Berufliche Bildung in Nigeria

Es gibt kein duales Ausbildungssystem in Nigeria. Berufliche Bildung ist jedoch ab der Primärstufe im nigerianischen Bildungssystem verankert. Lesen Sie einen Artikel aus der iMOVE-Marktstudie Nigeria über den Status der beruflichen Bildung.

nigerianische Frau in weißem Kittel arbeitet in Labor
skynesher/iStockphoto.com

Fachkraft in der nigerianischen Industrie

Berufliche Bildung ist von der Primärstufe an im nigerianischen Bildungssystem verankert – wenn auch mit Herausforderungen wie mangelnder Ausstattung, Qualität und Nachfrage konfrontiert. In der iMOVE-Marktstudie im Kapitel 3.1 "Aufbau des Bildungssystems" sind die einzelnen Elemente der staatlichen beruflichen Bildung aufgeführt: von Junior Craft Schools über Berufsschulen im Sekundarbereich (Technical College, Vocational Enterprise Institution oder Innovation Enterprise Institution) zu beruflich orientierter tertiärer Bildung an Monotechnics oder Polytechnics.

Einrichtungen der Berufsbildung

Landesweit gibt es 171 Technical Colleges, 123 Polytechnics und 99 Monotechnics. Weiterhin bestehen 235 Vocational Enterprise Institutions (VEIs) und Innovation Enterprise Institutions (IEIs). VEIs und IEIs wurden etabliert, um die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu minimieren; sie sind hauptsächlich in privater Hand.

Darüber hinaus gibt es bundesweit 33 Colleges of Agriculture, von denen 14 Landes- und 19 Bundeseinrichtungen sind, 43 öffentliche und sieben private Colleges of Health Science and Technology.

Die meisten Absolventinnen und Absolventen mit einem (Higher) National Diploma (ND/HND) kommen aus Lagos, gefolgt von Imo, Kaduna und Osun. Sie konzentrieren sich im dichtbesiedelten Südwesten (31 %) und Nordwesten (24 %), während im Südosten Nigerias nur zehn Prozent der nationalen Einschreibungen erfolgen.

Genauere Angaben zu Einschreibungen und Abschlüssen des ND/HND bieten Zahlen aus 2014/2015: Rund 99.000 Absolventinnen und Absolventen schrieben sich für das ND landesweit ein, 90.000 davon schlossen die Ausbildung nach dem zweiten, 4.000 nach dem dritten Jahr ab. An den Kursen für das HND nahmen noch rund 50.000 Studierende teil; zum Abschluss brachten es nach dem zweiten Jahr circa 45.000. Insgesamt nahmen laut den Zählungen des Bildungsministeriums knapp 300.000 Auszubildende und Studierende an den Prüfungen für ND/HND.

Beliebteste Ausbildungsberufe

Die beliebtesten Ausbildungsberufe staffelten sich 2014/15 wie folgt:

  • Electrical Installation Maintenance ⇒ 5.211 Auszubildende
  • Brick/Block Laying, Concrete Works ⇒ 2.557 Auszubildende
  • Motor Vehicle Mechanics ⇒ 2.375 Auszubildende
  • Fabrication and Welding ⇒ 1.609 Auszubildende
  • Carpentry and Joinery ⇒ 1.237 Auszubildende

Am wenigsten beliebt waren Accounting und Computer Maintenance.

Geschlechterungleichgewicht im Berufs- und Bildungsalltag

Wie in vielen afrikanischen Ländern gibt es ein starkes Geschlechterungleichgewicht im Berufs- und Bildungsalltag.

In Monotechnics und Polytechnics sind weniger als 40 Prozent aller eingeschriebenen Auszubildenden Frauen, wobei die Bandbreite zwischen fast 70 Prozent Frauenanteil in Elektronikfächern und 13 Prozent in Architektur reicht. An den Technical Colleges waren weniger als 20 Prozent der eingeschriebenen Studierenden weiblich.

Road Apprenticeships – Ausbildungen im informellen Sektor

Der informelle Sektor spielt eine sehr große Rolle in Nigeria: Etwa 65 bis 70 Prozent der Aus- und Weiterbildung findet im informellen Sektor statt und trägt damit mehr zum Bruttoinlandsprodukt bei als der formelle Sektor, so eine Schätzung des Skills Expert Awoyele der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Nigeria.

Bei informellen Ausbildungen (Road Apprenticeships) arbeiten die Auszubildenden meist zwischen zwei und sieben Jahren in Firmen, von denen sie ein Zeugnis über die Dauer und den Beruf ausgestellt bekommen. Es wird hier ausschließlich ein learning by doing-Ansatz verfolgt; dafür werden Kost und Logis vom ausbildenden Unternehmen übernommen.

