshandelskammern thematisieren Ideen einer nachhaltigen Entwicklung und wirken als wichtiger Katalysator, ebenso deutsche Unternehmen vor Ort.

iMOVE: Können Nachhaltigkeitskompetenzen auch mit digitalen Medien erworben werden?

Barbara Hemkes: Die Inhalte sind nicht abhängig vom Format. Nachhaltigkeit kann gut über digitale Medien vermittelt werden und digitale Medien können die Attraktivität des Themas deutlich steigern. Viele entsprechende Lernlösungen bieten Freiraum für eigene Experimente und die Möglichkeit, schnell Ergebnisse ablesen zu können. Wir sehen beispielsweise gute Ergebnisse bei Modellversuchen mit sogenannten Learning Nuggets und kleinen Simulationen. Das sind 3- bis 5-minütige Lerneinheiten, die quasi "nebenbei" in der Ausbildung vermittelt werden und jederzeit und an jedem Ort abrufbar sein sollten und die über soziale Medien transportiert werden.

Aber nicht allein die Vermittlung mittels digitaler Medien macht das Thema Nachhaltigkeit für Jugendliche interessant. Sie wollen einen Sinn sehen in dem, was sie tun. Sie haben einen ethischen und moralischen Anspruch an das, was sie machen. Diesen Anspruch wollen sie realisieren und zur Geltung kommen lassen.

Interview zur Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung

Dieser Fachartikel ist aus dem aktuellen iMOVE-Exportmagazin xPORT. Die Ausgabe 1/2018 ist im Juni erschienen.
 

  • Das Interview führte Silvia Niediek.

Weiterer Fachartikel aus xPORT, Ausgabe 1/2018

xPORT-Magazin 1/2018

Titelbild, Text: xPORT Das iMOVE-Exportmagazin, Frau in Arbeitskleidung schaut in die Ferne

Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT - Das iMOVE-Exportmagazin, Ausgabe 1/2018