Japan: Herausforderung Demografie - Der Kampf um die besten Köpfe wird härter

In keinem anderen Land der Welt altert die Bevölkerung so schnell wie in Japan. In vielen Branchen droht ein akuter Fachkräftemangel. Das Personalmanagement deutscher Unternehmen in Japan stellt sich auf die Herausforderungen des demografischen Wandels ein.


In Japan hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Denn 2007 markierte das Jahr eins einer gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzung: Die Generation der Baby-Boomer – die Jahrgänge 1947 bis 1949 – hat das Rentenalter erreicht. Innerhalb von drei Jahren verlassen damit 6,8 Millionen Menschen den Arbeitsmarkt. Das sind rund zehn Prozent der gesamten arbeitenden Bevölkerung. Dieses Phänomen wird als das Jahr-2007-Problem (»Nisennananen-mondai«) beschrieben. Denn gleichzeitig kommen immer weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, die die entstandene Lücke füllen.

In Japan gibt es weniger Geburten als Sterbefälle – erstmals seit dem 2. Weltkrieg sinkt die Zahl der Einwohner. Schon jetzt ist die japanische Bevölkerung älter als jede andere der Welt. Und diese Entwicklung wird sich beschleunigen. Während bereits heute mehr als 20 Prozent aller Japaner über 65 Jahre alt sind, liegt der Anteil der Menschen unter 15 Jahre bei nur noch rund 13 Prozent. Offiziellen Prognosen zufolge wird die Bevölkerungsanzahl Japans von derzeit 127 Millionen bis zum Jahr 2025 auf 121 Millionen abnehmen und 2050 nur noch knapp 100 Millionen betragen.

Die Politik steht durch diese Entwicklung vor einer historischen Herausforderung. Das betrifft vor allem den Erhalt der Sozialsysteme. Immer weniger Einzahlern stehen immer mehr Leistungsempfänger gegenüber. Die ersten Reformen hat die Regierung in Tokio bereits auf den Weg gebracht: Das Renteneintrittsalter wird seit 2006 bis zum Jahr 2013 schrittweise von 60 auf 65 Jahre angehoben.

Der rasante demografische Wandel ist aber nicht nur ein volkswirtschaftliches Problem. Auch Unternehmen müssen sich rechtzeitig auf die einschneidenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt einstellen – vor allem auf einen Fachkräftemangel. »Die dringlichsten Probleme gibt es im Personalmanagement«, sagt Florian Kohlbacher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) in Tokio. »Arbeits- und produktionsintensive Branchen sind am stärksten betroffen. Hier bekommen Unternehmen vor allem zwei Probleme: einen Mangel an Arbeitskräften sowie Wissens- und Expertiseverlust.«

In vielen technischen Branchen fehlen schon heute Facharbeiter. Japan hat zu wenig Ingenieure. Gerade in diesen Bereichen muss sich die Wirtschaft schon heute auf den sich weiter verschärfenden Wettbewerb von morgen einstellen. Deutsche Unternehmen vor Ort setzen sich längst mit dem drohenden Mangel auseinander: »Der Kampf um die besten Mitarbeiter wird härter«, sagt Ralf Voegele, Personalchef bei Siemens Japan, »wir müssen der attraktivste Arbeitgeber sein, um die fähigsten Fachkräfte zu rekrutieren.« Siemens beschäftigt in den Sparten Healthcare, Industry und Energy in Japan insgesamt rund 2.500 Mitarbeiter. Und die langfristige Personalplanung beginnt bei der Unternehmensidentität und reicht bis zur Mitarbeiterführung. »Wir positionieren uns als Global Player«, sagt Voegele, »unsere Mitarbeiter werden in einen Konzern integriert, der ihnen weltweit große Chancen bietet. So gewährleisten wir, dass wir auch in Zeiten von Engpässen auf dem Arbeitsmarkt hochqualifizierten Nachwuchs an das Unternehmen binden.«

Wissenstransfer wird wichtiger

Personalmanagement in Zeiten eines demografischen Wandels fokussiert sich aber beileibe nicht nur darauf, die besten Universitätsabsolventen zu rekrutieren. Denn der Mangel an qualifiziertem Personal macht insbesondere auch ältere Mitarbeiter zu wichtigen Wissensträgern. Viele Unternehmen in Japan sind dazu übergegangen, erfahrene Angestellte nach dem Erreichen des Rentenalters wieder neu einzustellen – wenn auch zu veränderten Konditionen. Das hat Vorteile für beide Parteien: Der leistungswillige Mitarbeiter hat keinen abrupten Schritt ins Rentnerdasein. Und das Unternehmen kann wertvolles Know-how bewahren.

