Interviews zum Bildungsexport nach Saudi-Arabien

Lesen Sie, wie zwei Interviewpartner den Bildungsexport nach Saudi-Arabien einschätzen. Beide Interviews sind der iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien entnommen, die in Kürze erscheint.

Ansicht historischer Lehmbauten
mtcurado/iStockphoto.com

Historisches Diriyya, eine UNESCO-Weltkulturerbestätte

In einem Interview steht ein in Saudi-Arabien tätiger Bildungsanbieter Rede und Antwort, in einem weiteren Interview eine Vertreterin des Delegiertenbüros der Deutschen Wirtschaft in Riad. 

Interview mit Carlo Humberg

Carlo Humberg ist seit 15 Jahren bei der TÜV Rheinland Akademie GmbH für das Business Development International im Bereich Academy & LifeCare verantwortlich.

Redaktion: Seit wann ist die TÜV Rheinland AG in Saudi-Arabien tätig und in welchen Industriebereichen ist das Unternehmen tätig? Braucht es einen langen Atem, um als deutsches Unternehmen in Saudi-Arabien Fuß zu fassen? Spielt das Label "Made in Germany" für einen erfolgreichen Markteintritt eine entscheidende Rolle?

Carlo Humberg: In Saudi-Arabien, wie auch in anderen Ländern, ist der TÜV Rheinland hauptsächlich als unabhängige Inspektions- und Zertifizierungsstelle tätig. Als Unternehmensgruppe betreibt die TÜV Rheinland Group auch einen starken Bildungsgeschäftsstrom, Academy & LifeCare. Diese Bildungsdienste werden immer mehr in unser globales Netzwerk integriert.

Die TÜV Rheinland Arabia LLC in Jeddah wurde 2005 gegründet und ist jetzt an fünf Standorten tätig (Jeddah, Riad, Al Khobar, Jubail, Al Hasa). Sie bietet das gesamte Spektrum der TÜV Rheinland-Dienstleistungen für Industrie und Bildungseinrichtungen.

Die TÜV Rheinland Akademie ist eines der größten privaten Ausbildungsinstitute in Deutschland mit einer weltweiten Reichweite ihrer Dienstleistungen. Als Aus- und Weiterbildungsdienstleister blicken wir auf eine 50-jährige Geschichte zurück. Die Akademie ist in rund 26 Ländern auf allen Kontinenten vertreten und beschäftigt weltweit mehr als 1.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Als internationaler Schulungs- und Ausbildungspartner sind unsere Lösungen auf die Bedürfnisse verschiedener Branchen, Industrie- und Handelsunternehmen sowie Kunden auf der ganzen Welt abgestimmt. Unsere Schulungs- und Entwicklungsdienstleistungen decken ein breites Spektrum von Programmen zur grundlegenden und kontinuierlichen Entwicklung ab:

  • Qualifizierung − breites Spektrum an Berufsausbildungsprogrammen,
  • Betrieb von privaten Hochschulen,
  • Lehrplanentwicklung,
  • Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonal,
  • Kompetenzfeststellung und Personalzertifizierung,
  • Implementierung verschiedener Lernmethoden und -kanäle: Vom praktischen Training auf der Grundlage des deutschen dualen Systems bis zur Integration moderner Lerninstrumente: Augmented und Mixed Reality, E-Learning,
  • Informationstechnologie (IT)- und IT-Sicherheitsqualifizierungsprogramme,
  • Bildungsberatung: Planung und Einrichtung einer modernen Lernumgebung und Betriebsabläufe.

Die Dienstleistungen reichen von der formalen Erstausbildung bis hin zu lebenslangen Fortbildungsprogrammen.

Natürlich ist das Label "Made in Germany" aus anfänglicher Marketingperspektive von Vorteil. Das ist alles! Was wichtiger ist, sind die tatsächliche Servicebereitstellung auf hohem Niveau, die Flexibilität bei der Servicebereitstellung und ein breites Serviceportfolio.

Redaktion: Seit einigen Jahren ist TÜV Rheinland/Arabia LLC Partner des National Industrial Training Institute (NITI). Beschreiben Sie bitte die Zusammenarbeit und die jeweiligen Aufgaben. Was wurde bisher gemeinsam erreicht? Haben Frauen in der Zwischenzeit Zugang zum NITI?

