Weitreichende Arbeitsmarktreformen in Ägypten dringend erforderlich

Die anhaltende Beschäftigungskrise in Ägypten sorgt nach wie vor für sozialen Sprengstoff. Die vordringlichsten Probleme der Arbeitslosigkeit in Ägypten liegen, neben der sehr geringen Beschäftigungsquote junger Menschen, in den nicht nachgefragten Qualifikationen der Arbeitssuchenden sowie einer hohen Diskrepanz in der Erwerbslosenquote zwischen Männern und Frauen.

Das Wirtschaftswachstum reicht bisher nicht für eine positive Veränderung auf dem Arbeitsmarkt aus und notwendige strukturelle Arbeitsmarktreformen werden nicht umgesetzt. Neben geringen Löhnen sorgen schlechte Arbeitsbedingungen zusätzlich für Streikpotenzial, wobei die Unternehmen der öffentlichen Hand gegenüber dem privaten Sektor noch Vorteile aufweisen.

Die Beschäftigungskrise in Nordafrika war ein Auslöser für den Arabischen Frühling. In Ägypten sind 70 Prozent der Arbeitslosen zwischen 15 und 29 Jahren alt. Es besteht ein jährlicher Bedarf von rund 850.000 Stellen, nur um die neuen Arbeitssuchenden aufzunehmen. Der Weltbank zufolge wirkt sich wirtschaftliches Wachstum in Ägypten kaum auf die Anzahl der Arbeitsplätze aus, sondern auf die Qualität der Jobs.

Die Schätzungen der EIU zur Entwicklung der offiziellen Arbeitslosenquote spiegeln für die nächsten Jahre auch keinen Durchbruch bei den beschäftigungsgenerierenden Maßnahmen, im Gegenteil: 2014 wird die Quote auf 15,6 Prozent (2013: 13,2 Prozent) geschätzt und 2015 auf 15,3 Prozent (2016: 14,9 Prozent). Diese Zahlen geben aber die prekäre Lage auf dem Arbeitsmarkt ohnehin nur unvollständig wieder.

Die vordringlichsten Probleme der Arbeitslosigkeit in Ägypten liegen, neben der sehr geringen Beschäftigungsquote junger Menschen, in den nicht nachgefragten Qualifikationen der Arbeitssuchenden sowie einer hohen Diskrepanz in der Erwerbslosenquote zwischen Männern und Frauen; ein häufig vorkommendes Phänomen in den Ländern der MENA-Region (MENA: Middle East and North Africa). Frauen sind in Ägypten abhängiger vom öffentlichen Sektor und nur wenige überhaupt im offiziellen privaten Sektor beschäftigt.

In Ägypten kommt es immer wieder zu Arbeiterstreiks, obwohl ein rigoroses Demonstrationsgesetz dafür gesorgt hat, dass die Zahl von politisch motivierten Protesten und Arbeitskämpfen im Verlauf des Jahres 2014 zurückgegangen ist.

Die meisten Proteste beziehen sich auf die Forderung nach Lohnerhöhungen und der Begleichung ausbleibender Zahlungen. Im Februar 2014 gab es zum Beispiel eine Streikwelle unter den Textilarbeitern. Zehntausende streikten in Malhalla und Textilarbeiter in 16 weiteren Textilfirmen waren, nach ägyptischen Medienberichten, ebenfalls in den Streik getreten.

Im Jahr 2013 fanden insgesamt 2.239 Arbeiterproteste statt, wovon 82 Prozent im öffentlichen Sektor (Verwaltung und staatliche Unternehmen) stattfanden und 13 Prozent im privaten Sektor. Die hohen Arbeiterproteste im öffentlichen Bereich, der noch bessere Arbeitsbedingungen als der private Sektor aufweist, führt das ägyptische Zentrum für ökonomische Studien (ECES) auf die bessere Organisation durch Gewerkschaften zurück.

 

Jung, gut ausgebildet, arbeitslos

 

Die offizielle Arbeitslosenrate ist nach Angabe des nationalen Statistikamtes, der Central Agency for Public Mobilization and Statistics (CAPMAS) zwischen 2010 und 2013 von 9,2 auf 13,4 Prozent gestiegen. Im 3. Quartal 2014 belief sich die Arbeitslosenquote auf 13,1 Prozent und sank damit um 0,2 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Quartal. Die Anzahl der Arbeitslosen belief sich im 3. Quartal 2014 auf 3,6 Millionen Personen. Für sozialen Sprengstoff sorgt die Tatsache, dass die junge Bevölkerung zu rund 50 Prozent in Armut lebt beziehungsweise an der Armutsgrenze.

In der Altersgruppe der 15 - 29-Jährigen betrug die Arbeitslosenquote nach Angaben von Capmas (Central Agency for Public Mobilization and Statistics) vom 2. Quartal 2014 27,7 Prozent (2012: 27,7 Prozent). In der Altersgruppe zwischen 30 und 49 Jahren sinkt die Arbeitslosenquote deutlich mit 6,3 Prozent (2012).

Auffallend ist nach wie vor der hohe Bildungsgrad der Arbeitslosen. Rund 70 Prozent haben das "Intermediate Level Education" (ILE; 41,7 Prozent) erreicht oder Universitäts-, beziehungsweise höhere akademische Abschlüsse (28,3 Prozent).

Die schwere Vermittelbarkeit von Jobsuchenden trifft auch auf den nichtakademischen Arbeitsmarkt (Blue Collar) zu. Beratungs- und Vermittlungsstrukturen, die junge Leute beim Übergang von der Schule oder aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung unterstützen decken den Bedarf bei Weitem nicht ab.

