Die neuen Hybridkonzepte

Brückenkurse in der berufsvorbereitenden Sprachausbildung von Fachkräften: analog, online und – am besten – beides. Lesen Sie den Artikel von Dr. Matthias Jung, Institut für Internationale Kommunikation, aus der aktuellen xPORT-Ausgabe.

Collage mit 13 Personen die vor Bildschirm sitzend mit einer Webcam aufgenommen sind
fizkes/iStockphoto.com

1. Brückenkurse neu gedacht

"Brückenkurse" werden in Corona-Zeiten vor allem als online erteilte "Überbrückungskurse" verstanden, um die Zeit der geschlossenen Grenzen, Unterrichtsräume und Partnerinstitutionen sinnvoll zu nutzen und irgendwie digital zu schaffen, was eigentlich in Präsenzform geplant war. Dieser mehr oder weniger erzwungene Online-Ersatz hat zu einem enormen Schub bei der Digitalisierung von Ausbildungsdienstleistungen geführt, der auch nach Ende der Pandemie nicht einfach wieder zurückgedreht werden dürfte.

Dass sich die Verbreitung des Lehrens und Lernens in virtueller Form beschleunigt, zeigt sich weniger in der quantitativen Zunahme bereits etablierter E-Learning-Praktiken, sondern vor allem in ihrer neuen Qualität: Im echten Online-Unterricht wird im Unterschied zu der bisher vorherrschenden digitalen Fernlehre nicht einfach Material über das Internet verteilt, das dann am Bildschirm bis zu einem vorgegebenen Datum selbständig und zu individuell passenden Zeiten zu bearbeiten ist. Das "synchrone digitale Lernen" bildet dagegen das traditionelle Präsenzklassenzimmer nach: Es findet über Videokonferenzsysteme wie Zoom, MS-Teams, Google Classrooms, Big Blue Button, Skype, Webex und andere eine trainermoderierte Live-Interaktion mit einer Lerngruppe zu festen Zeiten statt.

Etablierte Lernplattformen wie die Open-Source-Systeme Moodle und ILIAS, die in der früheren E-Learning- und Blended-Learning-Phase exklusiv eingesetzt wurden, dienen im "Online-Live-Unterricht", wie diese Form auch genannt wird, nur noch als eine wichtige Unterstützung und helfen, einen dann auch in seinen Unterrichtsmaterialien komplett digitalen Kurs zu organisieren.

Der große Vorteil des digitalen Unterrichtens –  die Ortsunabhängigkeit – bleibt erhalten, der große Nachteil – die fehlende direkte mündliche Kommunikation mit Lehrkräften und untereinander – kommt jetzt hinzu. So wie gedruckte und audiovisuelle Selbstlernmaterialien oder tutorierter Fernunterricht den Präsenzunterricht in Schule und Hochschule, aber auch in beruflichen Weiterbildungsseminaren nur ansatzweise ersetzen konnten, gilt das auch für die Digitalisierung 1.0, die lediglich Selbstlernmaterialien über das Internet distribuiert, damit sie asynchron bearbeitet werden können.

2. Brückenkurse als Hybridkonzepte

Statt um Online-Ersatz- oder Überbrückungskurse soll es im Folgenden vor allem darum gehen, welche neuen Brücken Online-Live-Kurse über Zoom & Co schlagen können und das insbesondere auch nach dem weltweiten Abebben der Corona-Wellen.

Diese Weiterbildungsprogramme sind kein qualitativ defizitärer Ersatz von Präsenzangeboten, sondern kombinieren als "Hybridkurse" die Vorteile beider Vermittlungsformen. Hybrid bedeutet dabei, dass Präsenz- und Online-Unterricht integriert werden, und zwar nicht konsekutiv wie beim "Blended Learning", sondern so, dass Lehrende und Lernende zu keinem Zeitpunkt alle am selben Ort sind. Hierbei lassen sich zwei Formen unterscheiden, für die anschließend Praxisbeispiele aus laufenden Projekten vorgestellt werden:

  1. Beim Hybridunterricht sitzt ein Teil der Lernenden in Deutschland, der andere im Heimatland. Damit hierbei nicht lediglich parallel eine Gruppe rein digital und eine andere rein in Präsenzform nebeneinander unterrichtet werden, sondern auch Interaktionen zwischen Lernenden in zwei Ländern in einem gemeinsamen digital-analogen Klassenraum möglich sind, müssen bestimmte technische Voraussetzungen erfüllt sein.
  2. Das Hybridprogramm ist von Anfang an als integrierte Kombination von Präsenzunterricht vor Ort und Online-Live-Unterricht von Deutschland aus konzipiert.

