China: "Grüner" Magnet – Nantong setzt auf saubere Industrien

In Shanghais "Speckgürtel" ist Nantong nach Taicang und Kunshan die Nummer drei. Nantongs Industrie benötigt gut ausgebildete Fachkräfte, weshalb es heute sechs Hochschulen und 30 Berufsbildungszentren gibt.

Spätestens seit der Fertigstellung der gewaltigen Su-Tong-Brücke über den Jangtse im Jahr 2008 hat die am nördlichen Ufer des chinesischen "Mutterflusses" und direkt an der Jangtse-Mündung ins Gelbe Meer gelegene Stadt zur Aufholjagd angesetzt. Vom chinesisch-österreichischen Ökopark, dessen Gründung 2011 vereinbart wurde, gehen zusätzliche Impulse aus.

Nantong im Südosten der Provinz Jiangsu will mit ihren "Schwestern" gleichziehen und in den kommenden Jahren für ausländische, insbesondere europäische Investoren noch attraktiver werden. Nach Taicang und Kunshan ist die Stadt die Nummer drei der kleineren Städte im unmittelbaren Speckgürtel der Metropole Shanghai. Knapp neun Prozent des Bruttosozialprodukts der Provinz Jiangsu werden in Nantong heute erzeugt.

Ohne Stau sind es mit dem Auto bis in die Sieben-Millionen-Stadt gut eineinhalb Stunden Fahrt vom Shanghaier Flughafen Hongqiao. Das freilich erst seitdem 2008 die acht Kilometer lange und 300 Meter breite Su-Tong-Autobahnbrücke über den Jangtse in Betrieb genommen wurde. Bei guter Sicht kann der Blick weit über den Jangtse schweifen, der hier an Breite gewinnt. Knapp 100 Kilometern östlich mündet der chinesische Mutterfluss ins Gelbe Meer.

Der Zugang zum Fluss und zum Meer, sowohl einen See- als auch einen Flusshafen zu haben, darin sehen die Nantonger einen entscheidenden Standortvorteil ihrer Stadt, von der aus in einem Radius von ein bis zwei Stunden Fahrt die wichtigsten industriellen Ballungszentren im Jangtsedelta erreicht werden können. Ein gut ausgebautes Straßen- und Autobahnnetz, dazu ein Flughafen – das alles erleichtert die Logistik aus Nantong. 2018 soll die Stadt dann auch an das Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen sein.

Industrie-Tradition

Das auf tausend Jahre Geschichte zurückblickende Nantong, das Anfang der 1980er-Jahre nach der Verkündung der Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings zu den ersten für ausländische Investoren geöffneten Städte gehörte, hat zudem eine lange industrielle Tradition.

Vor allem die Textilindustrie erlebte hier eine Blüte und die Bettwäsche-Marke Luolai, die in der gleichnamigen Nantonger Fabrik hergestellt wird, ist eigentlich das Produkt, das wohl jede chinesische Hausfrau mit der Stadt in Verbindung bringt. Metallverarbeitung und Chemieindustrie sind weitere Branchen, die die Nantonger Wirtschaft prägen.

Mit Stolz verweisen die Nantonger auch auf einen der bekanntesten Söhne ihrer Stadt, Zhang Jian. In den letzten Jahren der 1911 gestürzten Qing-Dynastie war er am Hof in Peking so etwas wie ein Wirtschaftsminister und die industrielle Entwicklung in seiner Heimatstadt soll ihm ganz besonders am Herzen gelegen haben.

Zhang Jian war gleichzeitig bewusst, dass moderne Produktion gut ausgebildete Fachkräfte benötigt, weshalb er sich für den Aufbau von Berufsbildungseinrichtungen starkgemacht hatte. Vor allem auch in Nantong, wo es heute sechs Hochschulen und 30 Berufsbildungszentren gibt.

Das honoriert auch Zeng Lei, Geschäftsführer der seit wenigen Monaten in der Stadt angesiedelten iSi Automotive (Nantong) Co., Ltd. Der österreichische Automobilzulieferer baut in Nantong eine Produktion und ein Entwicklungszentrum für Airbags auf. Zeng Lei sagt: "Hier gibt es gutes Personal, das in der Stadt ausgebildet wurde." Und Zheng Jinlong bekräftigt dies. "Wer in China von guter Bildung spricht, denkt an Jiangsu", sagt er, "und wer in Jiangsu von guter Bildung spricht, meint Nantong."

