Deutsche Firmen in Indien: Land der vergebenen Chancen

Der deutsche Mittelstand will sich in Indien stärker engagieren, sagt Bundespräsident Steinmeier. Auch der indische Premier wünscht sich das. Doch vor Ort kommen die Firmen oft nicht recht voran.

Von Jürgen Webermann, ARD-Studio Neu-Delhi

Es waren ungewohnt harsche Töne eines deutschen Wirtschaftsmanagers - aber der Indien-Chef von Mercedes-Benz, Roland Folger, musste wohl mal Ärger rauslassen. Seit zweieinhalb Jahren leitet Folger die Indiengeschäfte. Und für ihn ist Indien das Land der vergebenen Chancen. Vor allem die Kosten für Steuern und Logistik würden sein Unternehmen - so wörtlich - "fertig machen".

Tatsächlich hatte Premierminister Narendra Damodardas Modi gerade höhere Einfuhrzölle auf einige Produkte angekündigt. Dabei war der indische Premier kurz zuvor auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos noch gefeiert worden. Modi hatte sich für mehr Freihandel ausgesprochen. Unberechenbares Indien - für die allermeisten der rund 1.800 hier tätigen deutschen Firmen ist das Land eine permanente Herausforderung.

Paletten auf dem Kopf stehend

Vor allem die Bürokratie verlange ihnen sehr viel Geduld und Gelassenheit ab, sagt Rüdiger Schröder, Indienchef der Firma Kärcher: "Man könnte sonst doch an vielen Stellen explodieren über die Ineffizienz und die Dreistheit, was da so passiert, gerade bei Behörden." Kärcher verkauft in Indien Staubsauger und Hochdruckreiniger.

Schröder ist vor allem eines: ein Problemlöser. "Es gibt wenig Länder, wo man so viele Transportschäden hat, weil die ganze Logistikkette eine Katastrophe ist", beklagt er. Beispielsweise würden Kartonpaletten auf dem Kopf stehend geliefert, weil es anders als in Europa niemanden kümmere, dass die Stapelrichtung mit Pfeilen gekennzeichnet ist.

"Das sind so Sachen, die man erst einmal akzeptieren muss. Wir müssen das Beste draus machen. Aber gerade im Transportwesen erlebt man Sachen, die haarsträubend sind."

Der Brexit als Chance für Deutschland

Indiens Premier Modi versucht immer wieder, durch große PR-Kampagnen um Investoren in Indien zu werben. Die bekannteste lautet "Make in India". Das Ziel ist, die Bürokratie für ausländische Firmen etwas einfacher zu gestalten.

Auch für deutsche Mittelständler gibt es ein spezielles Programm - denn kleinere Unternehmen können den großen bürokratischen Aufwand in Indien oft kaum alleine stemmen. Viele beklagen zudem einen eklatanten Fachkräftemangel und eine ausufernde Korruption. Dennoch: Deutsche Firmen hätten derzeit in Indien gute Karten, glaubt Arun Kumar, Ökonom an der Nehru-Universität in Neu-Delhi.

"Deutschland ist ein wichtiger Partner, weil indische Firmen, die in Europa arbeiten wollen, gerade jetzt wegen des Brexits Deutschland als Zentrum für den europäischen Markt annehmen. Indien will die Zusammenarbeit mit Deutschland deshalb ausbauen."

Spielwiese mit viel Potenzial

Schröder findet umgekehrt, dass auch deutsche Firmen Indien nicht meiden sollten. Die Verkaufszahlen bei Kärcher zum Beispiel legten zuletzt im zweistelligen Bereich zu.

Schröder spricht von einer Spielwiese, auf der viele Potenziale schlummern. "Man kann in den nächsten Jahren Wachstumsraten von sechs bis acht Prozent erwarten", glaubt er. Die Mittelschicht werde weiter wachsen, die Kaufkraft zunehmen - das biete für Firmen in Indien erhebliche Chancen.

Vom Rivalen China weit entfernt

Allerdings ist bei den offiziellen Wachstumsraten Vorsicht geboten: Der informelle Sektor macht rund 90 Prozent der indischen Wirtschaft aus und ist in den offiziellen Statistiken nicht erfasst. Laut Zahlen der Zeitschrift "Economist" gibt es in Indien gerade mal acht Millionen Menschen, die mehr als 18.000 Euro pro Jahr verdienen.

Mercedes-Benz-Chef Roland Folger drückte es so aus: Indien sei von seinem Rivalen China nicht nur bemerkenswert weit entfernt - sondern habe auch nicht aufgeholt. Solche Vergleiche kommen in Indien gar nicht gut an.


Quelle: tagesschau.de, 22.03.2018