Polens Arbeitsmarkt droht Fachkräftemangel

Polnische Hochschulabsolventen gelten als bestens qualifiziert. Defizite gibt es jedoch bei der Berufsausbildung.

Ausländische Investoren bescheinigen Polen das beste Fachkräfteangebot in Mittelosteuropa. Im europäischen Vergleich bietet Polen mit die meisten jungen Akademiker.

Gleichzeitig hält die Berufsbildung kaum Schritt mit den Anforderungen des dynamischen Arbeitsmarktes. Die Regierung geht das Problem nur zögernd an, weshalb sich viele deutsche Firmen selbst helfen. Ein nötiger Schritt, sehen Prognosen doch zunehmend Engpässe auf dem Arbeitsmarkt.

Polen hat das breiteste Personalaufgebot unter allen mittelosteuropäischen Ländern. Dies glauben die Teilnehmer der alljährlichen Konjunkturumfrage der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) aus der Region. Vor allem polnische Hochschulabsolventen stechen im Vergleich mit den Nachbarn hervor: Fast 60 Prozent der Befragten bescheinigten ihrer Ausbildung überdurchschnittliche Qualität. Nur 17 Prozent gaben 2014 Schwierigkeiten bei der Mitarbeiterrekrutierung an der Weichsel an. Insgesamt beurteilen 70 Prozent der Befragten die Qualifikationen der polnischen Mitarbeiter als mindestens gut, womit Polen nur Slowenien den Vortritt lassen muss.

Woran es eindeutig hapert, ist weiterhin die Qualität der Berufsbildung: Polen erreicht laut der Umfrage in diesem Punkt nur regionales Mittelmaß.

"Ende der 1990er Jahre sollte eine Bildungsreform so vielen jungen Polen wie möglich den Weg zum Hochschulabschluss ermöglichen. Die Berufsausbildung wurde marginalisiert, das Image der Berufsschulen nachhaltig beschädigt. Viele Schulen wurden geschlossen, viele Berufslehrer mussten einen anderen Berufsweg finden. Obwohl sich dieses Bild wandelt, fehlt es an gut ausbildeten Berufslehrern, an moderner Schulinfrastruktur und an praktischen Lehrprogrammen", bestätigt Maria Montowska, Mitglied der Geschäftsführung der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen) und dort zuständig für Berufsbildungsprojekte.

 

Die Nachfrage steigt, die Basis schrumpft

 

Dabei wird die Verfügbarkeit der sogenannten Blue-Collar-Worker zunehmend zum Problem. Laut Jacek Mecina, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales, könnte 2014 den Beginn eines stetigen Wachstums der Beschäftigtenzahl markieren.

Nach Prognosen des Forschungsinstituts für Marktwirtschaft (Instytut Badan nad Gospodarka Rynkowa) wird die Arbeitslosenquote binnen der nächsten zwei Jahre um knapp 2 Prozentpunkte abnehmen. Auch die Rekrutierungsberater der Manpower Group stellten bei einer Umfrage unter mehr als 750 Unternehmen fest, dass doppelt so viele Firmen Einstellungen wie Entlassungen planen.

Vor allem in den Bereichen Transport, Logistik und Telekommunikation sowie der verarbeitenden Industrie werden demnach Rekrutierungsprojekte in Angriff genommen. Langfristig wird dagegen in erster Linie die Nachfrage nach Spezialisten für Verwaltung, Verkauf und Marketing sowie für Finanzen steigen.

Dies geht aus der neuesten Prognose des Instituts für Arbeit und Soziales (Instytut Pracy i Spraw Socjalnych) hervor. In beiden Gruppen könnte der Bedarf von 2012 bis 2020 um über 40 Prozent wachsen. Diese Nachfrage sollte allerdings leicht zu bedienen sein, da vor allem bei Studenten die entsprechenden Fächer hoch im Kurs stehen.

Zuspitzen dürfte sich hingegen der Kampf um Kandidaten aus dem IKT-Bereich (IKT: Informations- und Kommunikationstechnologie). Alleine in der Hauptstadtregion Masowien wird der Bedarf an Programmierern sowie Netzwerk- und Datenbankenspezialisten bis 2020 um über 62 Prozent zunehmen. Bei leitenden Angestellten für IKT wird der Anstieg polenweit 22 Prozent betragen, bei Technikern immerhin noch 9 Prozent. Stetig wachsen soll auch der Bedarf an Kraftfahrern: In acht Jahren werden hier fast 520.000 Menschen eine Anstellung finden, 10 Prozent mehr als derzeit.