Carlo Humberg: TÜV Rheinland ist der internationale Ausbildungsanbieter am Nationalen Institut für industrielle Ausbildung in Al-Ahsa. Seit 2015 führen wir bei NITI ein ganzjähriges Ausbildungsprogramm und mehrere kürzere Programme für Saudi Aramco, die Saudi Electricity Company, Luberef, Arkad, Larson&Toubro, Schlumberger und andere durch, die die Bereiche Elektrik, Mechanik, Instrumentierung, Raffineriebetreiber, Schweißen, Metallarbeiten und Rohrmontage umfassen sowie technische Programme für Fachleute in verschiedenen Branchen.

Unser Team bei NITI deckt derzeit rund 100 Vollzeitlehrer für die verschiedenen Disziplinen ab und reagiert ständig mit Ressourcen, die den unterschiedlichen Kundenanforderungen entsprechen. In den letzten Jahren wurden mehrere 1.000 Teilnehmer am NITI qualifiziert.
NITI qualifiziert derzeit nur männliche Auszubildende.

Redaktion: Im Zuge der Vision 2030 wird nicht nur der Bildungssektor des Landes erheblich reformiert. Wie wirkt die Vision 2030 auf die laufende Zusammenarbeit mit dem NITI ein oder sind Sie ohnehin auf Kurs und haben eine Vorbildfunktion? Worin sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Umsetzung der geplanten Bildungsreformen?

Carlo Humberg: Mit der Veröffentlichung von "Vision 2030" wurde ein mutiges Programm zur Entwicklung der Wirtschaft und zur Transformation der Gesellschaft definiert. Sei es die Modernisierung von Städten und Infrastruktur, die Steigerung der Wertschöpfung im Königreich oder die Entwicklung von Saudi-Arabien zum logistischen Zentrum zwischen Kontinenten.

Alle definierten Aspekte erfordern qualifizierte Menschen vor Ort. Der starke Fokus auf lokale Wertschöpfung geht einher mit einem klaren Fokus auf Beschäftigungsfähigkeit und Qualifikation lokaler Arbeitskräfte, sodass die geschaffenen Arbeitsplätze von der jungen Bevölkerung im Königreich übernommen werden können. Dies schafft vielfältige Möglichkeiten im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung.

Die größten Herausforderungen liegen in Ausdauer und Kontinuität in den Bildungsreformen und den Investitionen. Ausbildung und die Modernisierung von Ausbildung sind kostenintensiv. Dies wird teilweise unterschätzt. In den letzten Jahren hat man immer wieder Projekte gesehen, die zwar aufgelegt und angestoßen wurden, dann aber wieder zum Stillstand kamen.

Redaktion: Saudi-Arabien setzt mehr und mehr auf Public Private Partnership-Strukturen im Bildungsbereich. Exemplarisch zu sehen an den Colleges of Excellence, die bisher ausschließlich von angelsächsischen Bildungsanbietern betrieben werden. Wie schätzen Sie diese Entwicklungen ein und können hierbei überhaupt deutsche Bildungsanbieter eine Rolle spielen?

Carlo Humberg: Auch wenn es sicher richtig ist, dass in der Frühphase tendenziell eher angelsächsische Bildungsorganisationen zum Zug gekommen sind – und teilweise auch wieder rausgegangen sind − nehmen wir es nicht so wahr, dass es einen grundsätzlichen Ausschluss von Anbietern aus anderen Regionen gäbe.

Es scheint eher so zu sein, dass diese Anbieter schlechter auf die Bedarfe dieses Marktes eingestellt sind. Vornehmlich dadurch, dass die sprachliche Hürde oft noch groß ist, das Personal fehlt und die Mobilisierung von Ressourcen schwerfällt, Angebote nicht passen, sich in Deutschland eher technische Ausstatter von Bildungseinrichtungen finden lassen, die international aktiv sind, aber weniger Bildungsdienstleister, die mit Personalressourcen operativ vor Ort sind. Wenn man einige dieser Hürden nimmt, steht einem Engagement nichts entgegen.

Redaktion: Abschließend die Frage nach Ihrer Einschätzung zu den dringendsten Bedarfen an Aus- und Weiterbildung und Fachkräften für den saudischen Arbeitsmarkt? Sehen Sie Bildungsangebote, die besonders für Frauen interessant werden und gesellschaftlich akzeptiert sind?

