"Erst der Bescheid, dann der Kurs"

Dr. Ulrich Best und Katharina Gilljohann vom Arbeitsbereich 3.3 "Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen" im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) informieren im iMOVE-Exportmagazin xPORT, Ausgabe 1/2021, worauf Bildungsanbieter bei der Qualifizierung internationaler Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt achten sollten.

Blick von oben auf einen Seminarraum mit Lernenden
skynesheri/Stockphoto.com

iMOVE: Sie beschäftigen sich mit der Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen. Welche Rolle spielt sie für internationale Fachkräfte, die sich für eine Tätigkeit in Deutschland interessieren?

Katharina Gilljohann: Im Ausland ausgebildete Fachkräfte, die in Deutschland arbeiten möchten, benötigen dazu in sehr vielen Fällen die volle Anerkennung ihrer ausländischen Qualifikation. Das heißt, sie müssen prüfen lassen, ob ihre berufliche Qualifikation gleichwertig mit einem deutschen Referenzberuf ist. Menschen mit reglementierten Berufen – wie etwa Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger – dürfen diese nur ausüben, wenn die volle Gleichwertigkeit festgestellt wurde. In nicht reglementierten Berufen – das betrifft die meisten Berufe mit dualen Ausbildungen – benötigt man die Anerkennung für die Einreise zu Erwerbszwecken. Die einzige Ausnahme bilden IT-Berufe.

Da sich die Bildungssysteme in anderen Ländern zum Teil erheblich vom deutschen System unterscheiden, wird im Anerkennungsverfahren oft in einem ersten Schritt nur eine teilweise Gleichwertigkeit festgestellt. Diese Feststellung erfolgt mit dem Bescheid einer zuständigen Stelle, aus dem genau hervorgeht, was zur vollen Gleichwertigkeit noch fehlt. Daraus ergibt sich dann der konkrete zusätzliche Qualifizierungsbedarf. Diese Qualifizierung kann sowohl in Deutschland als auch direkt im Heimatland der Fachkräfte absolviert werden.

iMOVE: Ergeben sich durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz Chancen für neue Qualifizierungsangebote?

Dr. Ulrich Best: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) ist am 1. März 2020 in Kraft getreten und erleichtert Bürgerinnen und Bürgern aus Drittstaaten die Einwanderung nach Deutschland, um eine Arbeit oder eine Ausbildung aufzunehmen. Bisher konnten nur Hochqualifizierte und Personen mit bestimmten, stark nachgefragten Berufen nach Deutschland einwandern. Mit dem FEG ist das nun für Fachkräfte in prinzipiell allen Berufen möglich.

Die Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikation bleibt aber grundsätzlich Voraussetzung für die Einreise zu Erwerbszwecken. Auch wenn sich die Wirkung des Gesetzes durch die Corona-Pandemie noch nicht voll entfalten konnte, gehen wir davon aus, dass die Zahl der Anträge aus den Drittstaaten durch das FEG anwachsen wird. Somit steigt auch der Bedarf an Qualifizierungsmaßnahmen. Dadurch erschließen sich neue Möglichkeiten für deutsche Bildungsanbieter, denn die Qualifizierung kann auch im Ausland erfolgen. Hierbei gewinnt auch die begleitende Sprachförderung an Bedeutung, weil für die Einreise als Fachkraft in vielen Fällen bestimmte Sprachkenntnisse vorausgesetzt werden und zur späteren Arbeitsaufnahme zum Beispiel in den wichtigen Gesundheitsberufen noch eine Sprachprüfung absolviert werden muss.

iMOVE: Wie schätzen Sie den Bedarf an Brückenkursen und Qualifizierungen ein? 

Katharina Gilljohann: Brückenkurse und anerkennungsrelevante Kurse sind zwei verschiedene Dinge, zumindest im Hinblick auf die Anerkennung. Brückenkurse, die zum Beispiel für Ingenieurinnen und Ingenieure angeboten werden, vermitteln oft arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten, die aber nicht anerkennungsrelevant sein müssen. Hier ist also der Blick direkt auf den Arbeitsmarkt gerichtet. Dies betrifft auch Fachsprachtrainings und Praktika.

Anerkennungsrelevante Qualifizierungen betreffen all diejenigen Interessentinnen und Interessenten, bei denen keine volle Gleichwertigkeit festgestellt wurde, die diese aber anstreben. Derzeit laufen die meisten solcher Kurse in Deutschland, da es die Möglichkeit der Einreise zur Anerkennung gibt. Es gibt aber aktuelle Pilotprojekte und Initiativen, die diese Qualifizierungsangebote zumindest teilweise ins Ausland verlegen.

Was eine zahlenmäßige Einschätzung angeht, ist das nicht ganz einfach. Wir veröffentlichen regelmäßig Berichte zur Anerkennung und zur aktuellen Entwicklung der Zahlen, die unter https://www.bibb.de/de/1350.php abrufbar sind. 2019 wurde beispielsweise von den knapp 35.000 beschiedenen Verfahren zu bundesrechtlich geregelten Berufen bei über 40 Prozent eine teilweise Gleichwertigkeit oder die Auflage einer Ausgleichsmaßnahme beschieden. Viele dieser Antragstellerinnen und Antragsteller sind natürlich schon in Deutschland.

iMOVE: Wie muss eine Qualifizierungsmaßnahme aussehen? Was sollten Bildungsanbieter beachten? 

