Berufliche Bildung in Ägypten: Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik müssten an einem Strang ziehen

Bassant Helmi leitet das deutsche Verbindungsbüro der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer in Berlin. Die gebürtige Ägypterin ist gleichzeitig Geschäftsführerin des Vereins Global Project Partners. Dieser unterstützt durch eine Vielzahl von Projekten die Wirtschaft in Entwicklungsländern unter anderem durch Ausbildungsinitiativen.

In Deutschland kooperiert der Verein mit unterschiedlichen staatlichen und wirtschaftlichen Partnern – wie etwa der Auslandshandelskammer, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit oder dem Auswärtigen Amt. Frau Helmi blickt auf ein mehr als 20-jähriges Engagement in der Region zurück.

Das Interview mit Bassant Helmi führte Ruth Müller.

Woran krankt der Bildungssektor in der Mena-Region?

In der Mena-Region haben viele Regierungen total versagt, weil sie sich von den Investitionen in Bildung zurückgezogen haben. In Ägypten zum Beispiel haben nur jene Kinder einen Zugang zu besserer Bildung, deren Eltern sich eine Privatschule leisten können. Bildung ist ein Geschäft.

Was für Konsequenzen hat das?

Ich höre regelmäßig von multinationalen Konzernen, aber auch von ganz normalen mittelständischen Unternehmen in der Region, dass sie nicht genügend junge Leute finden, die ausreichend qualifiziert sind. Sie können also ihren Arbeitskräftebedarf nicht decken. Gleichzeitig gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Viele junge Leute gehen deshalb in den informellen Sektor. Dort verkaufen sie irgendetwas oder sie transportieren mit einem Tuk-Tuk Waren und Passagiere. Sie sind nirgendwo registriert und haben keine Sozialversicherung. Der informelle Sektor nimmt viele, aber längst nicht alle auf. Langfristig ist das keine Lösung.

Andere Jugendliche versuchen, auszuwandern – in die Golfstaaten oder nach Saudi-Arabien, nach Jordanien oder Algerien. Das ist viel einfacher als nach Europa zu gehen. Sie denken: "Wenn ich auswandere, habe ich eine Lösung." Doch diese Einschätzung ist nicht realistisch. Die Jugendlichen waren noch nie im Ausland und haben keine Vorstellung, was sie erwartet.

Was müsste passieren, um die Lage langfristig zu verändern?

Meiner Ansicht nach funktioniert das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft in Ägypten nicht richtig.

Die Zivilgesellschaft ist marginalisiert und kann nur wenig Druck ausüben, damit sich etwas verändert – geschweige denn, eigene Bildungsinitiativen starten. Die Unternehmer sind bislang kaum dafür sensibilisiert, dass sie selbst zur Förderung des Nachwuchses beitragen müssen.

Es gibt 2.000 Berufsschulen in Ägypten, aber nur 40 Unternehmen, die eine eigene Berufsschule aufgebaut haben. Das sollte man ausbauen und dafür braucht es die richtigen Anreize.

Man könnte zum Beispiel Steuererleichterungen für Ausbildungsbetriebe einführen. Aber dafür mangelt es an politischem Willen. Selbst wenn die Betriebe ausbilden wollen, fehlt ihnen ein klarer rechtlicher Rahmen. Der Staat liefert diesen bislang nicht. Die Unternehmer wollen eine Checkliste. Sie möchten wissen, was sie als Ausbilder leisten sollen, welche Vorschriften sie beachten müssen und woher sie das Geld dafür bekommen.

Kurzzeitig sah es so aus, als würde sich Ägypten diesen Problemen annehmen. Es gab bis vor kurzem ein Ministerium für berufliche Bildung. Das hat kurzfristig die duale Berufsausbildung zurück auf die politische Agenda gebracht.

Ich habe eng mit dem zuständigen Minister zusammengearbeitet. Wir wollten in Kooperation mit den ägyptischen Unternehmerverbänden den Grundstein für ein standardisiertes duales Bildungssystem legen. Doch von heute auf morgen wurde das Ministerium in das Bildungsministerium integriert. Der Berufsbildungsminister ist verschwunden. Das ist natürlich auch ein politisches Signal.

Welche Initiativen könnten aus dem Ausland kommen, um die Arbeitnehmer fit für die Arbeitsmärkte zu machen?

Es gibt einzelne Initiativen von internationalen Konzernen. Wir von Global Project Partners haben in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt ein Fachkräfteprogramm auf den Weg gebracht.

Als einer unserer Partner hat Mercedes-Benz eine Mechatroniker-Akademie aufgebaut. Der erste Jahrgang mit 14 Studenten hat gerade die Abschlussprüfung bestanden. Darunter waren auch zwei Frauen. Das ist ein tolles Konzept.

Obwohl ich glaube, dass die Großkonzerne noch viel mehr dergleichen tun könnten und sollten, bleiben solche Initiativen Insellösungen. Ohne übergeordnete Strategien sind sie ein Tropfen auf dem heißen Stein.

An der schlechten Ausbildungs- und Beschäftigungslage kann sich nur etwas ändern, wenn alle relevanten Akteure, also Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik, an einem Strang ziehen.

Neben technischer Unterstützung kann die deutsche Außenpolitik beratend wirken, indem sie immer wieder unterstreicht, wie wichtig es für die Zukunft der Mena-Länder ist, die nachwachsenden Generationen mit jenen Fähigkeiten auszustatten, die Arbeitgeber auch tatsächlich einsetzen können.

  • Das Interview führte Ruth Müller am 24.09.2015 für die Studie "Krisenregion Mena. Wie demografische Veränderungen die Entwicklung im Nahen Osten und Nordafrika beeinflussen und was das für Europa bedeutet." Die Studie wurde gefördert vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) aus Mitteln des Auswärtigen Amtes.

Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, berlin-institut.org, Newsletter, 16.10.2017