Auf dem Weg nach Thailand 4.0

Für die Realisierung bedarfsgerechter und zukunftsorientierter Ausbildungsgänge orientiert sich Thailand an erfolgreichen Projekten mit deutschen Partnern.

asiatisch aussehender Mann schaut auf Druckanzeige
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Die digitale Revolution war Anfang 2019 ein beherrschendes Thema auf dem Jahrestreffen des World Economic Forum in Davos. Während sich die Technologien immer rasanter weiterentwickeln, so die einhellige Meinung, fehlen vielen Menschen die Qualifikationen, um sich in der sich wandelnden Arbeitswelt auf Dauer zu behaupten. Und wenn die digitalen Möglichkeiten durch entsprechend geschulte Fachkräfte nicht ausgeschöpft werden können, kostet das nicht nur Unternehmen, sondern auch ganze Volkswirtschaften Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit.

Just als sich die Eliten aus Politik und Wirtschaft im schweizerischen Skiort trafen, flog eine Delegation unter Leitung des Bundesbildungsministeriums nach Thailand. Ziel der Reise war es zu erfahren, wie sich die deutsch-thailändische Zusammenarbeit zur Berufsbildung in Zukunft erfolgreich weiterentwickeln kann. Um dabei speziell die Interessen der deutschen Bildungswirtschaft zu vertreten, nahm auch iMOVE an der Reise teil.

Dabei zeigte sich, dass in dem aufstrebenden südostasiatischen Staat digitale Qualifizierung in aller Munde ist: Mit der 2018 verabschiedeten und auf 20 Jahre angelegten "Thailand 4.0"-Strategie will die Regierung ihre Schlüsselindustrien global wettbewerbsfähig machen.

Das wird ohne ein bedarfsgerechtes und leistungsfähiges Berufsbildungssystem allerdings schwer zu erreichen sein. Das bestehende System berücksichtigt bislang kaum die Bedarfe der Industrie und es mangelt an qualifiziertem Ausbildungspersonal in den Berufsschulen. Die Curricula der öffentlichen Schulen sind größtenteils veraltet. Es werden zu wenig Fremdsprachenkenntnisse, vor allem Englisch, vermittelt. Auch die eigenständige Problemlösefähigkeit wird durch das Bildungssystem nicht gefördert. Zusammen mit der demografischen Entwicklung der thailändischen Gesellschaft, die ähnlich wie die deutsche immer stärker altert, sorgt diese Konstellation für einen fortschreitenden Fachkräftemangel auf allen Ebenen.

Fachartikel Thailand 4.0

Dieser Fachartikel ist im aktuellen iMOVE-Exportmagazin xPORT, Ausgabe 1/2019, im Juni mit einer Reihe von Hintergrundinformationen erschienen. 
 

  • Autorin: Silvia Niediek
Thailänderin arbeitet an Computer

Fehlende Kontinuität in Politik und Verwaltung behindert Reformen

Eine grundlegende Reform seitens der Regierung ist nicht zu erwarten. Das liegt auch daran, dass die Führungs- und Umsetzungsebene des Bildungsministeriums von häufigem Personalwechsel geprägt ist. In den vergangenen 18 Jahren hatte Thailand 21 verschiedene Bildungsminister. Im für Berufsbildung zuständigen Office of the Vocational Education Commission (OVEC) wird aus Gründen der Korruptionsprävention alle vier Jahre das Führungspersonal ausgetauscht. Auch die Berufsschullehrer müssen alle vier Jahre das College wechseln.

Dennoch wünscht sich die Regierung schnell sichtbare Erfolge. Vor diesem Hintergrund unterzeichnete der britische Bildungsanbieter Pearson Mitte vergangenen Jahres ein Abkommen mit dem Eastern Economic Corridor (EEC) Thailands. In dieser von der Regierung geförderten Wirtschaftsentwicklungszone, die sich über die drei Provinzen Chonburi, Rayong und Chachoengsao erstreckt, sind diverse Schlüsselindustrien angesiedelt. Dazu zählen Automotive, Raumfahrt, Gesundheit und Robotik. Mithilfe neuer Lernprogramme von Pearson sollen Berufsschulen im EEC Auszubildende unterrichten.

Gleichzeitig soll dies ein erster Schritt zur Entwicklung von Standards für berufsbildende Kurse auf dem Weg zu Thailand 4.0 sein. Ob dieser Schritt den gewünschten Erfolg erzielen wird, bleibt abzuwarten. Laut EEC-Entwicklungsplan werden jedenfalls über 170.000 Fachkräfte gebraucht, von denen noch rund ein Drittel fehlt.
 

Industrie ergreift Initiative

Aktuell sind in Thailand rund 84 Prozent der Beschäftigten gering qualifiziert, während 16 Prozent auf Techniker- beziehungsweise Fachkraftebene arbeiten. Zum Vergleich: In industrialisierten Ländern liegt der Anteil der hochqualifizierten Beschäftigten bei 60 bis 70 Prozent.

