Bildungsmarkt Russland: Zuckerbrot und Peitsche

Die Import-Substitution in Russland veranlasst immer mehr deutsche Unternehmen mit Geschäftsinteressen in Russland, dort auch zu produzieren. Fachkräfte werden in vielen Fällen selbst ausgebildet. Außerdem entstehen praxisorientierte Fachhochschulen an russischen Unternehmen. Diese beiden Entwicklungen bieten Chancen für deutsche Bildungsanbieter.

Als sich 2014 die Ukraine-Krise verschärfte und Sanktionen verhängt wurden, zogen die deutschen Unternehmen rund 200 Millionen Euro Direktinvestitionen aus Russland ab. Doch bereits 2015 stiegen die Investitionen wieder auf annähernd 1,8 Milliarden Euro. 2016 ist die Zwei-Milliarden-Marke nach vorläufigen Zahlen der Bundesbank bereits in den ersten drei Quartalen knapp überschritten worden.

Damit investierten deutsche Unternehmen, zu denen beispielsweise Volkswagen und Henkel zählen, fast die Hälfte mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Daimler plant Investitionen von mindestens 300 Millionen Euro in ein Montagewerk nahe Moskau. Dessen Realisierung ist nach russischen Regierungsangaben fast unterschriftsreif. Das Wall Street Journal berichtete vergangenen Dezember, dass Deutschland nach Angaben des russischen Direktinvestitionsfonds mit 35 neuen Projekten in Russland 2016 zweitgrößter Investor nach China ist.

Import-Substitution

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der gesunkene Rubel-Kurs macht es für ausländische Unternehmen weniger attraktiv, Gewinne aus Russland in den Euroraum zu transferieren. Daher werden diese reinvestiert. Außerdem haben deutliche Lohnsenkungen im Verlauf der Wirtschaftskrise dem Standort Russland im internationalen Wettbewerb Vorteile gebracht. Darüber hinaus spielt die Import-Substitutionspolitik der russischen Regierung eine wichtige Rolle.

Martin Schepp, der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK), bescheinigt der russischen Regierung "eine Politik aus Zuckerbrot und Peitsche": "Deutsche Unternehmen investieren im großen Stil, weil der Rubel schwach ist, Regierung und Gouverneure wollen ihnen den roten Teppich ausrollen und umgekehrt immer neue Regelungen zur lokalen Produktion zwingen."

Mit einer verstärkten Inlandsproduktion will der Kreml seine Importabhängigkeit verringern. Im Staatssektor hat die Import-Substitutionspolitik den Rang einer Direktive. Sie drängt ausländische Unternehmen dazu, ihre Wertschöpfung im Land auszubauen, wenn sie Zugang zum heimischen Markt wollen. Wer investiert und in Russland herstellt, hat es deutlich leichter als Importeure. Es gibt auch Sonderinvestitionsverträge, die ausländischen Firmen gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen gewähren.

Geboren wurde die Strategie aus der Not, als sich Russland mit dem Ukraine-Konflikt in die größte außenpolitische Krise seit dem Ende der Sowjetunion manövrierte. Moskau reagierte auf Wirtschaftssanktionen der USA und der EU mit einem Einfuhrstopp für viele westliche Agrargüter und Lebensmittel. Der Kreml rief damals die Import-Substitution aus, um Russlands Industrie zu stärken. Insgesamt hat der russische Staat allein 2015 nach eigenen Angaben knapp 74 Milliarden Rubel (eine Milliarde Euro) für die Import-Substitution ausgegeben.

Steigender Fachkräftebedarf

Viele der rund 800 deutschen Unternehmen im Netzwerk der AHK Russland bauen ihre Produktion in Russland aus. Damit wird der lokale Fachkräftemangel zu einem immer drängenderen Problem. Zwar liegt die Arbeitslosenquote wahrscheinlich deutlich höher als bei den von offizieller Seite genannten 5,3 Prozent, weil viele Erwerbslose nicht gemeldet sind. Dennoch sind viel zu wenig gut ausgebildete Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt verfügbar.

Wegen mangelnder Mobilität der Arbeitskräfte und fehlender marktgerechter Qualifikationen haben die Unternehmen kaum eine Auswahl an passenden Arbeitskräften. Zwar halten einige deutsche Unternehmen dagegen und bilden vor Ort aus. Aber mit jeder Fabrik, die ein ausländisches Unternehmen in Russland baut, steigt der Bedarf an Personal mit Qualifikationen nach internationalen Standards. Hier ist das Know-how deutscher Bildungsanbieter gefragt.