 

Erhebliche Lohnunterschiede

 

Der öffentliche Sektor (Verwaltung und Unternehmen) weist erhebliche Unterschiede bei den Löhnen im Vergleich zur Privatwirtschaft auf. Die durchschnittlichen wöchentlichen Löhne stiegen in 2013 nach CAPMAS-Angaben um 18,7 Prozent auf 761 ägyptische Pfund gegenüber dem Vorjahr. Dies ist vor allem auf eine Anhebung der Löhne im öffentlichen Sektor um 14 Prozent (964 ägyptische Pfund) zurückzuführen.

Im September 2013 wurde der Mindestlohn für den öffentlichen Sektor auf 1.200 ägyptische Pfund festgelegt, wovon die 5,8 Millionen Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor (Verwaltung und Unternehmen) profitieren. Arbeiter, die im privaten Sektor in Firmen mit zehn und mehr Beschäftigten arbeiten, erhielten in 2013 eine Lohnerhöhung von 11 Prozent und erreichten ein Durchschnittsgehalt von 439 ägyptische Pfund.

Der ägyptische Finanzminister sprach laut Pressemeldungen über eine Erhöhung der Ausgaben für Löhne im Fiskaljahr 2014/15 um 13 Prozent auf 209 Milliarden ägyptische Pfund (rund 29,2 Milliarden US-Dollar). Die Lohn- und Gehaltsstruktur ist in Ägypten wenig transparent und obliegt eher individuellen Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, in deren Ergebnis große Gehaltsunterschiede zustande kommen können.

Nach Aussage des Direktors des ILO-Büros (ILO: Internationale Arbeitsorganisation) Nordafrika, ist die Gehaltsskala bis zu 80 Prozent variabel und nur zu 20 Prozent fix. Nach dem fixen Gehalt werden aber die Benefits und Pensionen berechnet.

Die durchschnittlichen Monatslöhne in den Regionen liegen zwischen 33 und 20 Prozent unter den Gehältern der Großstädte und erreichten Mitte 2013 zwischen 1.604 und 3.044 ägyptische Pfund.

 

Rechtliche Grundlagen des Arbeitsrechts in Ägypten

 

Das ägyptische Arbeitsrecht konzentriert sich überwiegend in einer Kodifizierung. Das Gesetz Nummer 12/2003 (qānun al ʿamal - Labour Law: ArbG) regelt die Materien, die im deutschen Arbeitsrecht teilweise über das Arbeitszeitgesetz, das Bundesurlaubsgesetz, das Kündigungsschutzgesetz oder das Betriebsverfassungsgesetz festgeschrieben sind.

Es enthält Vorschriften zu den gegenseitigen Rechten und Pflichten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Individualarbeitsrecht) sowie Vorschriften über die Aufgaben und Befugnisse der Tarifparteien, die Rechtsförmigkeit und Wirkung von Tarifverträgen und die Zulässigkeit von Streiks (kollektives Arbeitsrecht).

Allgemeine Regeln über den Arbeitsvertrag enthält das ägyptische Zivilgesetzbuch (Gesetz Nummer 131/1948 - qānun al madani - ZGB). Die Artikel 674 bis 698 ZGB geben vor, aus welchen Elementen ein Arbeitsvertrag besteht, welche Wirkungen er hat, wann er endet oder bis wann dessen Parteien Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag einklagen können. Dabei gibt es Überschneidungen mit den Regelungen des ArbG, die denen des ZGB vorgehen, wenn sie sich widersprechen (Artikel 675 Absatz 1 ZGB). Die Vorschriften des ZGB über den Arbeitsvertrag haben insofern Auffangcharakter.

Ähnlich wie in Deutschland sind die Vorschriften des Arbeitsrechts Schutzgesetze zugunsten der Arbeitnehmer. Daraus folgt für die Vertragsgestaltung, dass sie überwiegend zwingender Natur sind und die Parteien nur zugunsten des Arbeitnehmers hiervon abweichen dürfen.

Artikel 5 ArbG stellt den Grundsatz auf, dass alle Vereinbarungen nichtig sind, wenn sie zu Ungunsten des Arbeitnehmers von den Vorschriften des ArbG abweichen. So erklärt Artikel 154 Absatz 2 ArbG bei divergierenden Klauseln eines Individualvertrags und eines Tarifvertrags diejenige für wirksam, die für den Arbeitnehmer günstiger ist.

Arbeitnehmer ist nach den Legaldefinitionen des Artikel 1 (A) ArbG und des Artikel 674 ZGB jede natürliche Person, die gegen ein Entgelt Dienste für einen Arbeitgeber erbringt und dessen Weisungen untersteht.

Für einen Arbeitsvertrag verlangt Artikel 32 ArbG die Schriftform; er muss, unabhängig von der Nationalität des Arbeitnehmers, in arabischer Sprache verfasst und dreifach ausgefertigt sein - jeweils ein Exemplar für den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer und die zuständige Sozialversicherungsstelle.

 

Hinweis

 

Der Artikel wurde stark gekürzt. Die Vollversion bietet Ihnen zusätzliche Informationen zu Lohn- und Beschäftigungsentwicklung, Bevölkerungsstruktur, Personalsuche und gesetzlichen Regelungen wie Mindestlohn und Sozialbeiträgen. Die Publikation "Lohn- und Lohnnebenkosten - Ägypten" steht Ihnen nach einer kurzen Registrierung kostenlos zum Herunterladen auf der Internetseite von Germany Trade & Invest GTAI bereit.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, Die GTAI Online-News, 23.03.2015