Saudi-Arabien: Marktchancen und Exportmöglichkeiten

Lesen Sie in diesem Auszug aus der neuen iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien, in welchen Sektoren ein erhöhter Fachkräftebedarf erwartet werden kann und sich Chancen für einen Bildungsexport aus Deutschland ergeben können.

drei Männer von hinten mit Bauhelmen im Arm
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Begehung einer Baustelle in Saudi-Arabien

Der saudische Arbeitsmarkt befindet sich zweifelsohne in einem tiefgreifenden Wandel und steht in Zukunft vor großen Herausforderungen. 

Einerseits sind es die staatlichen Reformpläne im Zuge der Vision 2030, wie die Saudisierung des Arbeitsmarktes, der Abbau der hohen Jugendarbeitslosigkeit, die Erhöhung der Beschäftigungsquoten für Frauen, die Stärkung des Privatsektors und die Anwerbung internationaler Investitionen, um nur einige zu nennen. 

Andererseits sind es globale und gesellschaftliche Themen, die hier einen erheblichen Einfluss ausüben. Die Attraktivität für internationale Investoren im Vergleich zu den Nachbarländern ist nur ein entscheidender Faktor. Die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte im saudischen Arbeitsmarkt und deren Bereitschaft zur Anwendung digitaler Technologien und Prozesse im Zeitalter von Industrie 4.0 sind weitere Faktoren.

Ebenso drängend ist die Frage nach der Nutzung erneuerbarer Energien in einem der wichtigsten Ölförderländer der Welt, deren Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und die Aus- und Weiterbildung der Bevölkerung. Die zunehmende Emanzipation der Frauen ist ein weiterer Faktor, der in den kommenden Jahren den Wandel des Arbeitsmarktes bestimmen wird. 

Alle diese Fragen sind in der Vision 2030 immanent und müssen für die Zukunft beantwortet werden. Für die deutsche Aus- und Weiterbildungsbranche, die sich für einen Markteintritt in Saudi-Arabien grundsätzlich offen zeigt und notwendige Ressourcen bereitstellen kann, ergeben sich geschäftliche Möglichkeiten im Aus- und Weiterbildungsmarkt in nahezu allen Wirtschaftssektoren des Landes. 

Geduld und ein langer Atem sind hierbei allerdings gefragt. Arbeitsmarktreformen brauchen Zeit und erfordern einen nicht unerheblichen Wandel in der Mentalität der saudischen Bevölkerung hinsichtlich der Attraktivität beruflicher Aus- und Weiterbildung.

junge Frau schaut auf ein Tablet
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saudi-arabische Studentin

Industrie 4.0 und Digitalisierung

Die Digitalisierung der saudischen Wirtschaft ist ein wesentlicher Bestandteil der Vision 2030. Einer Analyse des World Economic Forum nach könnten etwa 46 Prozent aller industriellen Produktionsprozesse in Saudi-Arabien durch digitale Industrie 4.0- Anwendungen optimiert und teilautomatisiert werden. 

Besonders im Bereich der Automatisierung werden Kontakte zu deutschen Firmen gesucht. Siemens unterzeichnete beispielsweise zusammen mit dem National Industrial Cluster Developments Program in 2017 ein milliardenschweres Rahmenabkommen über die Infrastruktur-Ausstattung größerer Städte in Saudi-Arabien. SAP und die saudische Regierung vereinbarten zudem eine enge Kooperation bezüglich der Digitalisierung des Königreiches. 

Ohne ausreichend beruflich qualifizierte Fachkräfte im Bereich von Industrie 4.0 und Digitalisierung werden die ambitionierten Ziele der Vision 2030 nicht zu realisieren sein. Die berufliche Aus- und Weiterbildung in allen Bereichen der industriellen Wertschöpfungskette muss in Saudi-Arabien im nächsten Jahrzehnt nachhaltig auf- und ausgebaut werden.

Nicht zuletzt aufgrund der Dominanz des Öls als treibender Faktor für die saudische Wirtschaft wurden andere industrielle Bereiche in der Vergangenheit vernachlässigt. Lediglich zehn Prozent des saudischen BIP werden derzeit im produzierenden Gewerbe erzielt. Im Rahmen des National Transformation Programs 2020 soll dieser Anteil auf 20 Prozent erhöht werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Economic Cities and Special Zones Authority (ECZA) unter der Saudi Arabian General Investment Authority (SAGIA) gegründet. Die Behörde ist mit dem Aufbau von vier ökonomischen Planstädten im Königreich betraut, zu denen auch die bei Jeddah befindliche King Abdullah Economic City zählt. Bis 2020 sollen die Städte insgesamt 4,5 Millionen Arbeitsplätze schaffen.