Carlo Humberg: Die Gesellschaft öffnet sich in vielen Bereichen und es gibt einen klaren Trend, höhere, berufsbezogene Qualifikationen zu erwerben. Über den Weg, gute, auch technische Ausbildungen im Ausland zu erwerben und anschließend zurückzukehren, sind Frauen auch jetzt schon in vielen Berufsfeldern tätig. Diese Entwicklung geht weiter, insbesondere in Bereichen wie: Informationstechnologie, Tourismus, Gesundheitswesen, Management/Finanzen.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Humberg.

arabische Frau arbeitet an Computer
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Datenerfassung in einer Klinik durch eine Krankenschwester

Interview mit Dr. Dalia Samra-Rohte

Dr. Dalia Samra-Rohte ist seit 2001 in unterschiedlichen Positionen im Auslandshandelskammer-Netzwerk (AHK) in der arabischen Welt tätig. Seit August 2019 ist sie Delegierte der Deutschen Wirtschaft für Saudi-Arabien, Bahrain und Jemen im Delegiertenbüro der Deutschen Wirtschaft in Riad.

Redaktion: Sie waren vor Saudi-Arabien viele Jahre für die AHK in Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten tätig. Erleben Sie in Saudi-Arabien wesentliche Unterschiede in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft? Befindet sich das Land, wie oft zu lesen ist, in einem tiefgreifenden Wandel?

Dr. Samra-Rohte: Das Land befindet sich in einem großen Transformationsprozess. Im Rahmen der Vision 2030 werden zahlreiche Großprojekte angestoßen, die zur Öffnung des Landes beitragen. Diese bieten Geschäfts- und Absatzmöglichkeiten für deutsche Unternehmen. 

Ein wesentlicher Bestandteil der Transformation ist die Partizipation der Frauen im Berufsleben sowie die Integration saudischer Arbeitskräfte. Mit dem neuen Touristenvisum gestaltet sich nun auch die Einreise in das Land wesentlich unproblematischer als bisher. Die Öffnung des Landes für den Tourismus sowie der Aufbau der Unterhaltungsbranche tragen erheblich zur sozialen Öffnung des Landes bei.

Erste Reformen greifen bereits. Mehr und mehr Frauen bekleiden Führungspositionen. Im "Ease of Doing Business Index", einem Ranking der Weltbank zur Messung der Geschäftsfreundlichkeit und Unternehmensregulierung in Volkswirtschaften, konnte sich Saudi-Arabien 2020 um 30 Plätze verbessern, von Platz 92 im Jahr 2019 auf Platz 62 im Jahr 2020. Zusätzlich wurden öffentliche Ausschreibungsprozesse durch das neue "Government Tender and Procurement"-Gesetz transparenter gestaltet. Das konsequente Umsetzen der Reformprojekte hat das Vertrauen der Unternehmen gestärkt und die Rahmenbedingungen für Investoren verbessert.

Redaktion: Wie viele deutsche Firmen und mit welchen Schwerpunkten sind diese aktuell in Saudi-Arabien tätig? Welche Themen stehen in Ihren Beratungsgesprächen mit deutschen und saudischen Unternehmen ganz oben auf der Liste? Welche Bedeutung haben Fachkräfteverfügbarkeit und -entwicklung?

Dr. Samra-Rohte: Es gibt circa 200 deutsche Unternehmen, die mit Niederlassungen oder in Joint Ventures vor Ort in Saudi-Arabien tätig sind. Darüber hinaus sind zahlreiche Unternehmen in unterschiedlichen Formen (z. B. Handelsvertretungen) auf dem Markt aktiv. 

Folgende Sektoren sind besonders gefragt: Erneuerbare Energien, Zulieferer der Öl- und Gasbranche, Medizintechnik, Maschinen, Lebensmittel, aber auch seit kurzem die Freizeit- und Unterhaltungsbranche. Zunehmend verzeichnen wir Interesse von Bildungsanbietern im Bereich der Unternehmensfortbildung (z. B. Management Training, Frauen in Führungspositionen) sowie von Anbietern von MBA und Führungskräfteentwicklung für große Unternehmen. 

Redaktion: Im Zuge der Vision 2030 wird auch der Bildungssektor des Landes reformiert und neu ausgerichtet. Im Haushalt 2020 stehen Bildungsausgaben an erster Stelle. An Geld mangelt es offenkundig nicht. Worin sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Umsetzung der geplanten Bildungsreformen?

