Wie deutsche Unternehmen Mitarbeiter in Mittel- und Osteuropa finden und halten

Niederlassungen deutscher Unternehmen in Osteuropa wollen "bedarfsgerecht qualifizierte lokale" Leute einstellen und halten. Erschwert wird dies häufig durch eine hohe Mitarbeiterfluktuation sowie Differenzen zwischen dem Anspruch der Unternehmen und der Qualifikation der Kandidaten.

Mitte Oktober 2016 fand in Berlin der "Osteuropa Wirtschaftstag" statt. Es war die sechste Auflage dieses vom Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft veranstalteten Formats. Das Forum richtete sich an deutsche Unternehmen aus Industrie, Handel und Beratung, die für ihre Niederlassungen in Osteuropa "bedarfsgerecht qualifizierte lokale" Leute einstellen und halten wollen. Erschwert wird dies häufig durch eine hohe Mitarbeiterfluktuation sowie Differenzen zwischen dem Anspruch der Unternehmen und der Qualifikation der Kandidaten.

Die Teilnehmer apellierten daher an die Politik den Wunsch "einer europaweiten Harmonisierung und Anerkennung von Ausbildungsgängen". Bis es soweit ist, investieren die Unternehmen weiterhin selbst in die Weiterbildung künftiger und gegenwärtiger Mitarbeiter.

In der demografischen Falle

Ein erstes Panel informierte über Stand und Perspektiven der Fachkräftesituation in Osteuropa. Vom Schwund der arbeitsfähigen Bevölkerung sind in Osteuropa besonders Bulgarien, Rumänien, die baltischen Länder und Ungarn betroffen. Deutschland folgt nur knapp dahinter, berichtet Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW). Das IW erstellt und veröffentlicht regelmäßig Übersichten über Arbeits- und Lohnnebenkosten in der Region.

Einige Länder verschleierten zudem das tatsächliche Ausmaß des Bevölkerungsschwunds, beobachten die IW-Statistiker. So würden beispielsweise Auswanderer, die ihren Urlaub in der alten Heimat verbringen, in Bulgarien und Polen offiziell nicht als abgewandert erfasst. Eine positive Ausnahme stellt Tschechien dar. Dort sei der demografische Wandel nicht so dramatisch wie in den übrigen Ländern der Region.

Zudem sei klar, so Röhl weiter: Die zunehmende demografische Lücke, zusätzlich verstärkt durch Auswanderung und Akademisierung, könnte das Lohnniveau im Osten weiter unter Druck setzen.

Politik passt Bildungssystem an

In Osteuropa ist die Nachfrage nach bedarfsgerecht qualifizierten lokalen Fachkräften immens gestiegen. Dem tragen viele osteuropäische Ausbildungs- und Hochschulsysteme jedoch noch nicht adäquat Rechnung.

Die deutsche Wirtschaft hofft daher hofft daher auf die (Wieder-)Einführung der dualen Berufsausbildung in den Ländern Mittelosteuropas. Seitens einiger regionaler oder nationaler Regierungen gibt es dazu unterschiedlich fortgeschrittene Bemühungen, allerdings nicht flächendeckend.

In Bulgarien trete der Fachkräftemangel proportional zur FDI-Tätigkeit (FDI: foreign direct investment) auf, erklärte in Berlin Bulgariens stellvertretender Wirtschaftsminister, Ljuben Petrov. Das Land reagierte unter anderem mit einer Änderung des Schul- und Ausbildungsgesetzes. Im Rahmen des Aktionsplans der Europäischen Union (EU) "Unternehmertum 2020" bezuschusst Sofia zudem Unternehmen, wenn diese in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit Praktika anbieten.

Zugleich gibt es in Bulgarien aktuell gleich drei Initiativen zur Förderung der dualen Ausbildung. Sie werden parallel von deutschen, österreichischen und schweizer Organisationen angeboten.

Zusammenarbeit von Industrie und Hochschulen

Wie der Hochschulsektor dem Bedarf der Wirtschaft ebenso decken kann, zeigt das Beispiel der International Start-Up School der Polytechnischen Universität Odessa. Partner dieses deutsch-ukrainischen Projektes sind die Universität Regensburg und die Fachhochschulen Augsburg, Erfurt und Berlin (HTW).

Die Industrie vergibt Aufträge an das Netzwerk, etwa im Bereich Programmierung. Studierende setzen den Auftrag dann um – unterstützt von Mentoren aus der Wirtschaft und der Hochschule. Ein prominenter Kunde ist Cisco Systems. Laut dem Professor und Netzwerk-Sprecher Michael Lobachew schaffen es derzeit nur fünf bis zehn Prozent der Bewerber in das Netzwerk.