Auch jenseits des rohstofffördernden Sektors besteht ein zunehmender Bedarf an qualifizierten saudischen Arbeitskräften. Das Königreich ist insbesondere hinsichtlich fortschrittlicher Industrieerzeugnisse bisher ein großer Importmarkt, welcher von der Automobilindustrie und elektrischer und mechanischer Endprodukte (Motoren, Pumpen und Turbinen) dominiert wird. Das Ziel der Vision 2030, die Importabhängigkeit des Landes zu reduzieren, kann ebenfalls nur durch hochqualifizierte saudische Fachkräfte erreicht werden, die in industriellen Fertigungsprozessen unentbehrlich sind.

Das zeigt sich auch in weiterführenden Qualifikationsmaßnahmen von Ingenieurinnen und Ingenieuren im Rahmen der Aktivitäten des Saudi Council of Engineers (SCE). Die dem Ministerium für Handel unterstellte Behörde verfolgt das Ziel, das Bildungsniveau saudischer Ingenieurinnen und Ingenieure zu heben. Hierfür organisiert das SCE unter anderem Kurse, Konferenzen und Symposien. Ein Beispiel hierfür ist das in Kooperation mit dem Yanbu Industrial College durchgeführte Schulungsprogramm zur Weiterentwicklung von industriellen Fähigkeiten. 

Berufe der Metall- und Elektroindustrie – von der Anlagenmechanikerin/vom Anlagenmechaniker bis zur Mechatronikerin/zum Mechatroniker und zur Elektronikerin/zum Elektroniker für Informations- und Systemtechnik werden in Saudi-Arabien gefragt sein.

Diese Berufe weisen Berührungspunkte zu nahezu allen Wirtschaftsbereichen auf. Insofern kann hier von einem grundlegenden Bedarf gesprochen werden. Bildungsangebote für Schlüsselqualifikationen wie Datensicherheit und Programmierung dürften ebenfalls eine starke Nachfrage erfahren.

Infrastruktur und Tourismus

Fachkräfte im Infrastrukturbereich sind in Zukunft ebenfalls zunehmend gefragt. Absolventinnen sowie Absolventen mit einschlägiger Berufsbildung bietet der Infrastruktursektor ein großes Potenzial nachhaltiger Beschäftigungsmöglichkeiten.

Neben der kommunalen Versorgungsinfrastruktur (zum Beispiel Verkehrswege zu Land und zu Wasser, Wasserversorgung, Energie und Telekommunikation) wird insbesondere auch die Infrastruktur an öffentlichen Einrichtungen (zum Beispiel Ausbildungsinstitutionen, Krankenhäuser, Wohnungsbau, Sportanlagen und Pflegeeinrichtungen für Ältere) zunehmend an Bedeutung gewinnen. In diesen Bereichen ergeben sich in Zukunft für das Angebot und die Nachfrage am Arbeitsmarkt große Potenziale.

Der Ausbau der Tourismuswirtschaft ist im Fokus der Vision 2030. Neben der konsequenten Erweiterung der Kapazitäten für Pilgerinnen und Pilger – bis 2020 sollen Reisen für bis zu 15 Millionen Muslime pro Jahr möglich sein – sind auch attraktive Tourismusangebote für Reisende aus aller Welt in der Planung.

Durch Vereinfachungen bei der Visavergabe, der Angleichung an internationale Standards für Unterhaltungseinrichtungen und Hotelanlagen sowie der Vermarktung historischer Orte – das Land hat fünf UNESCO-Weltkulturerbestätten vorzuweisen – für den Tourismus, sollen nicht nur Muslime Saudi-Arabien als attraktives Reiseziel entdecken und bereisen. 

Die Saudi Commission for Tourism & National Heritage (SCTH) förderte in den letzten Jahren insbesondere die Wiederherstellung und Instandhaltung des kulturellen Erbes. Bis 2030 sollen landesweit 17 historische Handwerkszentren und 18 als Nationalerbe identifizierte Dörfer wiederaufgebaut und 18 Museen in Betrieb genommen werden. Zu diesem Zweck wurde die saudische Handwerksgesellschaft (Saudi Handicraft Company) gegründet, die verschiedene Initiativen zur Förderung des Handwerks koordiniert. 

Sowohl in der Tourismuswirtschaft als auch in der Handwerksförderung und den anhängenden Dienstleistungen ergeben sich Potenziale für konkrete saudisch-deutsche Kooperationen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Ein Ansatz in dieser Richtung mit Fokus auf junge Frauen in Saudi-Arabien wurde bereits in den Jahren 2011/12 von einem deutschen Konsortium (Kolping Bildungswerk, Dr. Robert Eckert-Schulen, Bildungszentrum der Handwerkskammer Münster und der Firma gpdm) entwickelt. Das geförderte Pilotprojekt namens FATIMA konnte jedoch mangels länger dauernder öffentlicher Förderung nicht nachhaltig in Saudi-Arabien implementiert werden.

