Systemische Entwicklung von "grünen" Bildungsdienstleistungen als Promotor ökologischer Transformation

"Grüne" Berufsbildungsdienstleistungen entstehen in einem transkulturellen Aushandlungsprozess zwischen allen Partnern. Entscheidender Erfolgsfaktor ist dabei die Einbettung ihrer Entwicklung in einen dialogischen Prozess ko-kreativen Innovationsmanagements.

aufsteigender Pfeil in Form einer belaubten Baumkrone
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Herausforderungen und Potenziale von Berufsbildungsanbietern in der Klimadebatte

Das 21. Jahrhundert ist aus einer globalen Perspektive von der Herausforderung geprägt, den zivilisatorischen Fortschritt und den Wohlstand unserer westlichen Gesellschaften, ausufernde Ökonomien und Wachstumsbranchen in eine ökologische Balance zu bringen. Umweltzerstörung, Ressourcenkonkurrenz, Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit sind reale Bedrohungen, gegen die sich Gesellschaften wappnen müssen. Es müssen weltweit Ökonomien entstehen, die ökologische Grenzen respektieren, Menschen gute, sozial gerechte Lebensbedingungen bieten und sich damit an neuen Herausforderungen orientieren.

Hierzu sind tiefe gesellschaftliche, soziale, technische und kulturelle Transformationen nötig, die sowohl von der Zivilgesellschaft als auch von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, von Institutionen, Organisationen und Individuen getragen werden müssen.

Bildung und damit auch Berufsbildung spielt in gesellschaftlichen Transformationen eine Schlüsselrolle. Sie ist Schnittstelle für die Verbreitung neuen Wissens und für die Umsetzung dieses Wissen in die Praxis. Um Motor zu sein für Transformationsprozesse, um bereits sich vollziehende Transformationen in Bildungsangebote umzusetzen und um die Herausforderungen tiefgreifender Veränderungen zu bewältigen, muss sich Berufsbildung in vielen Bereiche neu definieren.

Das geht weit über technologische Themen hinaus. Es geht vor allem um das "Empowerment" von Individuen, Organisationen und Institutionen an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis, um mit ihnen ein an ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit orientiertes Handeln zu gestalten.

Berufsbildung und Berufsbildungsangebote übernehmen in einer ganzheitlichen, ökologischen Transformation klar definierte Aufgaben und Verantwortung. Hierbei können sie durch eine systemische Entwicklung von Dienstleistungen effektiv unterstützt werden.

Aus unserer Sicht bestehen in innovations- und nachhaltigkeitsorientierten Ökonomien unterschiedliche Knotenpunkte, an denen sich Bildungsanbieter im Bereich der Berufsbildung einerseits den Herausforderungen der ökologischen Transformation stellen müssen, an denen sie aber andererseits auch ihr Potenzial als Transformationsmotor entfalten können:

Nachhaltiges Innovationsmanagement in der Berufsbildung

An erster Stelle geht es darum, avancierte, grüne Technologien, die es in der Praxis erlauben, Emissionen zu senken, und die in den zukunftsorientierten Unternehmen genutzt werden müssen, in die Bildungsangebote zu integrieren. Dabei handelt es sich um innovatives Wissen, das sich kontinuierlich erneuert. Technologien werden weiterentwickelt, Kompetenzanforderungen ändern sich damit.

Die berufsbildenden Institutionen sind darauf angewiesen, immer wieder neue Angebote zu formulieren, um Anschluss an die grüne Wirtschaft zu halten. Die Entwicklung von passgenauen Bildungsangeboten insbesondere in hoch technisierten, innovativen Bereichen in Handwerk und Produktion benötigt ein gezieltes Innovationsmanagement, das dieser Agilität Rechnung trägt.

Dabei muss auch vorhandenes (wissenschaftliches) Wissen über die Klimakrise, zum Beispiel in den Handlungsfeldern Energieeffizienz, Elektromobilität, Solar- und Kreislaufwirtschaft, nachhaltiges Bauhandwerk und Wasserstoffwirtschaft, in praktische Transformationskompetenz und in Handwerk, Industrie und Dienstleistungen umgesetzt werden, um so fachliche und instrumentelle Handlungskompetenz für eine Veränderung der (lokalen) Ökonomien und Arbeitsmärkte zu gewinnen.

