Russlands Trend zu Digitalisierung und E-Learning

Die russische Regierung will die Wirtschaft des Landes nachhaltig modernisieren. Digitalisierung lautet das Stichwort. Mit gut ausgebildeten IT-Fachkräften, einer internetaffinen Jugend und einer großen Zahl Online-Käuferinnen und -Käufern ist in Russland das Digitalisierungspotenzial groß.

Lesen Sie den Artikel zum Thema aus der iMOVE-Marktstudie Russland, die jetzt erschienen ist.

Mechaniker in der Stahlindustrie
© pankration/iStockphoto.com

Russland ist aufgrund seiner enormen Größe vor besondere Herausforderungen gestellt. Während es in den großen und bevölkerungsstarken Städten wie Moskau oder Sankt Petersburg vielfältige Bildungsangeboten gibt, ist das Bildungspanorama in ländlichen Gebieten eingeschränkt. Digitale Medien bieten hier eine Chance, den Zugang zu Bildung zu verbessern und den Qualitätsunterschied durch das Stadt-Land-Gefälle auszugleichen.

Gleichzeitig treibt der russische Staat seit 2013 den Ausbau der Breitbandinfrastruktur massiv voran, um die digitale Ungleichheit in den Regionen auszugleichen. Alle Orte mit mehr als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sollen mit Long Term Evolution (LTE) versorgt werden. Große Aufmerksamkeit kommt bei diesem Projekt Kommunikationssatelliten zu, die auch für das Breitbandinternet genutzt werden. Seit 2016 befinden sich zwölf dieser Satelliten in der Erdumlaufbahn.

Mobiles Internet kostet in Moskau nur etwa ein Fünftel dessen, was in anderen Metropolen gezahlt werden muss. Die Preise für den Internetzugang sinken seit Jahren und mittlerweile sind circa  73 Millionen russischer Bürgerinnen und Bürger täglich online – 23 Prozent davon ausschließlich über mobile Geräte.

Die russische Regierung strebt außerdem an, mittels Digitalisierung die Wirtschaft nachhaltig zu modernisieren. Mit gut ausgebildeten Informationstechnologie (IT)-Fachkräften, einer internetaffinen Jugend und vor dem Hintergrund der hohen russischen Bevölkerungszahl und den damit verbundenen zahlreichen potenziellen Online-Käuferinnen und -Käufern ist in Russland das Digitalisierungspotenzial groß.

Mit der Digitalisierungsoffensive soll der Rückstand zu Ländern wie Deutschland hinsichtlich des Themas Industrie 4.0 aufgeholt werden. Die Unternehmensberatung McKinsey hat errechnet, dass die Digitalwirtschaft aktuell etwa vier Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht und die Branche dynamisch wächst. Bereits 2021 könnte ihr Anteil auf 4,7 Prozent steigen.

Fachartikel zur Digitalisierung in Russland

Dieser Fachartikel ist ein Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Russland, Kapitel 4.6, die im November 2019 erschienen ist.
 

  • Inhalt der Marktstudie: enviacon GmbH
  • Autorinnen der Marktstudie: Vera Thülig, Charlotte Schuchard, Inga Markwart
junger Russe beugt sich über eine Apparatur
© Festo Didactic

Auszubildender bei den WorldSkills Russia

Viele deutsche Unternehmen wirken bei besagter Digitalisierungsoffensive mit. In diesem Kontext haben sich Unternehmen wie Siemens, Bosch und SAP mit russischen Firmen, dem Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft, der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer sowie dem russischen Verband der Industriellen und Unternehmer zur German-Russian Initiative for Digitalization (GRID) zusammengeschlossen. Die GRID-Initiative bietet russischen Unternehmen Einblick in Industrie 4.0-Lösungen der deutschen Wirtschaft (vergleich Außenwirtschaftsportal Bayern 2018).

Die Bestrebungen der Regierung der Russischen Föderation in den Bereichen Digitalisierung und Industrie 4.0 haben auch Auswirkungen auf den Bildungssektor. Russische Ausbildungseinrichtungen müssen Fachkräfte für den digitalisierten Arbeitsmarkt ausbilden, die in der Lage sind, mit Hochtechnologiemaschinen sowie Informations- und Kommunikationstechnologien zu arbeiten.