Mann in Arbeitskleidung hockt an einem Rohr
DrKörnerConsult

Energie

Mit einem stetig wachsenden Bevölkerungswachstum und den weiteren Industrialisierungsstrategien der Vision 2030 steigt auch der Energiebedarf des Landes. Prognosen gehen von einem Bedarf von über 120 Gigawatt bis 2032 aus. Das würde eine Steigerung des Bedarfes an fossilen Brennstoffen von rund 250 Prozent bedeuten, sofern dieser nicht bis 2030 durch alternative Energien ersetzt wird. 

Um den Herausforderungen des steigenden Energiebedarfes proaktiv zu begegnen, strebt die staatliche Energiebehörde King Abdullah City for Atomic and Renewable Energy (KACARE) eine Reduktion des Bedarfes an fossilen Energieträgern an. Zur langfristigen Gewährung der Energiesicherheit soll ein Energieportfolio aus konventioneller, erneuerbarer und atomarer Energieerzeugung geschaffen werden. 

Um dieses Ziel zu erreichen, wird ein aktiver Austausch mit Ländern, die einen verhältnismäßig hohen Anteil alternativer Energieträger nutzen, intensiv gesucht. Besonders im Bereich regenerativer Energieerzeugung und -versorgung durch intelligente Stromnetze ergeben sich hervorragende Möglichkeiten von Aus- und Weiterbildungskooperationen (zum Beispiel Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Geothermie). 

Handel und Dienstleistungen

Gerade im Hinblick auf die zunehmende Inklusion von Frauen in den saudischen Arbeitsmarkt stellt der Handels- und Dienstleistungssektor große Wachstumspotenziale dar. Mit seit Jahren steigenden Wachstumsraten liegt der Anteil des Dienstleistungssektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in 2018 bei 48,2 Prozent.

Obwohl im Dienstleistungsbereich die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten (noch) aus Gastarbeiterinnen sowie Gastarbeitern im unteren Lohnsektor besteht, lässt sich anhand der Saudisierungsziele der Regierung, des Bevölkerungswachstums und der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Ziele der Vision 2030 ein allmählicher Wandel beobachten. Bis 2030 wird eine Produktivitätsverdopplung des Dienstleistungssektors und eine Zunahme der Beschäftigungszahlen im Dienstleistungsbereich um 800.000 Menschen prognostiziert. 

Hier ergeben sich aus Sicht der Autorinnen und Autoren der iMOVE-Marktstudie vielfältige Möglichkeiten für Aus- und Weiterbildungsangebote. Beispielhaft seien hier der Gesundheits-, der E-Commerce-, der Hotel- und Restaurant-, der Logistik- und der Freizeitsektor genannt. 

Der maritime Sektor

Der Ausbau Saudi-Arabiens zu einem logistischen Tor zu drei Kontinenten ist eine der Prioritäten der Vision 2030. Im Rahmen dessen ist insbesondere der Ausbau des maritimen Sektors von großer Bedeutung. Zum Zeitpunkt der Studie wird in Ras Al-Khair weiter am King Salman International Complex for Maritime Industries and Services gebaut. Die dann weltgrößte Werft soll 2022 fertiggestellt werden und zu einer Steigerung des BIP in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar beitragen sowie 80.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze bis 2030 generieren. 

Durch das aus Saudi Aramco, Bahri, Hyundai Heavy Industries und Lamprell bestehende Joint Venture sollen Öl- und Gasbohrinseln, Offshore-Versorgungsschiffe, Rohöltanker sowie weitere maritime Ausstattung und kommerzielle Schiffe gebaut werden können. Ferner können Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten in dem Komplex durchgeführt werden. 
Der in fünf Zonen unterteilte Werftkomplex wird nicht nur über die zur Errichtung und Wartung notwendigen Trockendocks, Liegeplätze, Werkstätten und Konstruktionshallen verfügen, sondern auch über Erholungseinrichtungen und Arbeiterunterkünfte. Bis 2030 wird eine Saudisierungsquote von über 50 Prozent erwartet.

Damit ist die Notwendigkeit verbunden, die einheimischen Arbeitskräfte darauf vorzubereiten und zu qualifizieren.

► Autoren: Dr. Helge Körner, Markus Milwa


Weitere Information

Titelbild der Marktstudie Saudi-Arabien

Der Artikel ist ein Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, die in Kürze in zweiter, komplett überarbeiteter Auflage erscheint. In der Studie finden Sie die vollständige Übersicht der im Artikel verwendeten Quellen.


Quelle: iMOVE, der iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung 2020 entnommen