Hans-Gerhard Reh, Export Advisor von iMOVE für Russland, führte im November 2016 eine Delegation mit Vertretern von sechs deutschen Bildungsanbietern nach Moskau. Die Reise hatte iMOVE zusammen mit der AHK und GOVET, der Zentralstelle für internationale Berufsbildungskooperation, organisiert. Er berichtet: "Ein Höhepunkt der Reise war die Teilnahme an einer Kooperationsbörse im Rahmen einer AHK-Konferenz. Dort konnten sich die mitgereisten Unternehmen an eigenen Präsentationsständen mit potenziellen Geschäftspartnern austauschen, die die AHK im Vorfeld der Reise ermittelt hatte – mit gutem Erfolg, wie die Teilnehmer berichteten."

Russland hat Strukturveränderungen bei der beruflichen Bildung eingeleitet und verfolgt diese in enger Zusammenarbeit mit deutschen Partnern. Außerdem hat die russische Regierung das Budget für das gesamte Bildungswesen verdoppelt und Steuererleichterungen für Unternehmen beschlossen, die ausbilden wollen. Dies steigert nicht nur die Motivation der Firmen, in Ausbildung zu investieren, sondern auch, Bildungsleistungen von externen Anbietern einzukaufen. Gleichzeitig bemüht sich die Politik um eine Imageverbesserung der beruflichen Bildung. Denn auch in Russland streben die meisten jungen Menschen einen Universitätsabschluss an. Gegenwärtig gilt dies für 70 Prozent aller Oberschulabsolventen.

Firmeneigene Fachhochschulen

Ein recht neuer Trend in Russland im Zusammenhang mit beruflicher Bildung könnte für Unternehmen und angehende Fachkräfte "zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen" und ebenfalls Chancen für deutsche Bildungsanbieter bergen: Immer mehr russische Unternehmen bieten ihren Angestellten Möglichkeiten zur unternehmensinternen Weiterbildung an. Laut einer Studie der Moskauer Hochschule für Wirtschaft nutzt dafür rund die Hälfte der Unternehmen eigene Lehrressourcen: Ein Viertel verfügt über eine dafür zuständige Abteilung und ein Zehntel hat eigene Lehrgänge oder Aufbaukurse im Programm.

Wie das Zentrum für strategische Entwicklungsarbeiten "Severo-Zapad" berichtet, haben über 30 Unternehmen firmeneigene Fachhochschulen gegründet. Im Gegensatz zu den üblichen akademischen Hochschulen handelt es sich dabei um Bildungseinrichtungen, die außerordentlich praxisorientiert arbeiten, direkt die Bedarfe des jeweiligen Betriebs abbilden und Lehrveranstaltungen für Berufsbilder anbieten, die in Deutschland der beruflichen Bildung zugeordnet sind. Deutsche Bildungsanbieter sind mit ihrer Kompetenz zur dualen Ausbildung prädestiniert, für Unternehmen entsprechende Ausbildungskonzepte und Lernumgebungen zu entwerfen.

Es sind weltweit vor allem Großkonzerne mit einer starken Marke und Marktpräsenz wie Boeing, Coca-Cola und Procter & Gamble, die über eine eigene Fachhochschule verfügen. Von den geschätzt 4.000 Einrichtungen dieser Art befinden sich über die Hälfte in den USA. Auch wenn die Zahlen in Russland deutlich niedriger liegen, findet die Idee immer mehr Anhänger. Eine Befragung von 300 Managern russischer Unternehmen verschiedener Branchen durch die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) ergab, dass ein Viertel von ihnen eine firmeneigene Fachhochschule gründen will.

2016 öffnete beispielsweise die Technische Universität UGMK der Uralischen Bergbau- und Metallverarbeitungsholding als erste private Technische Universität Russlands ihre Türen. Bachelor-Studierende können sich hier zum Metallfacharbeiter, Facharbeiter im Bergbau oder Energietechniker ausbilden lassen. Der praktische Anteil des Studiums beträgt rund 80 Prozent. Die Kurse sind auch bei anderen Unternehmen aus der Industrie gefragt und damit eine zusätzliche Einnahmequelle für die private Hochschule.

Ihre Begeisterung für die hauseigene Universität lassen sich die Unternehmen auch etwas kosten. Die Sberbank gab für die Errichtung ihrer Universität mehr als zehn Milliarden Rubel (138 Millionen Euro) aus; die Ausbildung der Angestellten in der eigenen Hochschule kostete allein 2014 rund zwei Milliarden Rubel (etwa 27,6 Millionen Euro). Unternehmen der Metallindustrie und der Telekommunikation kommen einem Ranking des Nachrichten-Portals RBC zufolge auf ähnliche Summen.

Fachartikel Bildungsmarkt Russland

Dieser Fachartikel ist dem aktuellen iMOVE-Exportmagazin xPORT (Ausgabe 1/2017) entnommen, das Ende April 2017 erschienen ist.

  • Autorin: Silvia Niediek

iMOVE-Exportmagazin xPORT

Titelbild, Text: xPORT Das iMOVE-Exportmagazin
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Marktinformationen Russland

wehende russische Nationalflagge
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Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT - Das iMOVE-Exportmagazin, Ausgabe 1 / April 2017