Mehr als je zuvor müssen Bildungsanbieter ihre Angebote im direkten Dialog mit dem Markt entwickeln, um an den Innovationserfordernissen und -bewegungen des Marktes zu partizipieren. Auf der anderen Seite müssen auch die Kundinnen und Kunden, Auszubildende, Weiterzubildende, Schülerinnen, Schüler und Studierende in den Prozess der Entwicklung von Qualifizierungen dialogisch einbezogen werden. Ihre Ansprüche und Erwartungen, aber auch ihre Ausgangsvoraussetzungen ändern sich in einer sich digitalisierenden und globalisierenden Gesellschaft, die sich den Herausforderungen des Klimawandels stellt, ständig. Lehr- und Lernformate müssen den veränderten Erwartungen, den neuen technischen Möglichkeiten und den neuen Inhalten beziehungsweise dem neuen Wissen angepasst werden.

Interdisziplinäre Kompetenzentwicklung in der "grünen" Berufsbildung

Mit den "grünen" Qualifikationen gewinnen auch Aspekte der überfachlichen Kompetenzentwicklung neue Relevanz. Zum einen geht es für die Beschäftigten um die Entwicklung neuer, nutzerorientierter Dienstleistungen, die einen Zugang zu neuen Technologien schaffen und deren Akzeptanz steigern. Dafür sind etwa Dienstleistungen im Bereich der Energieberatung beispielhaft. Hierzu müssen sich neue Ansätze in den Unternehmen entwickeln, die von technisch kompetenten, kreativen und verantwortlich handelnden Beschäftigten getragen werden. Ein an nachhaltiger und sozialer Innovation orientiertes "Entrepreneurship" ist dabei eine Grundvoraussetzung moderner "Employability" und muss die Bildungsangebote tragen. 

Auf einer Metaebene sollten innovative Bildungsangebote dazu beitragen, neue Geschäftsmodelle und Berufsprofile in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und den Konsumenten zu entwickeln und umzusetzen. Dies hat bedeutenden Einfluss auf die lokalen Arbeitsmärkte, aber auch auf die politische Ebene, da rechtliche Rahmenbedingungen und Regulierungen angepasst werden müssen. Die Bildungsanbieter nehmen so im Transformationsprozess eine gesellschaftlich relevante und gestalterische Rolle ein, der sie auch durch die Entwicklung der eigenen Potenziale gerecht werden müssen. 

Die Entwicklung von Qualifikationen und Ausbildungen für berufliche Arbeit im Bereich Energiewende, Klimaschutz und generell in der "grünen Ökonomie" steht vor Herausforderungen, bietet aber viel Raum für transformative Entwicklungen. Innerhalb der Bildungsangebote bewegt sich die Entwicklung nicht in "eingefahrenen Gleisen" der bisherigen Berufsbildungslogik.

In vielerlei Hinsicht betreten alle Dialogpartner - Bildungsanbieter, Wirtschaft (Unternehmen) und Lernende (Auszubildende und Studierende) - Neuland. Eine gezielte Unterstützung und Moderation dieses Innovationsprozesses trägt dazu bei, die neuen Bildungsangebote in einer Weise zu gestalten, dass sie den Prozess der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformation in unseren Gesellschaften unterstützen.

Potenziale systemischer Dienstleistungsentwicklung für innovative, "grüne", internationale Bildungsangebote

Das Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) verfolgt in der Zusammenarbeit mit Bildungsdienstleistern einen systemischen dienstleistungsforschungsorientierten Ansatz, insbesondere für die internationale Berufsbildungszusammenarbeit.

Seit vielen Jahren geht es dabei um Bildungsangebote im Bereich der "Green Skills", die sich den Transformationsbewegungen der Ökonomien anpassen und diese mitgestalten und forcieren. Dieser Ansatz gestaltet sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher theoretischer Konzepte, die in wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Instituts dargelegt wurden.

Konkret geht es im Rahmen unserer Arbeit für Bildungsdienstleister und institutionelle Träger um eine systemisch orientierte Dienstleistungsentwicklung. Forschungs- und Gestaltungsansatz ist dabei die Frage, unter welchen Bedingungen – sprachlich, kulturell, sozial, institutionell, individuell – sehr unterschiedliche Systeme (Bildungssysteme in unterschiedlichen Ländern, unterschiedliche soziale Subsysteme in den Ländern) auf einer trans- und interdisziplinären Ebene voneinander lernen und wie sie sich gemeinsam entwickeln können, wie sie gemeinsam neue Bildungsdienstleistungen gestalten können.

