"Wir sollten das 'Window of Opportunity' weit offen halten"

Lesen Sie das Interview mit Dr. Nader Imani, Executive Vice President Global Education des Unternehmens Festo Didactic und Präsident der Worlddidac Association, über die Implementierung von Nachhaltigkeit in die Bildung. Das Interview ist aus der aktuellen xPORT-Ausgabe.

Fensterfront in der sich Himmel spiegelt
BreakingTheWalls/istockphoto.com

iMOVE: Herr Dr. Imani, warum setzen Sie sich für "Greening Education and Skills" ein?

Dr. Imani: Die Menschheit steht heute vor einer ihrer größten Herausforderungen, nämlich sich als Teil der Natur zu begreifen und nicht als ihr Besitzer! Seit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert verbrauchen wir zunehmend Ressourcen auf Kosten der Natur. Seit den späten 60er Jahren findet der sogenannte "Overshoot Day" immer früher statt. Ab diesem Tag verbrauchen wir mehr natürliche Ressourcen als nachwachsen können. Im Jahr 2021 fiel dieser Tag bereits auf den 29. Juli. Wir müssen unser Zuhause ab sofort in eine nachhaltigere Zukunft steuern.

Nachhaltigkeit erfordert eine langfristige Politik, praktikable Wirtschaftsmodelle, unterstützenswerte innovative Technologien − und all dies in Harmonie mit unserer Umwelt. Daher müssen wir die Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil unseres Bildungssystems betrachten. So können wir aktuellen und zukünftigen Generationen die richtigen Einstellungen, das notwendige Wissen und die relevanten Fähigkeiten vermitteln, um sie für nachhaltige Themen zu begeistern, und zwar von der frühen Kindheit an über die primäre und sekundäre Bildung, die Berufsausbildung bis hin zu akademischer Bildung und Weiterbildung.

iMOVE: Welche zentralen Entwicklungen werden unser Leben und auch die Bildung in Zukunft prägen?

Dr. Imani: Wir sind mit einer dreifachen Disruption konfrontiert, die auch die Bildung erfasst: Unser tägliches Leben wir grüner und digitaler, überall und immer mehr. Um die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und hochwertige Bildung für alle zu erreichen, müssen wir zudem die Gleichstellung der Geschlechter in unserem Ansatz berücksichtigen.

Das Dreigestirn "Grün-Digital-Gleichgestellt" sollte den rechtlichen Rahmen für innovative und universelle Bildungsmodelle für alle bilden, um die Weltbürger/-innen für ein Leben in Einklang mit der Natur zu erziehen.

Portrait
Festo Didactic SE

Dr. Nader Imani, Executive Vice President Global Education bei Festo Didactic und Präsident der Worlddidac Association

iMOVE: Welche politischen Schritte wurden bislang unternommen?

Dr. Imani: Auf der UN-Klimakonferenz COP21 im Jahr 2016 haben die Regierungen der Welt gemeinsam mit Unternehmen, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft das "Pariser Klimaabkommen" verabschiedet, um globale Ziele für die Reduzierung oder zumindest die Beibehaltung der Kohlenstoffemissionen festzulegen. Dies nehmen viele Länder, insbesondere die Industriestaaten, zum Anlass, einen Wandel herbeizuführen, bei dem Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft in einer Symbiose zusammenwirken.

Die EU-Ratspräsidentschaft hat die Weichen dafür gestellt, dass "Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt wird", was uns allen Hoffnung für die Zukunft gibt und zum Handeln aufruft. Der Europäische "Green Deal" wird in dieser Hinsicht der treibende Ausdruck der europäischen Politik sein.

In ihrer Osnabrücker Erklärung Ende 2020 haben sich alle EU-Bildungsminister darauf geeinigt, dass grüne Bildung und ihre Förderung ein wesentlicher Bestandteil der Bildungsreformen in der Europäischen Union sein soll. Dies bedeutet Raum für Innovationen in EdTech und TechEd in Europa und von Europa aus in alle Welt.

iMOVE: Inwiefern wirken EdTech und TechEd innovativ für die Zukunft der Bildung?