Dr. Samra-Rohte: Bildung ist einer der Schlüsselfaktoren für die Vision 2030. Mit 19 Prozent des Haushaltes (200 Milliarden SAR) sind die Bildungsausgaben höher als die Budgets für Gesundheit und Verteidigung.

Im Rahmen der Bildungsreformen besteht die Herausforderung, die allgemeine Schulbildung auf ein höheres Niveau zu bringen. Dabei besteht großer Bedarf an Lehrkräften. Bis 2025 kommen weitere 1,8 Millionen Schülerinnen und Schüler in den Bildungssektor und die Anzahl der Lehrkräfte muss bis 2030 um 40 Prozent gesteigert werden. Wie auch in vielen anderen arabischen Ländern gibt es zu viele Universitätsabsolventinnen und –absolventen und wenig Alternativen zur Hochschulbildung. Technische Colleges werden z. B. von Saudi Aramco sowie anderen großen Unternehmen angeboten, decken den Bedarf aber nur begrenzt ab.

Im Rahmen der zahlreichen "Saudisierungsprogramme" sind Unternehmen verpflichtet, saudische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nach einer vorgegebenen Formel einzustellen. Die Maßnahmen lassen eine leichte Reduzierung der Arbeitslosigkeit unter den jungen Leuten erkennen. Um saudische Arbeitskräfte entsprechend einsetzen zu können, haben viele Unternehmen mit der Zusammenarbeit von Trainingsanbietern begonnen. Dabei wird auch von staatlicher Seite unterstützt.

Ein wichtiger Ansprechpartner in diesem Zusammenhang ist Tatweer, der ausführende Arm des Bildungsministeriums:

  • Tatweer Company for Educational Services (Entwicklung des Bildungssektors),
  • Tatweer Educational Transportation Services Company (Bereitstellung für Transportdienstleistungen),
  • Tatweer Building Company (Verbesserung der Gebäudeinfrastruktur),
  • Tatweer Educational Technologies Company (Technik und Digitalisierung).

Die AHK arbeitet seit einigen Jahren mit der Misk-Stiftung (deutsch: 'Moschus') zusammen, die von Prinz Mohammed bin Salman bin Abdulaziz gegründet wurde. Misk ist ein wichtiger Akteur in der saudischen Bildungslandschaft.

Im Rahmen eines gemeinsamen Programms unterstützen wir saudische Studentinnen und Studenten und Absolventinnen und Absolventen bei der Praktikumssuche in Deutschland sowie bei deutschen Unternehmen vor Ort. Für viele deutsche Unternehmen hat sich dadurch eine enge Kooperation ergeben und es wurden spezielle Trainingsmodule etabliert. Einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden nach Absolvierung des Praktikums/Trainings von den deutschen Unternehmen übernommen.

Redaktion: Abschließend die Frage nach Ihrer Einschätzung zu den dringendsten Bedarfen an Aus- und Weiterbildung und an Fachkräften für den saudischen Arbeitsmarkt? Welche Sektoren bieten sich hier für deutsche Bildungsanbieter an?

Dr. Samra-Rohte: Einer der gefragtesten Sektoren ist der Tourismussektor. Der Staatsfonds PIF hat unsere AHK in dem Zusammenhang bereits angesprochen. Durch die touristische Öffnung des Landes besteht auf saudischer Seite ein großer Nachholbedarf an Fachkräften für die gesamte Tourismusbranche. Es gibt wenige Einrichtungen, die Fachkräfte in der Branche ausbilden.

Führungskräftetrainings sowie jegliche Art von Aus- und Weiterbildung sind ebenfalls bei Großkonzernen wie SABIC, Saudi Aramco oder Almarai gefragt. Auch hier hat die AHK bereits Gespräche geführt. 

Bedingt durch die "Saudisierung" sehen deutsche Unternehmen zunehmend Bedarf an Trainingsangeboten im technischen Bereich. Hierzu wird vor Ort immer wieder über gemeinschaftliche Aktivitäten "Made in Germany" nachgedacht.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Samra-Rohte.

► Die Interviews führten die Autoren der Marktstudie Dr. Helge Körner und Markus Milwa.


Weitere Information

In Kürze erscheint die zweite, komplett überarbeitete Auflage der iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung.

arabischer Mann in Arbeitskleidung betrachtet eine gebogene Metallplatte
GCShutter/iStockphoto.com

Überprüfung des Durchmessers einer Metallplatte zur Weiterverarbeitung


Quelle: iMOVE, der iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung 2020 entnommen