Bildungsniveau und aktuelle Herausforderungen

Das auch im Bereich der Primärbildung in den letzten Jahrzehnten stark vernachlässigte Bildungssystem garantiert nicht unbedingt den Erwerb von grundlegenden Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben oder Rechnen.

Leider ist nicht gewährleistet, dass jedes Kind einen kostenfreien Zugang zu Bildung erhält, geschweige denn unter angemessenen Bedingungen am Unterricht teilnehmen kann: Schulen sind unzureichend ausgestattet, Materialien veraltet und nicht ausreichend vorhanden für die stetig wachsende Anzahl an Schülerinnen und Schülern, das Lehrpersonal unzureichend ausgebildet.

Langsam stellen sich jedoch Erfolge in der Schulbildung ein, auch dank vieler Geldgeber; sichtbar zum einen an der steigenden Nachfrage nach Hochschulbildung, zum anderen an der Alphabetisierungsrate: Zwar können knapp 30 Prozent aller Nigerianer und 50 Prozent der Nigerianerinnen nicht richtig lesen und schreiben. Unter den 15- bis 24-Jährigen beträgt die Rate aber nur noch 25 Prozent, und auch die Gender-Diskrepanz nimmt ab.

Berufsbildung nicht auf Bedarfe der Wirtschaft abgestimmt

Hinzu kommt, dass das staatliche Berufsbildungssystem zahlreiche Mängel aufweist: So greift es zum Beispiel die Bedürfnisse der Wirtschaft nicht auf. Die Ausbildungen und Studiengänge, die junge Menschen auf die Berufswelt vorbereiten sollen, werden von den Arbeitgebern häufig als unzureichend befunden. Berufsausbildung ist in Nigeria schulisch organisiert und nur teilweise sind Praktika im Curriculum vorgesehen.

VEIs und IEIs sollen dies verbessern, und auch der ITF geht dieses Problem schwerpunktmäßig an. So können 925 technische Berufe aufgrund des Fachkräftemangels nicht adäquat besetzt werden, vor allem in den Bereichen Agrar, Rohstoffverarbeitung, der Öl- und Gasindustrie, der Baubranche sowie der Leichtindustrie und dem Dienstleistungssektor.

Ein weiteres Problem des gesamten Bildungsbereiches, aber auch des TVET-Sektors, ist der eurozentristische Ansatz von Lehrplänen. So wurden die Curricula zwar mit Ende der Kolonialzeit reformiert, jedoch nicht ausreichend auf nigerianische Bedürfnisse, Ressourcen und Technologien angepasst. 

Die Nachfrage nach praxisorientierten Bildungsangeboten, mit auf die Bedürfnisse der Wirtschaft und des Landes angepassten Curricula, ist in Nigeria also entsprechend hoch.

Herausforderung Finanzierung

Die wohl massivste der Herausforderungen ist die mangelhafte Finanzierung durch die Regierung und die ineffektive Allokation der Gelder. 

Mangelnde Ausstattung, wie untaugliche oder defekte Werkstätten, und schlechte Bezahlung des Lehrpersonals sind die Konsequenzen – qualifizierteres Lehrpersonal ist tendenziell eher in privaten Berufsbildungseinrichtungen zu finden. Auch die Weiterbildung für Lehrende ist mangelhaft. Dies hängt eng zusammen mit der inadäquaten IT-Ausstattung, die beispielsweise E-Learning ermöglichen könnte.

Berufsbildungsstrategie fehlt

Trotz einer sich der beruflichen Bildung gegenüber öffnenden Bildungspolitik fehlt es an einer präzisen Strategie.

Die Verfügbarkeit von aktuellen Daten zu Bedürfnissen der nigerianischen Wirtschaft in punkto Aus- und Weiterbildung oder Zahlenmaterial zum Arbeitsmarkt ist ein großes Problem, das eine zielführende Strategieentwicklung verhindert.

Das 2017 erstellte Gutachten vom Industrial Training Fund (ITF) und United Nations Industrial Development Organization (UNIDO) zum Skills Gap schafft erste Abhilfe und analysiert duale Ausbildungskonzepte in Deutschland oder der Schweiz sowie Vorlagen anderer Schwellenländer wie Indien oder Brasilien. Zu den vorgeschlagenen Reformprioritäten gehört, neben den oben genannten Herausforderungen, ein funktionierendes Berufsorientierungssystem und die Standardisierung der beruflichen Ausbildung; letztere wurde kürzlich angegangen.


iMOVE-Marktstudie  Nigeria

Titelbild der Marktstudie Nigeria

Der Artikel ist ein Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Nigeria für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, die kürzlich erschienen ist. In der Marktstudie finden Sie alle für den Artikel verwendeten Quellen. 

zum Download der Studie

zur Marktseite Nigeria


Quelle: iMOVE, Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Nigeria für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, 2021