"Orchestrierung" der Zusammenarbeit

Für uns ist die Notwendigkeit der "Orchestrierung", das heißt der Organisation der Zusammenarbeit unterschiedlicher Partner auf verschiedene Ebenen (zum Beispiel auf der Ebene der institutionellen Rahmenordnungen, auf der Ebene der Organisationen sowie in Interaktionssystemen), ein zentraler Aspekt bei der Entwicklung nachhaltiger Bildungsdienstleistungen in einem innovations- und nachhaltigkeitsorientierten Markt. Auf allen Ebenen sind den jeweiligen Systemen und Subsystemen Werte eigen, die einen Transfer von Wissen eins zu eins von einem System zum anderen praktisch ausschließen. Diese Nicht-Identität der heterogenen Systeme wird von uns in unserer Arbeit "wachgehalten".

Hinzu kommt, dass auch das Handlungsfeld agil ist. Im Bereich grüner Kompetenzen und Qualifizierungen poppen durch sich entwickelnde Technologien, durch enger werdende Regulierungen und sich verstärkende Klimaveränderungen immer wieder neue Bedarfe auf, die eine zusätzliche Bewegung in die Entwicklung bringen. Wissen besteht nicht a priori, sondern wird im Prozess laufend erarbeitet und ausgehandelt.

In unserem Ansatz versuchen wir im Rahmen des Konzeptes der systemischen Intervention, der konstitutiven Offenheit und Unsicherheit des Prozesses im Zeichen äußerst fragiler Verständigungssituationen Rechnung zu tragen, zum Beispiel durch die Vermeidung von Vorfestlegungen oder Dominanzgesten und durch die Orientierung des Dialoges an Hierarchiefreiheit und verständigungsorientiertem Handeln.

Wir gehen noch einen Schritt weiter und wenden diese Offenheit produktiv durch die Modellierung allgemeiner Leitlinien und Regeln der Kooperation und Koordination an, die darauf abzielen, diese Offenheit nicht zu schnell durch eigene Überzeugungen "zuzustellen". Wir versuchen also, Lock-in-Effekte zu vermeiden und den Kontingenzvorbehalt, der dem Prozess innewohnt, laufend zu aktualisieren. Anders ausgedrückt bedeutet dies für den Prozess der Bildungskooperation aus unserer Sicht: In einem gewählten fachlichen Rahmen sind Lernrichtung, Lerngegenstand, Lernmethoden und auch ihre Einbettung in institutionelle Strukturen offen – auch für innovative und überraschende Momente.

Neue Rollen von Lernenden und Lehrenden

Wer was wie in der Berufsbildungszusammenarbeit für die grüne Transformation lernt, ist im Ansatz der systemischen Dienstleistungsentwicklung relativ offen. Neue Innovationsanforderungen betreffen beide Seiten, Lehrende und Lernende (zum Beispiel der Corona-bedingte Digitalisierungsschub, der die internationale Berufsbildungskooperation ereilt), für die gemeinsam Lösungen gefunden werden. Ausgehandelt beziehungsweise ko-kreativ ermittelt wird dies in einem dialogischen Prozess zwischen den Partnern. Der Rollentausch zwischen Lernenden und Lehrenden ist dabei ausdrücklich erwünscht.

Nach einem iterativen, fehlertoleranten Prozess der gemeinsamen Problemdefinition und -lösung entsteht am Ende allmählich eine Bildungsdienstleistung, die von Anbietern und Nachfragern gleichermaßen gewollt und gewünscht wird und die den Rahmenbedingungen der Nachhaltigkeitsökonomie angepasst ist.

Das Handlungsfeld Nachhaltigkeit und Klimaschutz adressiert die Transformationsdimension sowohl des Klimawandels, als auch der Digitalisierung. Das "Greening" auf technologischer Ebene geht einher mit einem grundsätzlichen Modernisierungsbedarf im Berufsbildungssystem (auch in Hinblick auf interdisziplinäre Kompetenzentwicklung und neue Lehr- und Lernmethoden). Die Berufsbildung wird für alle zu einem Labor für innovative, umwelttechnische Berufe, in dem tatsächlich neue Lösungen entwickelt werden.