Zheng Jinlong ist stellvertretender Direktor des Verwaltungskomitees des Su-Tong Science & Technology Parks, der jüngsten Industriezone in der Stadt. Der mit einer Größe von 50 Quadratkilometern konzipierte und 2009 gegründete Industriepark ist ein gemeinsames Projekt der Stadt und des China-Singapore Suzhou Industrial Parks, der aus allen Nähten platzt und daher im benachbarten Nantong sozusagen erweitert wurde.

"Grüne" Hightech-Stadt

Von der Zukunft "seines" Industrieparks, der zu einem Fünftel bereits erschlossen ist, hat Zheng Jinlong eine klare Vorstellung: Eine Stadt in der Stadt soll es einmal werden, in der Arbeit und Leben eine Einheit bilden. Eine moderne, in die Zukunft weisende Stadt, in der für Hochtechnologie-Produktion ideale Voraussetzungen bestehen.

Dabei ist es Zheng Jinlong relativ egal, ob die Investitionen groß oder klein sind. Hightech-Produktion soll es aber sein, "denn die ist sauber", Hightech rund um den Schiffbau und die Textilindustrie, Herstellung intelligenter Maschinen und Anlagen, Produktion neuer Werkstoffe und die gesamte Bandbreite der erneuerbaren Energien nennt er als Beispiel. Unternehmen, die eher in "traditionellen" und "nicht so sauberen" Branchen aktiv sind, könnten sich ja in der nördlich angrenzenden Nantong Industrie-Entwicklungszone ansiedeln.

Ihm ist bewusst, dass innovative Unternehmen aus Europa zum großen Teil kleine und mittlere Firmen sind, die nicht das Potenzial für Milliarden-Investitionen haben. Unternehmen, die die strengen Umweltnormen im Park erfüllen, seien willkommen, sagt der Verwaltungsdirektor und betont, jedes Unternehmen werde gleich behandelt, egal, ob klein oder groß. "Im Wettbewerb mit anderen Standorten können wir uns nur so absetzen", meint Zheng Jinlong. Denn die Zeiten, dass einzelne Industrieparks besondere Steuervergünstigungen anbieten konnten und sich damit gegenseitig ausstachen, sind vorbei." »Bieten wir als Verwaltung guten Service, spricht sich das rum."

So sieht das auch Markus Hauer, Geschäftsführer der Stiwa (Nantong) Automation Machinery Production Co., Ltd., der ersten ausländischen Tochter der Stiwa Group aus dem zwischen Linz und Salzburg gelegenen Attnang-Puchheim. Anderthalb Millionen Euro hat das Unternehmen vor drei Jahren investiert. Gefolgt ist Stiwa seinen Kunden, vorwiegend aus der Auto-Zulieferindustrie, die in China produzieren.

In Nantong werden für diese Unternehmen Automatisierungslösungen für die Produktion entworfen und gebaut. Die Komponenten werden zum größten Teil lokal beschafft. Außerdem werden von Nantong aus die Anlagen gewartet, die aus dem Mutterhaus nach China geliefert werden. Markus Hauer, der die Stiwa-Tochter von Null aufgebaut hat, erinnert sich an die Standortsuche vor drei Jahren und sagt, in Shanghai sei er mit seinem Investitionsvolumen nur auf taube Ohren gestoßen.

Ganz anders sei es in Nantong gewesen, das er, was europäische Ansiedlungen betrifft, damals als ein "unbeschriebenes Blatt" empfand. "Da war noch mehr möglich, hier habe ich Flexibilität bei den Verantwortlichen gespürt, die mir ermöglicht haben, meine Ideen voll umzusetzen." Denn Stiwa ist mit dem Anspruch nach China gegangen, den Kunden dieselbe Qualität wie im österreichischen Mutterhaus zu bieten. Das bedeutete auch, dass die Produktionshallen den Normen entsprechen mussten. "Die Verwaltung des Parks hat sich dafür eingesetzt, dass ich diese Bedingungen bekam." Für Nantong sprach zudem, dass Markus Hauer "einen Puffer zu seinen Kunden" haben wollte. Shanghai, Wuxi, Changzhou, Suzhou – das sind vor allem die Orte, wo die Kunden produzieren und alle vier Städte sind von Nantong aus in maximal zwei Stunden zu erreichen.

