Junge armenische Journalistinnen lernen, kritisch über Umweltthemen zu berichten

Obwohl sie von den armenischen Behörden angefeindet und ignoriert werden, berichten junge Journalistinnen erfolgreich über Umweltthemen, mit denen ihre Heimatregionen konfrontiert sind.

Lusine Aleksanyan ist im Osten Armeniens aufgewachsen, einem Binnenstaat. Sie empfindet es als Privileg, die Sommerferien mit ihrer Familie an den Ufern des nahegelegenen Sewansees verbracht zu haben. Dieser hoch gelegene See ist das größte Gewässer Armeniens und des Kaukasus und wird nicht nur zur Erholung genutzt. Seit dem frühen 20. Jahrhundert ist der See auch für die Bewässerung und die Energiegewinnung aus Wasserkraft von entscheidender Bedeutung für das Land.

Lusine war überrascht als ihre und andere Familien plötzlich nicht mehr im See baden gehen konnten. Das Wasser war brackig und schmutzig und sein Pegel sank. "Aber niemand hat wirklich verstanden, warum", sagte sie. "Und niemand schien wirklich daran interessiert zu sein, es herauszufinden."

Dann, an der Schwelle zu ihren Teenagerjahren, erfuhr sie, dass Abwässer in den See eingeleitet worden waren und dass das Wasser seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gereinigt worden war. Ein paar Jahre später wurde ihr klar, dass die zuständigen Behörden aufmerksamer hätten sein und reagieren müssen.

Weniger Fische im Meer

Sie brauchte Antworten und bekam letztlich als Praktikantin bei Factor TV – einem Partner der DW Akademie – die Chance, nach ihnen zu suchen. Seit 2021 bietet der Sender Journalismusstudierenden die Möglichkeit, die Medientheorie in die Praxis umzusetzen – sie lernen, Interviews zu führen, mit einem Kamerateam zu arbeiten, Videos zu schneiden, Themenvorschläge abzustimmen, Daten auszuwerten und mit Behörden umzugehen.

Darüber hinaus haben Ausbildende von BBC Media Action und der DW Akademie mit armenischen Medienmanagerinnen und -managern, Vertreterinnen und Vertretern regionaler Medienunternehmen, unabhängigen Journalistinnen und Journalisten, Faktencheckerinnen und Faktencheckern, sowie jungen Medienschaffenden und Studierenden zusammengearbeitet. Das Projekt hat nicht nur armenischen Medien bei der Bewältigung politischer Krisen und Konflikte entscheidend gestärkt, sondern auch in Bezug auf den Klimawandel und die Verbreitung von Desinformationen und Fake News.

Im vergangenen Jahr nutzten Lusine und andere Praktikantinnen und Praktikanten das Gelernte, um über Umweltprobleme in Armenien, zum Beispiel im Bergbau oder beim Abfallrecycling, zu berichten. Lusine recherchierte schließlich über den Rückgang der Flusskrebse im Sewansee und die illegale Fischerei. Ihre Analyse und Überprüfung der Fakten führte dazu, dass sie Widersprüche in den Aussagen der Regierung entdeckte, die versuchte, das Umweltproblem kleinzureden.

Bis zur Veröffentlichung der Geschichte hatten sie und ihre Kolleginnen und Kollegen gehofft, auch Bilder von Flusskrebsen zeigen zu können, bekamen aber bezeichnenderweise keinen einzigen vor die Linse.

Unbeantwortete Fragen

Wie Lusine fühlte sich auch Marine Dvoyan von einer Geschichte angezogen, die sie und ihre Familie persönlich betraf. In der Nähe ihres Hauses gibt es eine Sondermülldeponie sowie zahlreiche Minen und Bergbaufabriken. Sie stellte fest, dass es an all diesen Standorten Probleme gab, über die in den Medien zu wenig berichtet wurde.

Bei ihren Recherchen fand sie heraus, dass die armenische Regierung unterirdische Abwasserkanäle gebaut hat, um giftige Abfälle zu beseitigen.

Doch dann fragte sie sich: Wie geht es weiter?

Ihre Anfragen nach Interviews verliefen zunächst im Sande. Zur gleichen Zeit wurde bei der Regierung ein Antrag auf Bebauung eines Grundstücks in der Nähe eines Bergwerks gestellt, der jedoch zurückgezogen wurde, als der Bauherr erfuhr, dass das Gebiet verseucht sein könnte.

"Tatsache ist", so Marine, "dass die Regierung nicht die Mittel hat, um diese Chemikalien zu beseitigen. Sie unter der Erde zu vergraben, löst das Problem aber auch nicht."

Reaktionen der Öffentlichkeit und der Regierung

Eine andere Praktikantin, Ani Evinyan, recherchierte zu einer Initiative der Regierung, die die Menschen dazu motivieren sollte, beim Einkaufen recycelte Tüten zu verwenden. Sie stellte dabei fest, dass es eine Herausforderung war, sich gegen die armenischen Behörden durchzusetzen.

Die Idee mit den Tüten klang gut gemeint, aber seltsamerweise sah Evinyan nur wenige Menschen, die den Plan umsetzten. Sie wandte sich an das armenische Umweltministerium und war überrascht, als sie erfuhr, dass der Erfolg – oder Misserfolg – des Programms nicht überwacht wurde. Und dass, obwohl die Regierung selbst plante, weitere Einschränkungen für Plastiktüten einzuführen. Diese Diskrepanz veranlasste sie dazu, die Menschen direkt zu fragen, warum die wiederverwertbaren Tüten scheinbar unattraktiv waren.

"Die Leute sagten mir, dass sie die neuen Beutel nicht verwenden wollten, weil sie mehr kosteten", so Ani. "Und obwohl die Beutel dicker und stabiler aussahen, waren sie nicht wirklich von besserer Qualität." Ihr Bericht löste in den sozialen Medien zahlreiche Reaktionen und Diskussionen aus, doch die Regierung schwieg zu dem Thema.

Diese offensichtlichen Probleme – Wasser, in dem man nicht schwimmen kann, Einkaufstüten, Steinbrüche in der Landschaft – bieten sich für junge Reporterinnen und Reporter an, die das Handwerk des Journalismus erlernen wollen.

Lusine sagt, dass sie sich anfangs, als sie bei Factor TV anfing, zum politischen Journalismus hingezogen fühlte, "weil sich in Armenien alles politisch anfühlt."

"Aber dann bekam ich die Chance, über die Umwelt zu berichten", fährt sie fort, "und ich sah, dass es eine größere Chance gab, kreativ zu sein und mit überzeugenden Bildern Geschichten zu erzählen, die für mich und andere wichtig sind."

Praktikumsprogramm

Das Praktikumsprogramm von Factor TV ist Teil des Projekts "European Media Facility in Armenia", das die DW Akademie in Zusammenarbeit mit BBC Media Action, der Democracy Development Foundation (DDF), Hetq und Factor TV durchführt. Das Projekt wird von der Europäischen Union und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert.


Quelle: Deutsche Welle - DW Akademie, akademie.dw.com, 30.11.2023