Um Offenheit und Flexibilität zum Leitprinzip der Entwicklung zu machen und um ko-kreative, kollaborative Prozesse in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit umzusetzen, nutzt das FIAP ein Prozessmodell, das allen Partnern im Entwicklungsprozess ein Gerüst und immer wieder Orientierung bietet. Es ermöglicht auch die Evaluation von Nachhaltigkeitszielen und kann so die Transformationskraft von Entwicklungen grüner Bildungsangebote auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen visualisieren.

Dieses Prozessmodell beschreibt verschiedene Stufen der Ko-Kreation, wobei es in einem ersten Schritt immer um die Definition einer gemeinsamen Sprache und einer gemeinsamen Terminologie geht. Erst wenn grundlegende Konzepte und Ansätze von allen Partnern ausgehandelt sind, beginnt der gemeinsame Entwicklungsprozess, der Wissen und Erfahrungen aus beiden Ländern integriert. Nach und nach entsteht eine neue Bildungsdienstleistung, die von allen am Prozess Beteiligten erprobt, evaluiert und optimiert wird. Dabei ist der Evaluationsprozess ein wichtiger Pfeiler der Dienstleistung, weil er garantiert, dass immer wieder Anpassungen an neue Wissensbestände und technologische Veränderungen vollzogen werden können.

Ein Beispiel aus der Praxis

Das FIAP unterstützt mit diesem Vorgehen seit Jahren die Arbeit von Bildungsdienstleistern, insbesondere auf innovativen, "grünen", internationalen Märkten. Ein Beispiel dafür ist das Projekt GRÆDUCATION.

In diesem Projekt wurde der Ansatz der systemischen Interventionsforschung und das Modell zur transkulturellen Entwicklung von Bildungsdienstleistungen, das bereits im Projekt ChinaCare konzeptionell gestaltet wurde, für die deutsch-griechische Berufsbildungszusammenarbeit angepasst und umgesetzt. In einem moderierten Prozess entwickelten deutsche Berufsbildungsanbieter in Zusammenarbeit mit der griechischen Arbeitsagentur und griechischen Berufspädagogen ein Modell zum "Greening" und zur Modernisierung von Curricula und zur Anpassung der Unterrichtspraxis. In den Bereichen Elektronik, Kälte und Klima sowie Sanitär- und Heizungsanlagen entstanden neue Berufsprofile und Qualifizierungsangebote, die sowohl innovative, nachhaltige, smarte Technologie integrieren, aber auch auf interdisziplinärer Ebene neue Angebote machen.

Im Dialog entstanden neue Ideen für die Umsetzung moderner Berufsbildung in Griechenland und in Deutschland. In direkter (ko-kreativer) Zusammenarbeit wurde darüber hinaus ein inhaltliches, aber auch bauliches Konzept für ein modernes, grünes Berufsbildungszentrum in Westmazedonien entwickelt, das hochwertige innovative Lernwerkstätten bietet und nach deutschen "Best Practices" konzipiert wurde. Deutsche und griechische Expertinnen und Experten arbeiten hier zusammen und unterstützen das Innovationsmanagement in beiden Ländern.

In der durch einen starken Strukturwandel gekennzeichneten Region Westmazedonien entstanden und entstehen neue Marktchancen auch für deutsche Unternehmen und Bildungsanbieter. Das neu entstehende Bildungszentrum dient der Region als Think Tank für ökologische Transformation, wo auch regionale Unternehmen ihre Bedarfe zum Ausdruck bringen. Wesentlich bei dem hier implementierten Ansatz ist die inter- und transdisziplinäre und die transkulturelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die gemeinsame Weiterentwicklung von Bildungsangeboten.


Links

GRÆDUCATION - Ausbildung umwelttechnischer Berufe in Griechenland

ChinaCare


Fachartikel "Systemische Entwicklung von "grünen" Bildungsdienstleistungen als Promotor ökologischer Transformation"

Dieser Fachartikel ist dem iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 1/2022, erschienen im Mai 2022, entnommen. 

  • Autorin: Silke Steinberg, Leitung Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention e. V.

xPORT 1/2022

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Titel des Magazins


Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 1/2022