Beide Hybridformen habe eine Reihe von Vorteilen, die auch nach der derzeitigen, pandemiebedingt alternativlosen Digitalisierung fortbestehen:

  • Hybridunterricht wie Hybridprogramme öffnen ein Fenster nach Deutschland: Es lassen sich der Kontakt zu verschiedensten Expertinnen und Experten aus Deutschland, aber auch der Austausch mit Landsleuten und beispielsweise gleichaltrigen Auszubildenden problemlos in die Ausbildung integrieren. 
  • Möglich werden so auch virtuelle, aber individuell gestaltete Betriebsbesichtigungen, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit den Personen im Betrieb aus der Ferne interagieren können. (Dafür benötigt man idealerweise sogenannte "Headcams", ein Mobiltelefon tut es aber auch.)
  • Eine Vielzahl von Kursteilnehmenden sowie von Expertinnen und Experten, die alle aus Zeit- und Kostengründen nicht ins andere Land reisen würden, können so in grenzüberschreitende Aus-, Fort- und Weiterbildungen einbezogen werden und ihr Wissen weitergeben, erhalten aber auch unmittelbare Eindrücke aus dem jeweils anderen Land.
  • Hybridprogramme können auch eine wunderbare Vorbereitung auf einen späteren Aufenthalt im Land sein, so dass dieser effizienter verläuft.

Wie lassen sich diese Vorteile nun in Brückenkursen nutzbar machen? Dazu möchte ich im Folgenden Beispiele aus aktuell laufenden Projekten zur Gewinnung von Fachkräften vorstellen, die sich auf den Spracherwerb vor der Ausreise konzentrieren, diesen aber mit fachlichen und berufsvorbereitenden Inhalten verbinden.

3. Erfahrungen mit einem Hybridprogramm für tunesische Auszubildende als Beispiel

Das Projekt THAMM zur Unterstützung regulärer Arbeitsmigration und -mobilität zwischen Nordafrika und Europa, Teilprojekt Tunesien, wird von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Zusammenarbeit mit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesanstalt für Arbeit (BA) umgesetzt. Das Institut für Internationale Kommunikation (IIK) ist mit der Sprachausbildung bis zum Niveau B1 beauftragt. Die GIZ in Tunesien (dort in Zusammenarbeit mit der nationalen Arbeitsverwaltung ANETI) bzw. in Deutschland (dort in Zusammenarbeit mit der ZAV) kümmert sich um die Gewinnung von Ausbildungsbetrieben, die Auswahl und Vermittlung der Bewerberinnen und Bewerbern, Arbeitsverträge, Visa sowie die anfängliche Begleitung der Auszubildenden nach ihrer Ankunft in Deutschland.

Ursprünglich war das Projekt fast ausschließlich analog geplant: Ein tunesischer Sprachkurspartner des IIK sollte die Sprachausbildung vor Ort bis zur Ausreise übernehmen, das IIK die jeweiligen berufssprachlichen Curricula und Materialien entwickeln, die tunesischen Lehrkräfte entsprechend schulen und die externen B1-Prüfungen in Tunesien durchführen bzw. allgemein für das Qualitätsmanagement und Controlling der Sprachausbildung verantwortlich sein.

Die erste Kohorte von 75 Auszubildenden für den Bereich Hotellerie und Gastronomie startete im Januar 2020 mit den Sprachkursen, um dann im August 2020 die Ausbildung in Deutschland zu beginnen. Die Corona-Pandemie ließ den ursprünglich geplanten Ablauf Makulatur werden. Statt zu 100 Prozent analog konnten die Kurse und Prüfungen nur noch zu rund 50 Prozent in Präsenzform durchgeführt werden; Lehrerfortbildung, berufsbezogenen Sprachunterricht und einen Teil der Prüfungen organisierte das IIK rein digital von Deutschland aus. Da durch den zwischenzeitlichen Lockdown auch der ursprüngliche Zeitplan nicht gehalten werden konnte, erfolgte außerdem ein Teil der Sprachausbildung ausbildungsbegleitend in digitaler Form erst in Deutschland, was aufgrund der geographischen Verteilung der Auszubildenden auch anders gar nicht möglich gewesen wäre. 

Aufgrund der positiven Erfahrungen mit dieser improvisierten Digitalisierung wurde das Programm für die zweite Kohorte, die sich derzeit in der Sprachausbildung befindet, von Anfang an als Hybridprogramm angelegt und auch die entsprechende technische Ausstattung wurde zur Bedingung für die Bewerberinnen und Bewerber gemacht bzw. finanziell unterstützt:

  • Präsenzkurse laufen in Tunesien an drei Orten in sechs Kleingruppen (10 bis 15 Personen) von Montag bis Mittwoch. Parallel dazu gibt es drei digitale Klassen, die ortsübergreifend nach Fachrichtung differenziert sind und von Lehrkräften in Deutschland unterrichtet werden.
  • Als weiteres digitales Element wird ein Selbstlernportal genutzt, das von einer jungen Tunesierin, die vor drei Jahren ihr Studium in Deutschland aufgenommen hat, tutoriert wird und in dem die Auszubildenden jede Woche ein festes Programm an Übungen absolvieren müssen.
  • Als drittes digitales Element kommt ein Online-Freizeit- und -Kulturprogramm mit authentischen interkulturellen Begegnungen und landeskundliche Exkursionen hinzu: freie Konversationsgruppen mit Deutschsprachigen und jungen Leuten aus der ganzen Welt, die in Deutschland studieren oder arbeiten; digitale Erkundungen von Betrieben; Interviews mit Landsleuten, die als Arbeitsmigranten und -migrantinnen nach Deutschland gekommen sind; Einblicke in den deutschen Alltag und vieles andere mehr.

