Audi exportiert das deutsche Ausbildungssystem nach Mexiko

Mexiko gilt in der Autoindustrie als neues El Dorado. Mit von der Partie ist jetzt auch Audi und sammelt Punkte mit neuen Ausbildungsformaten.

Der Samstag, ein freier Tag? - In Mexiko unbekannt. 48 Stunden beträgt die wöchentliche Arbeitszeit. Die Gewerkschaften mucken nicht auf. Unternehmen wie Audi, die Tausende neue Jobs schaffen, werden hofiert. Die Dankbarkeit junger Menschen ist ihnen sicher. "Meine Freunde beneiden mich", strahlt Dafne Pantoja. Für den Ausbildungsplatz bei Audi verließ sie ihre 300 Kilometer entfernt gelegene Heimat. Dafnes Ziel: Ein Lehrabschluss als Mechatronikerin. Ihr Traum: Ein Q5, also das Auto, das Audi seit kurzem im brandneuen Werk San Jose Chipa im Bundesstaat Puebla produziert.

Der Gouverneur verlässt sein Rednerpult und setzt seine Rede über das lange Podium tänzelnd fort. Das ist der Tag von Rafael Moreno Valle. Um mit Audi den ersten Premium-Hersteller in seinen Bundesstaat zu locken ist er vor vier Jahren nach Wolfsburg und Ingolstadt gereist. Moreno beschleunigte die Genehmigungsverfahren, ließ eine neue Autobahn, "Audi-Highway" genannt, in das weitgehend unbesiedelte Hochland bauen, er sorgte für einen Gleisanschluss zum Hafen von Veracruz und gab den Startschuss für eine Retortenstadt, die einmal 100.000 Einwohner zählen soll. Moreno, der alerte Gouverneur, will Staatspräsident werden. Rupert Stadler, Vorstandschef von Audi, muss die Profitabilität seiner Marke im globalen Wettbewerb behaupten.

Denn Mexiko gilt als als El Dorado der Autoindustrie. So legte der koreanische Hersteller Kia kürzlich in Monterrey den Grundstein für ein Werk mit einer Kapazität von jährlich 300.000 Fahrzeugen, Ford will die Stückzahl der produzierten Focus auf 200.000 hochfahren. Auch die Edelmarken sind aktiv: BMW plant in San Louis Potosi jährlich bis zu 150.000 Dreier Limousinen zu bauen. Eine Milliarde US-Dollar investieren die Münchener in ihren vierten Standort in Nordamerika. Und Daimler will 2018 auf einer Plattform mit Nissan/Infinity 280.000 Kompaktwagen fertigen.

"Wann kommt denn hier was"? fragte Rupert Stadler Gouverneur Moreno, als er mit ihm vor vier Jahren mit dem Helikopter über die endlosen Felder und das Ödland von San Jose Chipa flog und "mitten im Nirgendwo" (Stadler) landete. Nach einer rekordreifen Bauzeit von dreieinhalb Jahren kann der Auto-Boss heute auf die weltweit modernste und mit 2.400 Metern höchst gelegene Autofabrik schauen - virtuell geplant, komplett ausgestattet mit Presswerk, Karosseriebau, Lackiererei und Montage sowie einem Flächenangebot, das eine Verdoppelung des Produktionsvolumens von jährlich 150.000 ermöglicht.

Zurück in das Trainingscenter, in dem Dafne Pantoja mit einer Dreikantfeile bestückt die ersten Schritte in ihr neues Leben in einem Automobilwerk studiert. 330 Teilnehmer, Männer und vor allem viele Frauen, erlernen in dem 20.000 Quadratmeter großen Unterrichtsräumen, Werkstätten und Labors die Grundfertigkeiten für Produktion und Qualitätssicherung. Schon im Vorjahr fanden mehr als 2.500 Kurse statt. Weil die heimische Ausbildung als theorielastig gilt, durchliefen 750 Mexikaner eine Schulung in Deutschland.

Einige von ihnen haben einen besonders verantwortungsvollen Platz gefunden. In einem 400 Quadratmeter großen Leitstand überwachen sie die Produktion des Q5 - voll vernetzt mit der Zentrale in Ingolstadt. Kleinste Abweichungen, auch in der Zulieferkette, könnten bildschirm-überwacht diagnostiziert und korrigiert werden.

230.000 Mexikaner hatten sich um einen der bisher 3.300 Arbeitsplätze bemüht. Das zeigt die Attraktivität der Autoindustrie. Die wiederum weiß das günstige Lohnniveau zu schätzen. Bei Audi verdient ein Arbeiter rund 800 Euro im Monat, in Ingolstadt zwischen 2.500 und 3.000 Euro. Der Jahresurlaub ist auf 15 Tage limitiert. "Wir können hier rund 300 Tage im Jahr arbeiten", schwärmt Audi-Chef Stadler. Lohnkostenvorteile und Zollfreiheit vor allem in die benachbarten USA ergeben den reizvollen Mix, der Mexiko als Autoland auf die Überholspur befördert hat. 2015 liefen 3,565 Millionen Fahrzeuge vom Band. 2020 sollen es bereits fünf Millionen sein.

Von dem rasanten Aufschwung profitiert auch die Zulieferindustrie. Zum Start des Q5 stammten bereits 70 Prozent aller Teile aus lokaler Produktion. Fachleute befürchten, dass die Zulieferer dem Expansionstempo nicht gewachsen sind. Audi hilft allerdings die Nähe zu Puebla und Synergie-Effekte mit Volkswagen, das dort bis 2003 den legendären Käfer baute. Wie sich die Zeiten geändert haben, macht dieser Vergleich deutlich: 1967, im ersten Produktionsjahr, schraubten 5.000 VW-Leute 17.000 Käfer zusammen. Audi genügen demnächst 4.200 Mitarbeiter, um jährlich 150.000 Q5 herzustellen.

Quelle: Freie Presse, freiepresse.de, 05.10.2016