Ansehen beruflicher Aus- und Weiterbildung in Saudi-Arabien

Handwerkliche Berufe und Tätigkeiten leiden in Saudi-Arabien unter einem schlechten Ruf. Die Regierung treibt die Aufwertung der Berufsbildung voran. Lesen Sie diesen Artikel zum Thema aus der iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien, die in Kürze erscheint.

Gebäude in Saudi-Arabien
DrKoernerConsult

Handwerkliche Berufe und Tätigkeiten werden von der inländischen Bevölkerung in den allermeisten Bereichen Gastarbeiterinnen sowie Gastarbeitern überlassen. Dies liegt in historisch gewachsenen, systemimmanenten Fehlanreizen begründet.

Beschäftigung im öffentlichen Sektor

Ein durch die Einkommen aus Ölexporten mit starker Finanzkraft ausgestatteter öffentlicher Sektor, einschließlich der Verwaltung in staatlichen Unternehmen, wie beispielsweise Saudi Aramco und Saudi Electric, bot seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine vergleichsweise hohe Vergütung und Arbeitsplatzsicherheit. Dies führte dazu, dass die saudische Bevölkerung eine Beschäftigung im öffentlichen Sektor und die dafür notwendigen Abschlüsse anstrebte. Diese Abschlüsse (Studium der Politikwissenschaften, Religion, Geschichtswissenschaften, Verwaltung und andere) wiesen jedoch eine verhältnismäßig geringe Relevanz für den privaten Sektor auf.

Der mangelnde Anreiz, eine Berufsausbildung oder ein Studium in den oftmals weniger lukrativen technischen Studienrichtungen zu absolvieren, führte zu einer Verstärkung der Abhängigkeit großer Teile der saudischen Bevölkerung von den Berufen im öffentlichen Bereich. Um den sozialen Frieden nicht zu gefährden, fuhr der saudische Staat mit der ökonomisch ineffizienten Beschäftigungspolitik fort. Es wurden wesentlich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, als notwendig gewesen wären.

Saudisierungsprogramm

Um die Abhängigkeit der saudischen Bevölkerung vom öffentlichen Sektor zu verringern und größere Teile der Bevölkerung im privaten Sektor zu beschäftigen, wurde eine Pflichtquote für die Beschäftigung inländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen des Saudisierungsprogramms (Nitaqat) geschaffen. 

Diesem Programm folgend, müssen saudische Unternehmen ab zehn Angestellten einen gewissen Prozentsatz saudischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger beschäftigen. Gleichzeitig soll der Unternehmergeist durch vereinfachte Bereitstellung von Finanzierungsmöglichkeiten sowie Schulungen hinsichtlich der Unternehmensgründung und -führung gefördert werden.

Dies führte zwar zur vermehrten Einstellung saudischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in privatwirtschaftlichen Unternehmen, allerdings aufgrund mangelnder Qualifikationen nicht zu deren realen Beschäftigung. Teils bestehen Arbeitsverhältnisse nur auf dem Papier, um die Quote zu erfüllen, die angestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleiben jedoch zu Hause oder gehen anderen Beschäftigungen nach. Nach wie vor werden vor allem ausländische Arbeitskräfte für Tätigkeiten eingesetzt, die von der saudischen Bevölkerung ungern ausgeführt werden.

mehrere junge Männer in einer Halle in Blaumännern
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Einrichtung und Inbetriebnahme einer Ausbildungswerkstatt

Berufsbildung weiterhin von Imageverlust geprägt

Dieser seit Jahrzehnten erfolgte Einsatz von im sozialen Gefüge niedrig angesehenen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern für Tätigkeiten des Berufsbildungssektors führt weiterhin zu einem Imageverlust eben dieser Berufsfelder. Insofern besteht neben den monetären Fehlanreizen auch ein Mentalitätsproblem, nicht nur in Saudi-Arabien. Berufliche Bildungsprogramme werden somit generell als eine Option für diejenigen wahrgenommen, die eine akademische Laufbahn nicht erfolgreich absolvieren konnten.

Erhöhter Fachkräftebedarf in kommenden Jahren

Saudische Unternehmen sind aufgrund der Saudisierungsvorgaben auf der Suche nach qualifizierten saudischen Fachkräften. Zudem werden massive Investitionsprojekte in den kommenden Jahren den Bedarf an qualifizierten Fachkräften wesentlich erhöhen. Insbesondere erwähnenswert sind hier die Bereiche Infrastruktur, Industrialisierung, Digitalisierung, Tourismus, Einzelhandel und erneuerbare Energien.

Obwohl in den letzten Jahren viel erreicht wurde, ist eine hochgradig theoriebasierte Berufsausbildung, die bisher zu einer mangelnden Einsatzfähigkeit saudischer Arbeitnehmer/-innen in Arbeitsprozessen führt, zu reformieren. Trotz der weitreichenden Investitionen in den Berufsbildungsbereich ist hier kein schneller Wandel zu erwarten. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass befragte deutsche Unternehmen, die im Königreich Saudi-Arabien tätig sind, aussagen, noch immer Probleme mit der vorhandenen Lernkultur und dem Bildungssystem zu haben.

Aufwertung der Berufsbildung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Königreich Saudi-Arabien trotz der massiven finanziellen Mittel, die den Aufbau einer diversifizierten Wirtschaft ermöglichen würden, durch die Mentalität der Bevölkerung des Landes vor einer großen Hürde steht. Diese gilt es für eine erfolgreiche Modernisierung zunächst zu überwinden.

Kooperationen mit ausländischen Firmen werden vom Königreich daher verstärkt gesucht. Dass die Aufwertung der Berufsbildung eine Voraussetzung für den Mentalitätswandel ist, wurde von der Regierung des Landes erkannt. Dies spiegelt sich in einer deutlichen Steigerung des Budgets wider, das dem Berufsbildungssektor zur Verfügung gestellt wird.

  • Autoren: Dr. Helge Körner, Markus Milwa

Weitere Information

Titel der Marktstudie Saudi-Arabien

In Kürze erscheint die zweite, komplett überarbeitete Auflage der iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung.


Quelle: iMOVE, Artikel aus der iMOVE-Marktstudie Saudi-Arabien für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, 2020