Altersgrenze anheben

Bosch ist in Japan in den Bereichen Automobilzuliefer-, Elektro- und Verpackungsindustrie tätig und mit 9.000 Angestellten der größte deutsche Arbeitgeber im Land. Bei Bosch gehen die Mitarbeiter mit 60 in Rente. Aber rund zehn Prozent der ausscheidenden Mitarbeiter entscheiden sich für ein erneutes Beschäftigungsverhältnis. Das Unternehmen erwägt derzeit eine Anhebung der Altersgrenze: »Wir wollen den Anteil der Wiedereinstellungen deutlich erhöhen«, sagt Stefan Stocker, Präsident bei Bosch Corporation.

Dass gerade erfahrene Arbeitskräfte zu unentbehrlichen Teilen der Belegschaft gehören, berührt einen Bereich, der in Japan derzeit stark diskutiert wird: Wissenstransfer – die generationenübergreifende Sicherung von organisations- und produktionsrelevantem Know-how in Unternehmen. Und hier nehmen erfahrene Mitarbeiter eine Schlüsselrolle ein. Zwar ist die Wissensbewahrung für alle Firmen mit komplexeren Fertigungsstrukturen grundsätzlich eine Kernaufgabe. Aber der drohende Mangel an Fachkräften stellt verschärfte Anforderungen.

»In den vergangenen Jahren haben in Japan viele größere Unternehmen so genannte Corporate Universities und technische Trainingszentren eingerichtet, um die Weitergabe der organisationalen Wissens- und Expertisebasis zu sichern«, sagt Kohlbacher. »Sie haben ihr Bewusstsein in diesem Bereich geschärft: Gefördert wird die Einführung systematischer Routinen und Prozesse und die Einbindung der Mitarbeiter sowie der regelmäßige Austausch von Wissen und Best Practices unter den Mitarbeitern, Teams und Abteilungen.«

Auch bei Siemens Japan ist Wissenstransfer ein wichtiges Thema, wenn auch nicht als unmittelbare Folge des demografischen Wandels. »Wissen vervielfältigt sich mit einer bisher ungekannten Geschwindigkeit, nie war der Wissensumschlag so hoch wie heute«, sagt Voegele. »Professionelles Kompetenzsharing und Plattformen, von denen sich Mitarbeiter jederzeit das benötigte Wissen holen können, gehören bei Siemens zu gängigen Instrumenten. Know-how muss soweit wie möglich auch außerhalb der ‚Köpfe der Mitarbeiter‘ verfügbar gemacht werden können. Und gerade dann, wenn einer Branche ein Fachkräftemangel droht, bekommt die Externalisierung von Wissen eine hohe Bedeutung.«

Skepsis bei Einwanderung

Die vielfältigen Herausforderungen des demografischen Wandels haben in Japan eine gesellschaftliche und politische Debatte losgetreten. Aber nachhaltige Lösungsansätze gibt es bisher kaum. »Die Anhebung der betrieblichen Altersgrenze und die Wiederanstellung nach dem Ruhestandsantritt sind zwar beliebte und wichtige Maßnahmen«, sagt Kohlbacher, »sie schieben die Probleme aber nur auf, anstatt sie dauerhaft zu lösen«. Immerhin ist eine Diskussion darüber entstanden, Engpässe auf dem Arbeitsmarkt durch mehr Immigration zu überwinden.

Allerdings tut sich Japan mit dem Thema Einwanderung seit je her schwer: Die Insellage, eine lange historische Isolationsphase und kulturelle Differenzen zu den Nachbarn begründen eine traditionelle Skepsis gegenüber einer Öffnung. Nicht zuletzt deshalb ist der Anteil der Ausländer auf dem japanischen Arbeitsmarkt weitaus geringer als in anderen Industriestaaten. Dennoch könnte bei diesem emotional besetzten Thema der Pragmatismus gegenüber den ideologischen Vorbehalten bald die Oberhand gewinnen: »Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden diese Debatte weiter vorantreiben«, sagt Kohlbacher, denn »mittelfristig kann sich das Land einer weiteren Öffnung nicht verschließen«.

Quelle: Ein Bericht von Frank Malerius im aktuellen Japan-Special "JapanContact 04/2008" des OWC Verlag für Außenwirtschaft GmbH, www.owc.de