Die Resilienz des deutschen Berufsbildungsexports

Die Corona-Krise fordert nicht nur die Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle deutscher Bildungsanbieter heraus. Sie wirkt auch als Impuls für Innovationen in der Berufsbildung: Lernen hat E-Zukunft. Lesen Sie den Artikel aus dem iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 2/2020.

junge Frau in Büroumgebung trägt Mund-Nase-Schutz und Handschuhe, hält Ordner im Arm und schaut in die Kamera
mixetto/iStockphoto.com

Die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus hat nicht nur eine Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes verursacht, sondern auch die größte globale Bildungskrise aller Zeiten. Der Lockdown der Bildungseinrichtungen in vielen Ländern hat nicht nur Schulkinder, ihre Eltern und Lehrerkräfte in neue Lernsituationen gezwungen. Gerade in Deutschland ist Berufsbildung unmittelbar abhängig von wirtschaftlicher Tätigkeit. Wegen der schwierigen ökonomischen Lage vieler Unternehmen, die durch die Corona-Krise verursacht wurde, sind besonders praxisorientierte, betriebliche Ausbildungsteile und Weiterbildungsmaßnahmen sowie die damit verbundenen Prüfungen akut und mittelfristig gefährdet.

Dafür hat die Corona-Krise der (Weiter-)Entwicklung digitaler Bildungslösungen einen kräftigen Schub verpasst: Rund ein Drittel der Unternehmen in Deutschland setzen geplante Präsenzseminare jetzt teilweise oder vollständig in digitaler Form um. Dies zeigt eine Unternehmensbefragung des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Sie weist auch darauf hin, dass trotz Ausnahmezustand knapp die Hälfte der deutschen Betriebe ihre Weiterbildungsaktivitäten aufrechterhalten konnten und zwölf Prozent ihr Angebot sogar ausweiteten.

Auch die Lehrkräfte der beruflichen Bildung haben in der Corona-Krise ihre Edutainment-Qualitäten unter Beweis gestellt: Onlinekonferenzen und virtuelle Meetings durchführen, interaktive Arbeitsblätter erstellen, Lehrvideos drehen und immer ein offenes Ohr für die technischen Widrigkeiten der Infrastruktur haben – all das gehört inzwischen zu ihrem Alltag. "Die Lehrkräfte der beruflichen Bildung haben das Homeschooling ohne Masterplan, aber mit experimentellem Engagement und einem extrem hohen Zeitaufwand etabliert. Damit haben sie einen entscheidenden Rettungsanker für das Bildungssystem in der Krise geschaffen - trotz aller technischen Hürden", sagte Joachim Maiß, Vorsitzender des Bundesverbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung e.V. (BvLB).

Die weltweiten Kontaktbeschränkungen zur Bewältigung der Corona-Krise haben auch das Design und den Einsatz digitaler Lernformate im Rahmen internationaler Berufsbildungsprojekte beschleunigt. Mehr denn je müssen auch hier moderne Technologien dafür sorgen, dass Lernende Zugang zu Bildung erhalten.

Um die Nachhaltigkeit ihrer Bildungs- und Projektziele sicherzustellen, haben deutsche Bildungsexporteure schnell mit modifizierten Angeboten reagiert. Obwohl E-Lernformate für viele Anbieter nicht neu sind, so ist es doch das erste Mal, dass dem gesamten Bildungswesen ein Umstieg dieses Ausmaßes aufgezwungen wird. Das Lernen auf Abstand, zuvor eine Option, wurde zur Notwendigkeit ohne Alternativen.

Am 27. Mai 2020 führte iMOVE für die Bildungsanbieter im iMOVE-Netzwerk einen Online-Austausch zur Situation des Bildungsexports in Zeiten der Corona-Krise durch. Darin präsentierte die Zentralstelle der Bundesregierung für internationale Berufsbildungskooperation (GOVET) die Ergebnisse einer eigenen Abfrage zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf die internationale Berufsbildungszusammenarbeit in ausgewählten Ländern Europas und weltweit. Informationen wurden von Partnerministerien und nachgeordneten Organisationen, deutschen diplomatischen Vertretungen und Auslandshandelskammern sowie von Instituten und Stiftungen in den Partnerländern des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eingeholt.