Eigeninitiative ist gefragt

Ein zweites Plenum ging der Frage nach, wie deutsche Unternehmen mit eigenen Programmen nach Leuten suchen und diese zu halten versuchen. Unternehmen wie die Commerzbank, zwischen Prag und Taschkent durch 13 Repräsentanzen vertreten, bieten eigene Trainingsseminare für lokale Banker an.

Neben der reinen Wissensvermittlung verfolgt die Bank ein weiteres Hauptmotiv für dieses Engagement, sagt Holger Kautsky, Head of Financial Institutions bei der Commerzbank: "Networking ist das A und O". So ist der amtierende Chief Executive Officer (CEO) der russischen Post, Andrej Kazmin, Alumnus dieses Kurses aus dem Jahr 1992.

Die Bank beteiligt sich darüber hinaus an den Young Leader Seminaren des Deutsch-Russischen-Forums oder am Stipendiatenprogramm der Deutschen Wirtschaft für die Ukraine. Dieses werde zurzeit massiv ausgebaut. In Kroatien beteiligt sie sich an der Stiftung "Znanje na Delu" (zu deutsch: Wissen am Werk), die eine duale Ausbildung bereitstellt.

"Employer Branding" als Strategie zur Mitarbeiterbindung

Auf einem dritten Podium berichteten Manager über Praxisbeispiele der Einstellung und Bindung lokaler Fachkräfte, unterteilt in EU-Länder und Nichtmitgliedstaaten – wenngleich die Unterteilung in diese beiden Ländergruppen keine zusätzlichen Erkenntnisse brachte.

Zur demografisch bedingten Verknappung des Arbeitsmarktes kommt auch das niedrige Gehaltsniveau in Osteuropa hinzu. Bereits minimale Lohnunterschiede könnten einen über Jahre im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter zum Wechsel verleiten: "Bietet die Konkurrenzfirma 50 Euro mehr im Monat, sind sie weg. Alles schon passiert", klagt einer der Redner auf dem Wirtschaftstag. Die Unternehmen müssten also nicht-monetäre Wege finden, gute Mitarbeiter an sich zu binden.

Ein Plus ist der Ruf, den viele deutsche Unternehmen in die Region mitbringen, in der sie sich ansiedeln. Sie gelten als solide und verlässliche Arbeitgeber, so der Konsens auf dem Podium. Im Zuge des Employer Branding könne dieser Ruf sogar noch aufpoliert werden.

Terry Flokstra, Geschäftsführer von Wuppermann Hungary Kft., berichtet davon, wie sein Unternehmen Kulturevents sponsert, Artikel in den Lokalspalten lanciert oder zu Townhall-Meetings einlädt. Der Ableger des Leverkusener Stahlbearbeiters versucht auch über eine Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Aktion, zusätzlich Personal zu finden.

Auch die Größe vieler deutscher Investoren ist ein wichtiges Asset. "Viele Arbeitnehmer sehnen sich nach Kontinuität und Sicherheit. In Konzernen finden sie dies vor", erklärt Andreas Rossa, Executive Vice President
von PHOENIX CONTACT aus Detmold. Das Unternehmen fertigt an mehreren Standorten, auch in Osteuropa, elektronische Schaltanlagen.

Akademisierung und Automatisierung erschweren zusätzlich

Der Fachkräftemangel wird auch durch den allgemeinen technischen Fortschritt verstärkt. Vor allem aus Sicht der Informationstechnologie (IT)-Industrie klaffe eine riesige Lücke zwischen universitärer Ausbildung und den eigenen Erfordernissen, berichtet Caroline King, Kommunikationsdirektorin bei SAP. Der Stand der Technik habe eine Halbwertszeit von zwei Jahren erreicht.

Einerseits verlangen Teile der Wirtschaft gerade im Bereich IT immer höhere geistige Fähigkeiten potenzieller Mitarbeiter. Andererseits finde sie auch keinen Mittelbau mehr. Denn diese Schicht, aus der die Industrie für gewöhnlich ihre Mitarbeiter rekrutiere, schrumpft.

Zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung seien zu gering qualifiziert oder schlicht nicht ausbildungsfähig, zitiert Mitko Vassilev, Geschäftsführer der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer, einschlägige Zahlen. Und am oberen Ende des Skala befindet sich eine zunehmend mobile und post-industrielle Schicht junger Menschen, von denen sich ebenfalls keiner mehr an die Maschine stelle.


Quelle: OWC-Verlag für Außenwirtschaft GmbH, owc.de, 17.10.2016