Fachkräftesuche in Polen wird schwieriger

Polen galt lange als Land der unbegrenzten Fachkräfte-Potenziale. Inzwischen hat allerdings laut Umfragen bereits ein Drittel der Unternehmer Rekrutierungsprobleme. Die Regierung will den Investitionsstandort Polen langfristig konkurrenzfähig halten und plant ein Aufbauprogramm für die Berufsbildung.

Experten raten deswegen, die Anforderungen anzupassen und die Möglichkeiten zur Fachkräfteanwerbung in Osteuropa zu nutzen.

In der neuesten Ausgabe des "Global Competitiveness Report" des Weltwirtschaftsforums verbesserte sich Polen um zwei Plätze auf Rang 41. Ausschlaggebend dafür waren der dynamische Ausbau der Infrastruktur und die gute Wirtschaftslage. Bei der Anzahl der Oberstufenschüler und Studenten schrammt Polen nur knapp an der Top 20 vorbei.

Die Qualität der Ausbildung in Polen landet dagegen nur im Mittelfeld der 140 untersuchten Länder. Noch schlechter schneidet das Land bei der Effizienz des Arbeitsmarktes ab: Platz 81 bedeutet ein historisches Tief.

Die befragten Unternehmer kritisieren vor allem mangelndes Vertrauen zwischen Arbeitgebern und -nehmern. Besonders gering bewertet wird die Fähigkeit der Wirtschaft, Talente anzuziehen (Platz 126) und zu halten (Platz 116).

Als Lichtblick steht dem eine große Elastizität der Lohngestaltung gegenüber (Platz 28). Trotz des mit höchsten Wirtschaftswachstums in der Europäischen Union (EU) sollten die Lohnkosten in Polen mit inflationsbereinigten etwa 4 Prozent jährlich in den nächsten drei Jahren nur moderat steigen. Allerdings werden im Wettbewerb um Talente immer mehr Zusatzleistungen eingesetzt, wie eine private Krankenversicherung, Abonnements für Fitnessclubs und Theater oder Umzugsboni und Pendelfahrdienste.

 

Fachkräftemangel in Schlüsselbranchen

 

Laut International Business Report der Consultingfirma Grant Thornton hatte im 2. Quartal 2015 bereits ein Drittel der mittelständischen und großen Unternehmen teils erhebliche Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Binnen drei Jahren hat sich dieser Wert vervierfacht. Betroffen waren vor allem der Gesundheitssektor, die Lebensmittelverarbeitung sowie die Energie- und Ökotechnik.

Laut der Personalberatung Manpower betreffen die Defizite ferner Personal in der Informationstechnologie (IT) und Ingenieure, Industrie- und Lagerarbeiter, Kraft- und Gabelstaplerfahrer sowie Handelsvertreter.

"Im Jahr 2015 vertieft sich der Fachkräftemangel in Schlüsselsektoren der Wirtschaft. Arbeitgeber müssen sich auf noch größere Herausforderungen bei der Suche nach Mitarbeitern einstellen. Die Rekrutierungsdauer wird sich verlängern, was höhere Kosten der Personalführung nach sich ziehen könnte", warnt Tomasz Hanczarek, Vorstandsvorsitzender der Personalberatung Work Service.

Im 2. Quartal 2015 verzeichnete die Personalberatung Randstad zudem die höchste Zahl von Arbeitsplatzwechseln seit der ersten Auflage ihrer Untersuchung "Arbeitsmarktmonitor" Mitte 2010. Über 27 Prozent der mehr als 800 online befragten Polen gaben einen Wechsel des Arbeitsplatzes zwischen April und Juni an.

Der EU-Durchschnittswert betrug im gleichen Zeitraum 20 Prozent, in Deutschland 21 Prozent. Der Wille zum Arbeitsplatzwechsel wächst seit Ende 2013. Knapp ein Siebtel der Befragten sucht aktiv nach einer neuen Stelle, weitere 20 Prozent stöbern zumindest in Jobanzeigen.

Um dem entgegenzuwirken, sollte vor allem die Anstellungssicherheit gefördert werden: Mitarbeiter auf Basis von befristeten oder Werksverträgen suchen zwei- bis viermal so häufig aktiv nach einer neuen Beschäftigung wie Festangestellte. Ferner gehören die Polen zu denjenigen, die eine Entlassung am meisten fürchten: Mit 34 Prozent ist ihr Anteil nahezu doppelt so hoch wie in Deutschland.

 

Unternehmen rekrutieren in Osteuropa

 

Mitte 2015 haben nur etwa 7 Prozent aller Unternehmen in Polen Ausländer eingestellt, aber 12 Prozent wollen dies binnen eines Jahres nachholen. Ein Fünftel der Befragten ist überzeugt, die Ukraine sei die beste Quelle, um den inländischen Fachkräftemangel auszugleichen. "Ukrainische Arbeitnehmer akklimatisieren sich sehr schnell in Polen, haben keine größeren Probleme mit der Sprache und arbeiten sehr effizient - ähnlich wie die Polen in Westeuropa", sagt Work-Service-Chef Hanczarek.

Laut offiziellen Statistiken betrafen drei Viertel der 411.000 von Januar bis Juni 2015 eingereichten Erklärungen über eine kurzfristige Anstellung von Ausländern Ukrainer, vor allem einfache Arbeiter. Überdurchschnittlich hoch waren die Zuwächse bei Industriearbeitern und Verkäufern. Die Anzahl der angefragten Maschinen- und Gerätebediener stieg sogar im Jahresvergleich um das Vierfache, doppelt so schnell wie die Gesamtzahl der Anträge.

Für deutsche Unternehmen, die in Polen einstellen wollen, könnte sich ein Blick hinter Polens Ostgrenze ebenfalls lohnen, auch wenn Personalberater bekräftigen, dass damit keine finanziellen Ersparnisse zu realisieren seien. "Wir haben sehr attraktive Vorschriften bezüglich des Einstellens von Arbeitskräften aus den Nachbarstaaten", ermuntert Przemyslaw Berendt vom IT-Dienstleister Luxoft, dessen 1.200 Personen große Belegschaft in Polen sich zu einem Drittel aus Ukrainern rekrutiert.

Deutsche Unternehmen sollten ferner ihre Anforderungen revidieren, vor allem bezüglich der Sprache. Zwar lernen etwa 25 Prozent aller Schüler in Polen Deutsch, 70 Prozent aber Englisch. Bei größeren Vorhaben ist zudem die Teilnahme an der dualen Ausbildung zu empfehlen. Bisher funktionierte das System nur begrenzt und auf individuelles Zutun der Firmen hin. Eine Hilfestellung bietet bereits die Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer.

Nun will die polnische Regierung eine Systemlösung schaffen. Die 14 Sonderwirtschaftszonen wurden beauftragt, auf ihrem Gebiet Investoren und Schulen zusammenzubringen.

Die Bildungsministerin Joanna Kluzik-Rostkowska versprach 900 Millionen Euro aus der neuen EU-Finanzperiode für den "Wiederaufbau des Berufsbildungssystems in Polen". Die Mittel sollen Schulen zugutekommen sowie für die praxisnahe Fortbildung der Lehrer, Praktikumszuzahlungen oder eine entsprechende Ausstattung der Betriebe ausgegeben werden.

Ihre Erfahrung könnten deutsche Unternehmen auch dazu nutzen, die frühe und somit flexible Form der dualen Ausbildung in Polen an ihre Bedürfnisse anzupassen.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, 07.10.2015