Die thailändische Industrie leidet immer stärker unter dem Fachkräftemangel auf mittlerem technischen Niveau und engagiert sich mittlerweile sogar selbst, um ihn zu bekämpfen. Dies ist eine recht neue Entwicklung mit viel Innovationspotenzial. Denn eigentlich verlassen sich die Unternehmen wie in vielen Ländern der Welt auch in Thailand nur zu gern auf den Staat, wenn es um Aus- und Weiterbildung geht. Aber sie haben erkannt, dass sie fehlende Qualifikationen nicht mehr nur mit Anlernen kompensieren können.

Seit drei Jahren existiert ein Joint Committee des Bildungsministeriums mit 20 führenden Unternehmen in Thailand. Außerdem haben sich Ende 2018 zehn große thailändische Unternehmen, koordiniert durch die Federation of Thai Industries (FTI), zusammengefunden, um gemeinsame Lösungsansätze im Berufsbildungsbereich zu erarbeiten und damit den Druck auf die Regierung zu tiefgreifenden und systematischen Reformen zu erhöhen. Auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die die Wirtschaft zahlenmäßig dominieren, verschaffen sich zunehmend Gehör.

So wächst im Bildungsministerium das Bewusstsein dafür, dass sich die berufliche Bildung stärker an den Bedarfen der Wirtschaft orientieren muss – und dass Steuererleichterungen für ausbildende Betriebe allein nicht ausreichen.

xPORT 1/2019

Titelbild des Exportmagazins Ausgabe 1/2019
Thai zeigt zwei Männern aus Deutschland ein digitales Gerät

Erfolgsbeispiele mit deutscher Beteiligung

Mit Unterstützung deutscher Partner konnten einige erfolgreiche Berufsbildungsprojekte in Thailand etabliert werden.

Dazu zählt beispielsweise die vom Bundesbildungsministerium geförderte Initiative "German-Thai Dual Excellence Education" der Auslandshandelskammer (AHK) für ihre deutschen und thailändischen Mitgliedsunternehmen. Im Rahmen dieses Vorhabens können junge Menschen in zweijährigen Programmen dual ausgebildet und betriebliche Ausbilder geschult werden, die neben dem thailändischen auch einen Abschluss der AHK erwerben.

Maßgeblich für den Erfolg dieser Maßnahme ist die enge Einbindung der Wirtschaft und die Zusammenarbeit mit privaten Berufsschulen (Colleges). Diese können wesentlich flexibler auf die Bedarfe der Wirtschaft eingehen und sind auch stärker daran interessiert, ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufzubauen.

An der King Mongkut’s University of Technology North Bangkok (KMUTNB) wurde die deutsche Meisterschulung für den thailändischen Kontext adaptiert. Dazu wurde eine dreistufige Meisterausbildung im Umfang von 900 Stunden entwickelt, die durch CIM-Kräfte betrieben wird. (Das Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) vermittelt Fach- und Führungskräfte an Arbeitgeber in Entwicklungs- und Schwellenländer.)

100 Meister in den Bereichen Elektronik, Mechatronik und Metall haben ihre Qualifizierung bereits erfolgreich absolviert. Aktuell wird die vierte Kohorte ausgebildet. Die Ausweitung auf fünf weitere Berufsfelder, darunter Luftfahrt und Lebensmittelverarbeitung, ist geplant.

Das Eastern Technological College (E.Tech) ist die erste thailändische Schule, die nach deutschem Standard zertifiziert wurde. Als private Bildungseinrichtung kann sie die Bedarfe der Wirtschaft kurzfristig umsetzen. 35 Lehrkräfte des E.Tech im Bereich Mechatronik wurden am KMUTNB qualifiziert.

Das 1992 gegründete Thai-German Institute (TGI) steht unter der Aufsicht des thailändischen Industrieministeriums und qualifiziert junge Menschen als eine Art überbetriebliches Bildungszentrum in elf verschiedenen Fachbereichen, darunter CNC-Automatisierung und Robotik. Das TGI unterhält Trainingsvereinbarungen mit über 20 Unternehmen, darunter Bosch, BMW und Siemens. Alljährlich werden rund 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firmen qualifiziert. In Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten ist der Aufbau eines Robotik-Zentrums geplant.

Gute Aussichten für New Collar Jobs

Nicht zuletzt durch die erfolgreiche Kooperation mit deutschen Partnern setzt sich in Thailand die Erkenntnis durch, dass eine Qualifizierungsoffensive für die digitalisierte Industrie einen starken Fokus auf praxisorientierte technische Qualifikationen legen muss.

Der Anspruch "Thailand 4.0" umfasst nicht nur die Industrie, sondern auch Bildungseinrichtungen – allerdings auf allen Ebenen inklusive der Universitäten, von denen sich mehrere bereits in der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft engagieren.

Die zukunftsorientierte Ausbildung von Fachkräften und "Technopreneuren" hat somit nicht nur das Potenzial, das schlechte Ansehen beruflicher Bildung entscheidend zu verbessern, sondern auch den Weg für grundlegende Reformen des thailändischen Berufsbildungssystems zu ebnen. Davon können deutsche Bildungsexporteure bereits heute profitieren.

IBM-Chefin Virginia Rometty warb in Davos dafür, die Unterscheidung zwischen White Collar Jobs und Blue Collar Jobs ganz aufzugeben – zugunsten von New Collar Jobs. Thailand macht sich bereit, diesen entscheidenden Schritt zu gehen.


Quelle: iMOVE