Im Rahmen einer richtungsweisenden Pressekonferenz des MINOBRNAUKI im März 2018 kommunizierte die Bildungsministerin Olga Wassiljewna die Inbetriebnahme einer Online-Datenbank für die Fernausbildung im Bereich der Sekundar- und Hochschulbildung. Das "Moderne Digitale Bildungsumfeld" der Russischen Föderation (Sovremennaja Zifrowaja Obrazowatelnaja Sreda RF) ist Ergebnis das verstärkter Regierungsaktivitäten zur Verbesserung des Bildungssystems und beinhaltet über 450 Kurse, die über 13 Online-Bildungsplattformen zugänglich sind.

Durch Fernkurse und moderne E-Learning-Angebote können Schülerinnen und Schüler auch dann unterrichtet werden, wenn zum Beispiel schwierige Wetterverhältnisse den Weg zur Ausbildungsstätte erschweren oder verhindern.

Für allgemeinbildende Schulen wurde im Sommer 2016 daher das Programm "Die russische elektronische Schule" vom Bildungsministerium vorgestellt. Lehrinhalte der Klassenstufen fünf bis neun werden hier in Video-Lektionen und Video-Botschaften festgehalten. So sollen in einem Zeitraum von drei bis vier Jahren alle Fächer und Klassenstufen abgedeckt werden. Die elektronische Schule soll langfristig für alle Schülerinnen und Schüler des Landes zugänglich sein und ergänzend zum Präsenzunterricht angeboten werden.

Bis auf vereinzelte digitale Bildungsangebote wie beispielsweise das der Knauf Akademie GUS, stehen im Bereich der Berufsbildung E-Learning-Projekte noch weitestgehend aus.

Angesichts der mangelnden technischen Ausstattung in Berufsschulen und politischer Ansätze im Bereich E-Learning lässt sich auf ein beachtliches Marktpotenzial für Soft- und Hardware im Bildungsbereich schließen. Dem stehen jedoch die knappen Budgets im Bildungsbereich entgegen.

junge Russen arbeiten an mechanischen Apparaturen

Auszubildende der Mechatronik

Seit November 2014 können lediglich allgemeine Informationen und gesetzliche Regelungen sowie innovative Methoden zur beruflichen Erstausbildung auf dem russischen Online-Fachportal "Prof-Mayak" abgerufen werden. Videoclips zu Best-Practice-Beispielen einiger Berufsschulen und ein Diskussionsforum ergänzen das Angebot.

Ausschlaggebend für die Entwicklung des Portals war die Nachfrage deutscher Unternehmen in Russland, die bis dato vergeblich Trainingsinstrumente für eine duale Ausbildung sowie einen Marktplatz für Bildungsdienstleistungen suchten. Das vom BIBB entwickelte Ausbilderportal "foraus.de" diente als Vorlage zur Erstellung des Online-Fachportals. Während einer Sitzung der deutsch-russischen Arbeitsgruppe zur Berufsausbildung im Juni 2017 wurde in diesem Kontext bekanntgegeben, dass künftig die russische Nationale Agentur für die Entwicklung von Qualifikationen (NARK) für das Portal Prof-Mayak zuständig sein wird. Das Portal ist heute unter der Internetadresse bc-nark.ru in russischer Sprache zu finden.

Innovative Lernmethoden in Verbindung mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien halten langsam aber stetig Einzug in russische Bildungsstätten. Einige Projekte im Bereich der Primarbildung existieren bereits. Gleichzeitig bestehen Hürden wie das Fehlen von Internetzugängen an den Lernorten und die traditionelle Bevorzugung des Frontalunterrichts durch russische Lehrkräfte.

Eine Untersuchung zum Mobile-Learning in russischen Schulen des Leningrader Regionalinstituts für Lernentwicklung stellte fest, dass sowohl Schulleiterinnen und Schulleiter als auch Lehrkräfte einen Sinneswandel vollziehen müssen, damit Methoden des Mobile-Learning in Schulen etabliert werden können – von der Präsentation von Wissensinhalten bis hin zu verschiedenen Formen der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen.

Heute besteht in russischen Schulen vielfach eine Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler, die mobile Technologien zum Lernen verwenden möchten, und der Voreingenommenheit des Lehrpersonals, diese in der Praxis einzusetzen. Auch ist die Infrastruktur für den Einsatz mobiler Technologien an den meisten Schulen nicht gegeben.


Quelle: iMOVE, Artikel aus der iMOVE-Marktstudie Russland für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, 2019