In diesem Konzept sind analoge und digitale Elemente, Lernen im Heimatland und im Zielland eng miteinander verschränkt, werden die üblichen Grenzen eines Unterrichtraums gleich mehrfach überwunden und können die einheimischen wie die sich in Deutschland befindenden Lehrkräfte ihre jeweiligen Stärken ausspielen, so dass dieses Konzept effektiver ist als rein analoge oder rein digitale Kurse:

Die tunesischen Partner sind vor Ort, sie kennen ihre Zielgruppe und deren Lerngewohnheiten am besten, haben auch sprachlich-kulturell den besten Zugang und persönlicheren Kontakt. Die deutschen Lehrkräfte haben die Vorteile und das Prestige der "native speaker" oder perfekt Bilingualen, die in Deutschland leben, transportieren hier übliche Lerngewohnheiten und Unterrichtsstile. Sie öffnen ein Fenster ins Zielland und können sich besser auf die berufssprachliche Vorbereitung spezialisieren, was Deutschlehrkräften im Ausland aus vielen Gründen deutlich schwerer fällt.

Die anonym durchgeführten Evaluationen haben gezeigt, dass dieses Konzept bei den Lernenden gut ankommt. In einer weiteren Ausbaustufe ist für die nächste Kohorte geplant, den Online-Unterricht selbst hybrid durchzuführen, so dass Teilnehmende in Deutschland mit Lernenden in Tunesien in einem analog-digitalen Klassenraum von Anfang an miteinander interagieren und Deutsch als Lingua Franca nutzen, das heißt in einer authentischen Kommunikationssituation.

4. Ausblick: Die hybriden Brückenprogramme der Zukunft

Dieses Beispiel ist nur eines für viele unterschiedliche Konfigurationsmöglichkeiten der Verbindung von digitalen und analogen Trainings. Vorbereitende Sprachkurse im Kontext der Gewinnung von Fachkräften sind für solche Ansätze sehr gut geeignet und bieten die meisten Möglichkeiten, Heimatland und Zielland, Sprache und Beruf, Fachausbildung und Deutschunterricht miteinander zu verschmelzen.

Besonders vorteilhaft ist dabei auch, ein digitales Lerncontrolling von Deutschland aus zu etablieren. Das ist kostengünstiger als Expertinnen und Experten aus Deutschland einzufliegen, die zudem oft wenig Verständnis für die Verhältnisse vor Ort haben. Online lassen sich auf effiziente Weise von Anfang an die Qualität bzw. die Ergebnisse sichern, während man analog in den Prozess der Kompetenzvermittlung bei rein lokaler Ausbildung meist nur wenig Einblick hat. Hybride Ansätze bauen eine permanente digitale Brücke, über die die Wissens- und Kompetenzvermittlung in beide Richtungen fließen kann.

Das bietet sich insbesondere bei zahlreichen Pflegekraftprojekten an, bei denen das IIK diesen Ansatz etwa in Mexiko verfolgt und die Deutschlehrkräfte berufssprachlich weiterbildet, ihnen institutionelle Grundlagen des Klinik- und Pflegesystems in Deutschland vermittelt, analog wie digital im Unterricht hospitieren kann und Online-Zwischenprüfungen durchführt.

Die Optionen werden noch einmal zahlreicher, wenn man Klassenräume einrichtet, die für den gleichzeitigen Unterricht von physisch präsenten und online zugeschalteten Lernenden geeignet sind. Unterrichtsräume zu diesem Zweck speziell auszustatten, kostet derzeit ab 5.000 Euro aufwärts, wenn man zusätzliche Bildschirme und ein Deckenmikrophon anschafft, das im Unterrichtsraum Sprechbeiträge aller Lernenden in derselben Qualität überträgt, wie die Anwesenden sie hören, so dass auch die Online-Teilnehmenden gleichberechtigt am Unterrichtsgeschehen teilnehmen können und im Präsenzklassenraum keine lästigen Mikrophone, Kabel und Geräte stören.

Räume mit dieser technischen Ausstattung sind wenig verbreitet, erlauben aber gerade in nur kurzfristig planbaren Corona-Zeiten und darüber hinaus eine Flexibilität, die im internationalen Bildungsexport mit seinen vielen Termin-Unwägbarkeiten besonders willkommen ist und beträchtliche Kosten sparen kann.


Fachartikel "Die neuen Hybridkonzepte"

Dieser Fachartikel ist dem iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 1/2021, erschienen im Mai 2021, entnommen. 

  • Autor: Dr. Matthias Jung, Geschäftsführender Vorstand, Institut für Internationale Kommunikation e. V. (IIK)

xPORT 1/2021

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Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 1/2021