Dr. Ulrich Best: Wichtig sind vor allem zwei Faktoren: Zum einen ist die Anerkennung nur für Personen relevant, die einen Abschluss haben, der im Land ihrer Ausbildung staatlich anerkannt ist. Ansonsten kann ihr Abschluss auch in Deutschland nicht anerkannt werden. Zum anderen muss die Qualifizierungsmaßnahme die wesentlichen Unterschiede zum deutschen Referenzberuf ausgleichen, die die zuständige Stelle festgestellt hat. Daher spielt eine gute Abstimmung der beteiligten Akteure eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Qualifizierung.

Die Bildungsanbieter sollten dazu idealerweise die zuständigen Stellen in die Konzeption der Kurse mit einbeziehen, um zu klären, ob der Kurs geeignet ist, um Defizite in einem bestimmten Beruf auszugleichen. Denn nur, wenn durch die Kurse im Anschluss die volle Gleichwertigkeit erreicht werden kann, ist die Teilnahme an Qualifizierungskursen für Fachkräfte im Ausland attraktiv. Als Regel sollte daher gelten: Erst der Bescheid, dann der Kurs.

iMOVE: Können Sie gute Beispiele aus der Praxis nennen? 

Katharina Gilljohann: Generell gilt: Erfolgreiche Kurse zur Qualifizierung entstehen immer dann, wenn eine enge Kooperation und Abstimmung zwischen Arbeitgeber, zuständiger Stelle und Bildungsanbieter besteht. Ein Beispiel: Ein deutsches Unternehmen der Elektrotechnik bietet gemeinsam mit ausländischen Partnern ganze Schulungsprogramme in zwei Westbalkanstaaten an. Diese wurden in Zusammenarbeit mit der zuständigen Stelle entwickelt und werden in eigenen Schulungszentren des Unternehmens im Ausland durchgeführt. Die Fachkräfte, die eine abgeschlossene Ausbildung und bestimmte Berufserfahrungen mitbringen, werden so gezielt auf den Einsatz im Unternehmen vorbereitet, indem sie über einige Monate fachliche Inhalte und die deutsche Fachsprache intensiv erlernen. Nach Abschluss der Schulung ist der Weg frei zur vollen Gleichwertigkeit.

Dr. Ulrich Best: Es gibt auch ganz andere Modelle: Zum Beispiel gibt es in der Pflege Anbieter von virtuellen Kursen. Durch diese werden neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Klinik bereits vor der Einreise auf die Qualifizierung vorbereitet, die dann in Deutschland stattfindet. Darüber hinaus gibt es auch Bildungsanbieter im Ausland, die sogenannte Dual-Degree-Studiengänge anbieten oder daran arbeiten. So gibt es beispielsweise im Kosovo eine Pflegeschule, die auf der einen Seite für den einheimischen Markt ausbildet, auf der anderen Seite aber auch zusätzlich für einen Einsatz in Deutschland. Es gibt also schon mehrere Bildungsanbieter auf diesem Markt, vor allem in stark nachgefragten Berufen.

iMOVE: Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es für Qualifizierungsmaßnahmen im Ausland?

Katharina Gilljohann: Für Kurse, die im Ausland angeboten werden, gibt es derzeit keine staatlichen Finanzierungsangebote aus Deutschland. Meistens werden diese Kurse im Rahmen von Rekrutierungsprogrammen von den Arbeitgebern finanziert. Die Finanzierung läuft dann über Personalvermittler, die neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Kunden rekrutieren und Kursangebote einbinden.

iMOVE: Wer kann die Bildungsanbieter und Fachkräfte aus dem Ausland bei Fragen rund um das Thema Anerkennung und Qualifizierung unterstützen?

Dr. Ulrich Best: Inzwischen gibt es verschiedene Beratungsangebote, sowohl zur Erstinformation im Internet als auch für vertiefte Beratungen. Unser Angebot im BIBB ist das Portal anerkennung-in-deutschland.de, in dem die Anerkennungsverfahren für viele Berufe dargestellt werden. Zusätzlich bietet ein Projekt bei uns Seminare zur Berufsanerkennung für deutsche institutionelle Akteure, also auch deutsche Bildungsanbieter im Ausland an. Interessierte können sich dazu direkt an schulungen_anerkennung@bibb.de wenden. Des Weiteren berät auch die Hotline von "Arbeiten und Leben in Deutschland" (ALiD) rund um das Thema Einwanderung. Und schließlich findet man unter make-it-in-germany.com Infos zur Einreise nach Deutschland und zum FEG. Unser Team arbeitet auch gerade an einer Publikation zum Qualifizierungsangebot.

In Deutschland sind Beratungsstellen des IQ-Netzwerks, Kammern und andere zuständige Stellen wichtige Ansprechpartner. Alle Kontakte finden Sie ebenfalls bei uns im Portal von Anerkennung in Deutschland.

► Das Interview führte Silvia Niediek.


Fachartikel "Erst der Bescheid, dann der Kurs"

Dieser Fachartikel ist dem iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 1/2021, erschienen im Mai 2021, entnommen.

  • Interviewpartner sind Dr. Ulrich Best und Katharina Gilljohann vom Arbeitsbereich 3.3 "Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen" im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).

xPORT 1/2021

zum Download des Magazins

Titelbild des Magazins


Anerkennung in Deutschland

Logo Anerkennung in Deutschland


Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 1/2021