Dr. Imani: Innovation sollte sich auf die Effizienz von Investitionen und Lernmethoden beziehen, um die Qualität und Quantität der Bildung zu steigern. Innovative EdTech wird uns helfen, die Pro-Kopf-Kosten für Bildung zu senken, indem sie die Effizienz des Lernens erhöht. Die Kombination aus Bildungsinnovation und innovativer Technologie wird dazu beitragen, allen Menschen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung zu verschaffen und eine Rendite für die nationale und regionale Wirtschaft zu garantieren.

Digitales Lernen, Vielfalt in der Art der Vermittlung, Mischformen zwischen Online- und Präsenz-Unterricht, künstliche Intelligenz zur Förderung des adaptiven Lernens oder des sozialen Lernens sind hierfür einige gute Beispiele.

Andererseits sollte die "Begrünung" der bestehenden Berufe auf der Agenda von Bildungspolitikerinnen und -politikern sowie Pädagoginnen und Pädagogen in unseren Bildungssystemen stehen. Das gilt für Weiterbildung und Umschulung oder Bildungsreformen in Begrünungsbereichen, zum Beispiel erneuerbare Energien, Energiemanagement, Energie- und Ressourceneffizienz sowie Management natürlicher Ressourcen. Darüber hinaus bieten immer mehr Unternehmen, die in Branchen wie Landwirtschaft, Bauwesen, Fertigung, Bergbau, öffentlicher Verkehr und Versorgungsbetriebe sowie damit verbundene Dienstleistungen arbeiten, immer mehr grüne Arbeitsplätze. Sie werden ebenso wie grüne Fertigkeiten, Kompetenzen, Lernziele und Lehrpläne durch innovative EdTech-Lösungen definiert und unterstützt.

Die TechEd wird sich im Gegenzug um mehr Bildung für Technologien kümmern und so die Verfügbarkeit der erforderlichen Fähigkeiten sichern, die uns helfen, von einer braunen zu einer grünen Wirtschaft überzugehen, wie etwa in der Dienstleistungsindustrie, der Mobilitäts- und der Energiebranche. Sie unterstützt uns außerdem bei innovativen Konzepten, um absehbaren Herausforderungen in der Zukunft zu begegnen. Das betrifft neue Berufe wie Wasser- und Abwassertechniker, die Nutzung erneuerbarer Energien oder Servicepersonal in der vertikalen Landwirtschaft.

Bei der Forderung nach umweltfreundlichen Qualifikationen und grünen Arbeitsplätzen für eine grüne Wirtschaft, die sich weniger stark auf den Klimawandel auswirkt, geht es auch um die Steuerung von Erwartungen. Diese Erwartungen werden vor allem von der jungen Generation und Bewegungen wie "Fridays for Future" formuliert.

Um unsere Zukunft zu meistern, sollten wir das "Window of Opportunity", das Fenster der Möglichkeiten, weit offenhalten. Innovative Technologien, wie die Kernelemente der Industrie 4.0, werden mehr Möglichkeiten für die Produktion, das Management und die Umwandlung von Energie, die Energiespeicherung und -verteilung sowie deren intelligente Nutzung bieten, während unsere natürlichen Ressourcen mit intelligenten Prozessen verwaltet werden, um ein menschenwürdiges Leben für alle zu sichern − auf unserem blauen Planeten, der hoffentlich immer grüner wird.

  • Das Interview führte Silvia Niediek.

Fachartikel "Wir sollten das 'Window of Opportunity' weit offen halten"

Dieser Fachartikel ist dem iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 1/2022, erschienen im Mai 2022, entnommen. 

  • Interviewpartner: Dr. Nader Imani von Festo Didactic SE.

xPORT 1/2022

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Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 1/2022