Einführung der dualen Ausbildung in Kasachstan

Seit 2012 wird mit deutscher Hilfe versucht, die duale Ausbildung nach Kasachstan zu bringen.

"Wie? Ich soll mit meinen Händen arbeiten?"

  • Katharina Jendny

"Den Schornsteinfeger muss man mit dem Lasso einfangen", fasst Thomas Helm, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kasachstan die Situation der Handwerker in Deutschland zusammen. In Deutschland stürmen die meisten Abiturienten die Universitäten, dabei wird der Fachkräftemangel vor allem im Handwerk immer gravierender. In Kasachstan sieht es ähnlich aus. Mit den Händen zu arbeiten, scheint für viele völlig unvorstellbar.

Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wurde als Teil des im Februar 2012 geschlossenen Rohstoffabkommens zwischen Deutschland und Kasachstan auch vereinbart, das System der dualen Ausbildung in dem zentralasiatischen Land einzuführen.

Die Handwerkskammer (HWK) Trier hat hierfür in zwei Projektphasen die neugegründete Nationale Unternehmenskammer Kasachstans (NUK) bei der Umgestaltung des Aus- und Weiterbildungssystems unterstützt. Elfriede Wagner, Projektleiterin in der zweiten Phase (2015-2017) berichtet, dass die Ausbildung in Kasachstan nur in Collegeform existiere. Ziel sei es daher gewesen, den Praxisanteil an Modelcolleges zu erhöhen und bei geeigneten Ausbildern eine Ausbildereignungsprüfung nach deutschem Vorbild durchzuführen.

"Die Ausbilder, zumeist Lehrer, Betriebsinhaber und Führungskräfte waren sehr von den pädagogischen Instrumenten angetan", so die ehemalige Projektleiterin. Der Praxisanteil an den Colleges sei auf bis zu 80 Prozent erhöht worden. Die Zusammenarbeit funktioniere nun besser. "Die Betriebe melden den Colleges, welche Kompetenzen benötigt werden", resümiert Wagner. Das Projekt wurde durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert und von der HWK durchgeführt.

Die duale Ausbildung in Deutschland

Die Wurzeln der deutschen Berufsausbildung liegen im vorindustriellen Zeitalter. Das Berufsbildungsgesetz gibt es seit 1969 und legt die Rahmenbedingungen, Ausbildungsordnungen und die Vergütungshöhe fest.

Ziel ist es, die im Betrieb stattfindende praktische Ausbildung mit dem theoretischen Unterricht an den Berufsschulen zu kombinieren. Dabei arbeiten die Auszubildenden drei bis vier Tage im Ausbildungsbetrieb und besuchen an ein bis zwei Tagen in der Woche die staatlich finanzierte, kostenfreie Berufsschule. Hier werden neben fachbezogenem Wissen auch allgemeinbildende Fächer gelehrt. Je nach Ausbildungsberuf dauert es bis zu dreieinhalb Jahren. Die Ausbildung wird mit einer Abschlussprüfung beendet.

2018 hat die KAS am bisher Erreichten angeknüpft. "Sie haben vieles auf den Weg gebracht und gute Arbeit geleistet. Es ist ein ordentliches Gerüst für die duale Ausbildung in Kasachstan entstanden, aber es fehlt innen drinnen noch ein bisschen Ausstattung. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, weiter zu machen", sagt Helm.

Das Gerüst ist da

Die Herausforderung liege vor allem darin, kleine und mittlere Unternehmen von den Vorteilen, die Auszubildende mit sich bringen, zu überzeugen. "Natürlich haben wir etliche Leuchttürme, aber es kann ja nicht sein, dass nur die großen Unternehmen hinterher vernünftig ausgebildete Leute haben", meint der KAS-Leiter. Durch die Förderung des Bewusstseins für das Problem werden Fragen wie: "Warum soll ich überhaupt ausbilden? Was habe ich davon? Was passiert mit ihm, wenn er fertig ausgebildet ist?" beantwortet.

Doch nicht nur die Unternehmen müssen mitziehen. Es müssen auch potenzielle Auszubildende gefunden werden. Die KAS bietet in kasachischen Kleinstädten Digitalisierungstrainings für junge Leute an und weist dabei auf die Vorteile der dualen Ausbildung hin. "Wenn Sie das in einer Großstadt machen, dann werden sie teilweise entsetzt angeschaut: 'Wie? Ich soll mit meinen Händen arbeiten? Nee, ich gehe zur Uni.' In kleineren Städten, in denen es gar keine Universität gibt, sieht die Sache anders aus", sagt Helm.

Neben dem Problem, überhaupt Interesse für eine Ausbildung zu wecken, kommt hinzu, dass Ausbilder und aktuelle Technik fehlen. "Wichtig ist, dass nicht im Vorgestern ausgebildet wird." Das nächste Ziel sei daher die Errichtung von gemeinsam nutzbaren Kompetenzzentren mit entsprechender Ausstattung und Meistern. Für die Umsetzung bedarf es jedoch finanzieller Unterstützung. Von welcher Seite – ob von Deutschland, Kasachstan oder gar den Unternehmen – diese kommen wird, bleibt abzuwarten.

Thomas Helm: "Gute Leute fehlen überall"

Die duale Ausbildung ist ein Exportschlager. Die Mischung aus praktischer und schulischer Ausbildung hat bereits weltweit Nachahmer gefunden. Seit 2012 wird mit deutscher Hilfe versucht, die duale Ausbildung nach Kasachstan zu bringen. Aktuell hilft die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) bei der Realisierung mit.