Als "sehr österreichische, sehr lokale Firma" sei es für Stiwa ein "großer Schritt" gewesen, nach China zu gehen, sagt Markus Hauer. Er stellt aber gleichzeitig fest, dass dieser genau zur richtigen Zeit gegangen wurde, "denn Automatisierung und intelligente Produktion sind Kernziele des aktuellen chinesischen Fünfjahresprogramms für die wirtschaftliche Entwicklung". So hat er durchaus auch im Kopf, künftig für lokale Unternehmen Aufträge auszuführen. "Wir wollen das aber langsam, ressourcenschonend angehen, schauen, wie der Markt funktioniert." Immerhin ist sein Unternehmen in den vergangenen Jahren stark gewachsen: Knapp 40 Mitarbeiter beschäftigt Stiwa in China derzeit. In vier Jahren dürften es 100 sein, so der Manager.

So ähnlich sieht es auch Zeng Lei von iSi Automotive. Auch iSi ist dem Ruf seiner Kunden nach China gefolgt, internationalen Autobauern. Selbstverständlich sollen später auch lokale Autofirmen zu den Kunden gehören, so der Manager. "Das ist dann aber erst der nächste Schritt." Im April dieses Jahres hat das Unternehmen seine Business-Lizenz erhalten. Zunächst wird ein Entwicklungszentrum aufgebaut, um die Produkte an den chinesischen Markt anzupassen. In der zweiten Hälfte 2017 soll dann die Airbag-Produktion starten und 2022 soll das mit einer Größe von 3.300 Quadratmetern geplante Werk seine volle Kapazität erreichen: Airbags für 300.000 bis 400.000 Fahrzeuge im Jahr.

Klein-Österreich in Nantong

Dass sich Stiwa für Nantong entschieden hat, hat aber auch etwas mit dem Österreichisch-Chinesischen Ökopark zu tun, der vor zwei Jahren im Su-Tong-Park eingeweiht wurde. "Wir sind dabei, das österreichische Umfeld hier mitzugestalten", sagt Markus Hauer mit einem verschmitzten Lächeln.

Sein Unternehmen gehört wie iSi Automotive zu den acht österreichischen Firmen, die sich bisher in Nantong angesiedelt haben. Dass Stiwa wie iSi eigentlich keine Umweltunternehmen sind, ist für Zheng Jinlong kein Problem. Im Gegenteil: "Uns geht es nicht darum, nur Umweltunternehmen aus Österreich herzuholen, sondern österreichische Firmen, die für umweltfreundliche Produktion und die Anwendung moderner Umwelttechnologien beispielgebend sind." Damit unterscheidet sich der Nantonger Verwaltungschef von seinen Kollegen in Qingdao, die den dortigen Deutsch-Chinesischen Umweltpark als ein Cluster deutscher Hersteller von Umwelttechnologie sehen. Zumindest in den Anfangsjahren war dies der Fall.

Warum die drei deutschsprachigen Länder ihre Kräfte nicht bündeln und Deutschland, Österreich und die Schweiz jeweils eigene Ökoparks mit China aufbauen, bleibt ein Rätsel. Auch die Nantonger blieben eine Antwort auf die Frage schuldig. Ihr Ökopark geht auf eine Initiative des damaligen Staatspräsidenten Hu Jintao zurück, der 2011 bei seinem Österreich-Besuch den Vorschlag für den Park unterbreitete.

Zheng Jinlong glaubt sogar, dass dies der Startschuss für eine engere wirtschaftliche Verflechtung zwischen Österreich und China war. Von der Gründung des zehn Quadratkilometer großen Österreichisch-Chinesischen Ökoparks in Nantong profitiere zudem der Su-Tong-Park insgesamt, "denn Österreichs Umweltschutz-Verständnis gehört zu den fortschrittlichsten weltweit. Wir lernen davon und wollen deshalb noch mehr österreichische Unternehmen bei uns ansiedeln".

Noch blicken die Nantonger neidvoll nach Taicang, das längst zu einem "German Valley" geworden ist. Ehe Nantong zu "Klein-Österreich" wird, muss wohl noch viel Wasser den Jangtse hinabfließen. "Lebenswert ist die Stadt allemal", sagt Markus Hauer, der zwar gern auch mal ein Wochenende in Shanghai verbringt, sich aber schon ganz als Nantonger fühlt. "Hier habe ich alles, was ich zum Leben brauche."

Hinweis:

Dieser Beitrag ist erschienen in ChinaContact 10/2016.


Quelle: OWC-Verlag für Außenwirtschaft GmbH, owc.de, 12.10.2016