Insgesamt wird sich die Beschäftigtenzahl in Polen laut IPiSS nur marginal verändern. Allerdings könnte die demografische Entwicklung die Mitarbeitersuche erheblich erschweren. Nach vorläufiger Schätzung gab es 2013 zum zweiten Mal in Folge mehr Todesfälle als Geburten.

Prognosen des Statistischen Hauptamtes gehen davon aus, dass bis 2020 mehr Polen den Arbeitsmarkt verlassen als neu hinzukommen. Auch bei der Migration ist eine Umkehr des negativen Trends mittelfristig unwahrscheinlich. Insgesamt könnte die Anzahl der Arbeitswilligen bis 2020 um etwa 1 Million abnehmen.

 

Bildung folgt zunehmend Arbeitsmarkttrends

 

Optimistischer stimmt der Blick auf die Bildungsstruktur. Polen weist mit den höchsten Studentenanteil in der Europäischen Union (EU) auf - etwa die Hälfte der 19- bis 24jährigen ist an einer Hochschule eingeschrieben. Die Fächervorlieben wichen allerdings lange von den Marktbedürfnissen ab. Humanistische Studiengänge wie Pädagogik, Psychologie oder Soziologie gehörten zu den beliebtesten.

Die Lage ändert sich aber zunehmend. Obwohl die Anzahl der Studienbewerber demographiebedingt sinkt - alleine 2012/13 um über 13 Prozent auf knapp 477.000 - steigt die Anwärterzahl bei den allgemein als zukunftsfest geltenden Fakultäten. Seit dem Studienjahr 2007/08 hat sich das Interesse an Automatik und Robotik, Maschinenbau sowie Umwelttechnologien in etwa verdoppelt. Für Computerwissenschaften stieg die Anzahl der Bewerbungen um mehr als zwei Drittel.

Der Drang zur höheren Bildung hat allerdings aus unternehmerischer Sicht einen großen Nachteil: Berufsschulen und Technika können nur etwa ein Drittel der Gymnasiasten für sich gewinnen. So besuchten im Schuljahr 2012/13 nur etwa 750.000 Schüler diese beiden Schultypen, vor 20 Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele.

Viele deutsche Investoren übernehmen daher die Initiative und kooperieren mit polnischen Schulen, um auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Ausbildungsgänge anzubieten. Die Ergebnisse sprechen für sich.

"Von unseren Mitarbeitern erwarten wir ein fundiertes Fachwissen, die Bereitschaft, es zu vertiefen, sowie bestimmte Soft Skills wie Teamarbeits- und Kommunikationsfähigkeiten. Schüler unseres Berufsbildungskurses werden genau unter diesen Aspekten vorbereitet", unterstreicht Anna Kowalska, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der MAN Truck & Bus Polska Sp. z o.o..

Allerdings ist der Aufbau einer Patronatsklasse nicht ganz einfach, die Schulen müssen teils überzeugt werden. Auch bedarf die Anpassung der polnischen Lehrpläne an das deutsche duale System etwas Übung. Unternehmen werden jedoch nicht alleine gelassen. Hilfe können sie unter anderem bei der AHK Polen suchen, die bereits mit Unternehmen und Schulen im Bereich der Berufsbildung kooperiert.

"Wir verfügen über bewährte Auswahlkriterien für Partnereinrichtungen und entsprechende Modelle für die tägliche Zusammenarbeit. Als Mitglied des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) kann die AHK Polen zudem nach deutschen Normen zertifizieren, womit die Schüler einen EU-weit anerkannten Kompetenznachweis erlangen", unterstreicht Maria Montowska. Die AHK Polen hat ein speziell den Berufsbildungsfragen gewidmetes Internetportal (Verknüpfung siehe Linksammlung unter Markt Polen) eingerichtet.

Die Verfügbarkeit von Fachkräften als wichtiger Standortfaktor hat auch das polnische Wirtschaftsministerium erkannt. Die 14 bestehenden Sonderwirtschaftszonen (SWZ) wurden deswegen verpflichtet, Kooperationen zwischen Investoren und Bildungseinrichtungen zu unterstützen sowie langfristig eigene Bildungszentren aufzubauen oder bestehende mit der Durchführung von Bildungsprojekten zu beauftragen.

Den ersten Schritt wagte im April 2014 die SWZ Starachowice, die einen Vertrag mit dem Zentrum für Praktische Bildung abgeschlossen hat. Demnach sollen Berufsbildungskurse und Schulungen nach dem aktuellen Bedarf der Wirtschaft organisiert werden. Solche Initiativen sind allerdings eher kurzfristiges Hilfsmittel als dauerhafte Lösung.


Quelle: Germany Trade and Invest GTAI, 22.05.2014