Die Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ) hat mit dem Leiter des KAS-Auslandsbüros in Kasachstan, Thomas Helm, über die Einführung der dualen Ausbildung und den damit verbundenen Schwierigkeiten gesprochen.

Wie steht es aktuell um die duale Ausbildung in Kasachstan?

Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat das Projekt zur Einführung der dualen Ausbildung in Kasachstan durchgeführt. Es ist ein ordentliches Gerüst für die duale Ausbildung in Kasachstan entstanden, aber es fehlt noch an ein paar Elementen der Innenausstattung. Das Projekt war 2018 zu Ende – zu früh. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, mitzuhelfen, es zu einem Erfolg zu machen. Die GIZ-Experten sind nach wie vor dabei, um das Projekt jetzt zu Ende zu bringen.

Der schulische Bereich der dualen Ausbildung ist meiner Meinung nach gut abgedeckt. Das Problem liegt auf der Unternehmerseite. Bei den großen Unternehmen passiert schon viel. Wir haben etliche Leuchttürme, aber es kann nicht sein, dass nur die großen Unternehmen vernünftig ausgebildete Leute haben.

Wie sehen die nächsten Schritte genau aus?

Wir gehen jetzt vor allem in kleinere Städte, um für die duale Ausbildung zu werben. Dort, wo es keine Universitäten gibt, sind die Leute besonders interessiert daran. In Städten wie Stepnogorsk sind die jungen Menschen interessierter als in Almaty. Man muss ihnen erklären, dass man mit einer guten Ausbildung, zum Beispiel als Elektriker, auch gutes Geld verdienen kann.

Die Probleme liegen aber bei den kleinen und mittleren Unternehmen, die 95 Prozent der Unternehmen in Kasachstan ausmachen. Hier beginnt man mit awareness raising. Das erste Problem ist, dass viele Unternehmen denken: "Warum soll ich überhaupt ausbilden?" Sie nehmen an, dass dann jemand im Betrieb sitzt, um den man sich zusätzlich kümmern muss, und das, obwohl ohnehin schon viel zu tun ist. Der Verdacht, dass der Auszubildende die Arbeit blockiert und schlimmstenfalls auch noch die Maschinen kaputt macht, führt zur nächsten Frage: "Was habe ich davon?" Der dritte Punkt ist die Bezahlung. Es gibt Bedenken, dass man in einen Auszubildenden investiert und dieser dann woanders hingeht.

Daran arbeiten wir. Zum Beispiel kann man vertraglich regeln, dass der Auszubildende nach Ende der Ausbildung noch für eine Zeit im Betrieb bleiben muss. So kann man Unternehmen beruhigen und ihnen verständlich machen, dass sie für ihren eigenen Bedarf ausbilden. Doch es fehlt auch an Ausbildern und neuer Technik. Wichtig ist, dass nicht im Vorgestern ausgebildet wird. Deshalb sollen Kompetenzzentren errichtet werden, die von mehreren Unternehmen gemeinsam genutzt werden. Nicht jeder hat eine CNC-Fräse, aber die jungen Leute die Zerspanungsmechaniker lernen, müssen daran ausgebildet werden. In den Kompetenzzentren sollte es die entsprechende Ausstattung und Meister geben.

Gibt es von Seiten Kasachstans ein Interesse daran, die Ausbildung zu fördern und die Schulen zu bezahlen?

Die Colleges gibt es ja schon. Wichtig ist es, dass man den praktischen Teil möglichst im Unternehmen hinbekommt. In Deutschland ist es so, dass man sich bei einem Unternehmen um einen Ausbildungsplatz bewirbt. Mit dem Ausbildungsvertrag in der Tasche wird dem Auszubildenden eine Berufsschule zugewiesen.

Hier bewirbt man sich an einem College; ob man dann aber im Rahmen der Ausbildung in einem Unternehmen arbeitet, ist völlig offen.

Haben bestimmte Branchen eher Interesse daran, eine Ausbildung anzubieten als andere?

Kasachstan hat ein unglaublich großes Potenzial im Bereich Agrarwirtschaft. Das wird aber nur abrufbar sein, wenn wirklich modernes Digital Farming betrieben wird. Hierfür benötigt man Leute, die die modernste Technik haben und beherrschen.

Das ist bereits ein Ansatzpunkt für die duale Ausbildung. In der Lebensmittelbranche ist die Verzweiflung schon so groß, dass begonnen wird, in Belarus nach Beschäftigten zu suchen. Für mich ist das unverständlich. Es gibt hier so viele junge Leute, die etwas machen wollen.

Wie schätzen Sie die Zukunft Kasachstans ein?

Die jungen Leute sind der Schatz des Landes – auch im Wettbewerb mit den anderen Ländern.

China hat mit 1,4 Milliarden Menschen eine gewaltige Bevölkerung, aber eine alternde Gesellschaft. Russland ebenso. Kasachstan ist hingegen eine sehr junge Gesellschaft.

Eine gute Ausbildung ist ein absolutes Asset, um im Wettbewerb zu bestehen. Und zwar auch gegen die Nachbarländer.

  • Das Gespräch führten Othmara Glas und Katharina Jendny.

Quelle beider Artikel: DAZ – Deutsche Allgemeine Zeitung, daz.asia, 05.07.2019