Die Rückmeldungen zeigen in allen dokumentierten Ländern − ähnlich wie in Deutschland − direkte, tiefgreifende Auswirkungen auf die praxisorientierte Ausbildung. Eine unmittelbare Umstellung auf Online-Lernen und -Lehren wird durch Defizite in der Infrastruktur, aber auch durch Mängel bei der Didaktik und Methodik der Lehrkräfte und durch fehlende digitale Lernmaterialien erschwert. Das Verschieben der Praxisphasen und Aufsetzen von Online-Prüfungen bilden große Herausforderungen. Es ist darüber hinaus damit zu rechnen, dass einige Betriebe Insolvenz anmelden werden, Berufsschülerinnen und Berufsschüler ihre betriebliche Ausbildung dort nicht fortsetzen können und im nächsten Jahr insgesamt weniger Betriebe daran interessiert sein werden, Auszubildende aufzunehmen. Dies kann schlimmstenfalls dazu führen, dass Einzelne oder ganze gesellschaftliche Gruppen den Zugang zu beruflicher Bildung und Qualifizierung dauerhaft verlieren.

Es gibt aber auch weltweit deutliche Signale, dass mittel- und langfristig Kooperationen mit deutschen Partnern gestärkt werden sollen, die Beziehung zu Deutschland weiterhin gesucht wird und ein lebhafter Austausch zwischen den Expertinnen und Experten erwünscht ist. Dabei werden das Thema Digitalisierung und entsprechende Up- und Re-Skilling-Programme eine zentrale Rolle spielen, etwa im Hinblick auf neue Unterrichtsformate, digitale Lerninhalte und Möglichkeiten zu verstärktem Networking.

Strukturelle Basis statt Digitalisierung "durch die Hintertür"

Die Corona-Krise hat Schwächen offengelegt, aber auch neue Entwicklungschancen eröffnet. Wir alle haben gelernt, dass auch berufliche Bildungsinhalte oft nur einen Mausklick entfernt sind und dass Online-Lernen sehr effektiv wirken kann. Die aktuellen guten Erfahrungen vieler Lehrender und Lernender lassen darauf schließen, dass nach der Corona-Krise mit dem Aufkommen von mehr hybriden Lernmodellen zu rechnen ist, bei denen Präsenz- und Online-Lernen kombiniert werden. Der Eintritt in eine neue digitale Normalität, in der alle Lernenden von einer digital aufgewerteten Bildung profitieren können, bedarf allerdings nicht zuletzt einer modernen digitalen Infrastruktur allerorten.

Die durch die Corona-Krise erzwungene verstärkte Digitalisierung beruflicher Bildung "durch die Hintertür" gilt es nunmehr zu professionalisieren und eine strukturelle Basis für das Lernen mit digitalen Medien neben dem Präsenzlernen zu etablieren. Technik und Didaktik in E-Didaktik-Konzepten zusammenzuführen, gilt als wesentliche Voraussetzung für den weiteren Erfolg der digitalen Transformation in der beruflichen Bildung.

Zwar schreitet die Digitalisierung von Lernlösungen der Berufsbildungsbranche schon länger voran, aber die Corona-Krise hat sie wie ein Katalysator verstärkt und beschleunigt. Am Ende benötigen Bildungsanbieter eine Strategie, die es ihnen ermöglicht, auf äußere Veränderungen nicht nur zu reagieren, sondern diese aktiv für sie arbeiten zu lassen. Jetzt ist der ideale Zeitpunkt dafür, hochwertige Lerninhalte auf effektiven Plattformen bereitzustellen, die den Lernenden beispielsweise auch Simulationsmöglichkeiten bieten und die Möglichkeit, eigenen Content zu schaffen und sich darüber mit anderen Lernenden auszutauschen. Die Bildungswirtschaft hat die Gelegenheit und die Mittel, die E-Zukunft der Bildung nicht nur voranzutreiben, sondern auch kreativ und nachhaltig wirkungsvoll zu gestalten.


KOFA-Kompakt: Weiterbildung während der Corona-Pandemie

mit Unternehmensbefragung zum Download


Fachartikel "Die Resilienz des deutschen Berufsbildungsexports"

Dieser Fachartikel ist dem aktuellen iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 2/2020, entnommen. 

  • Autorin: Silvia Niediek, iMOVE

xPORT 2/2020

zum Download des Magazins


Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 2/2020