Russland: Arbeitsmarkt nicht nur in Moskau leer gefegt

Der zunehmende Mangel an Arbeitskräften wird von Unternehmen in Russland als immer größeres Wachstumshemmnis gesehen. Vor allem in Moskau ist ein wahrer Kampf um neue Mitarbeiter entbrannt. Die Suche nach Fachkräften und deren Bindung an die Firma werden immer schwieriger.


Das knappe Angebot an Arbeitskräften lässt die Löhne und Gehälter jährlich um real mehr als 10 Prozent steigen. Mit diesem Wachstumstempo kann die Arbeitsproduktivität in Russland nicht mithalten. Sie hat in den letzten Jahren nur um jeweils 5 bis 6 Prozent zugelegt.

Die Situation auf dem russischen Arbeitsmarkt spitzt sich zu. Ende April 2008 gab es laut Föderalem Beschäftigungsdienst fast 1,4 Millionen unbesetzter Stellen, über 200.000 mehr als noch ein Jahr zuvor. Besonders stark ist der Mangel in Sibirien und in Südrussland.

Absolut gesehen ist der Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften in Moskau mit über 170.000 am größten. Nach Untersuchungen des Webportals Headhunter.ru werden in der Hauptstadt vor allem Buchhalter, Programmierer, Verkaufs- und Office-Manager sowie Kundenbetreuer gesucht.

In Moskau herrscht mit einer Erwerbslosenquote von unter 1 Prozent (nach ILO-Definition) Vollbeschäftigung. Das starke Wirtschaftswachstum hat den Arbeitsmarkt aber auch in anderen Regionen leer gefegt. Im Moskauer Oblast (2,0 Prozent) und in Sankt Petersburg (2,4 Prozent) lag die Arbeitslosigkeit im Frühjahr 2008 ebenfalls auf einem sehr niedrigen Niveau.

Nachteilig auf den Beschäftigungsmarkt wirkt sich die geringe Mobilität der russischen Arbeitnehmer aus, die vor allem mit der schwierigen Suche nach Wohnraum an neuen Standorten zusammenhängt.

Das Bildungsniveau der russischen Arbeitnehmer ist in der Regel sehr gut und als Folge der Schwerpunktsetzung während der Sowjetzeit immer noch stark auf technische Qualifikationen konzentriert. Die Dichte an Hochschulen und Universitäten über die gesamte Landesfläche (zumindest in den Regionalhauptstädten) erleichtert russlandweit die Suche nach gut ausgebildeten Absolventen.

Deutsche Unternehmen kritisieren zu theoretische Ausbildung

Allerdings bemängeln deutsche Unternehmen im Land immer wieder die zu theoretische Ausbildung in Russland. Da ein duales Ausbildungssystem fehlt, sind gute Handwerker und technisches Personal mit Praxiserfahrung schwer zu finden. Auch die Verbreitung von Fremdsprachen bleibt noch hinter den jungen EU-Staaten in Mittelosteuropa zurück.

Die Löhne und Gehälter in Russland steigen derzeit laut offiziellen Angaben jährlich nominal (auf Rubelbasis) um rund ein Viertel. Real beträgt das Plus immer noch über 10 Prozent. Im Mai 2008 lag das statistische Durchschnittsgehalt in Russland bei 17.000 Rubel (rund 460 Euro). Dabei muss berücksichtigt werden, dass in der Praxis meist höhere Löhne und Gehälter erwartet und auch bezahlt werden.

Ein Grund für die Diskrepanz zwischen den Statistikdaten und der Realität ist die immer noch weit verbreitete Praxis, das Gehalt oder Teile davon "im Briefumschlag" und damit an den Steuerbehörden vorbei auszuzahlen ("schwarzes Gehalt").

Das Lohngefälle zwischen den Regionen in Russland ist immer noch stark ausgeprägt. Das betrifft sowohl die Relation Stadt/Land als auch die Unterschiede zwischen den rohstoffreichen Regionen im unwirtlichen Norden und den agrarisch geprägten Gebieten im Süden.

Während in der Hauptstadt Moskau das statistische Durchschnittsgehalt inzwischen bei rund 800 Euro pro Monat liegt, kommen Arbeitnehmer im knapp 500 Kilometer entfernten Tambow lediglich auf ein Viertel dieser Summe. In Sankt Petersburg liegen die Gehälter in etwa bei 75 Prozent der Moskauer Werte. Allerdings sind die Wachstumsraten bei den Gehältern in der Provinz höher als in den Großstädten.

Interessant für potenzielle Investoren sind einige Regionen im europäischen Zentralrussland. Sie bieten trotz ihrer Nähe zum Zentrum Moskaus noch sehr niedrige Lohnkosten bei gleichzeitig guter Verfügbarkeit an Arbeitskräften. In Gebieten wie Tambow oder Brjansk verdienen einfache Fabrikarbeiter selten mehr als 300 Euro pro Monat.

Dagegen macht sich in Regionen, wo bereits viele ausländische Investoren aktiv sind, ein starker Fachkräftemängel bemerkbar. Erste Anzeichen dafür sind unter anderem in Kaluga zu erkennen, wo sich mit Volkswagen, Volvo und Peugeot mehrere Fahrzeugbauer ansiedeln und Tausende Arbeitsplätze schaffen.

Ausländische Unternehmen zahlen in der Regel weitaus höhere Löhne und Gehälter als russische Arbeitgeber. Üblich sind Aufschläge von 50 bis 100 Prozent auf die Durchschnittslöhne, die Rosstat veröffentlicht.

Westliche Firmen müssen immer mehr Anstrengungen unternehmen, um beim Wettstreit um die klügsten Köpfe mithalten zu können. Flache Hierarchien, Ansporn zu selbständiger Arbeit und die Förderung des Teamgedankens können sie gegenüber russischen Großunternehmen in die Waagschale werfen.

Hinzu kommen sollten erfolgsabhängige Gehaltsbestandteile und freiwillige Leistungen des Arbeitgebers wie Weiterbildungsmaßnahmen oder befristete Auslandseinsätze bei der Muttergesellschaft in Deutschland. Zusatzleistungen, die Arbeitnehmer an die Firma binden, werden generell immer wichtiger.

Beliebt bei leitenden Angestellten sind Sozialpakete wie eine private Kranken- oder Unfallversicherung. Gerade in Fabriken sind Zuschüsse zur Kantine oder kostenlose Mahlzeiten weit verbreitet. Das gilt auch für andere Sozialleistungen wie Betriebskindergärten, die sich viele russische Unternehmen noch leisten.

Wie die Gehaltsumfrage 2007/2008 der Auslandshandelskammer AHK Moskau und Kienbaum ergeben hat, bekommen 67 Prozent der Geschäftsführer und 35 Prozent der Führungskräfte deutscher Firmen in Russland einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt. Fast ein Drittel aller Unternehmen finanzieren eine freiwillige Unfallversicherung. Mindestens jeder vierte deutsche Arbeitgeber bezahlt Essensbons.

Ein wichtiger Anreiz zur Mitarbeitermotivation und -bindung ist zudem die variable Vergütung. Laut AHK-Kienbaum-Studie bekommen über zwei Drittel der Fach- und Führungskräfte deutscher Unternehmen in Russland eine Erfolgsbeteiligung. Sie beträgt bei Geschäftsführern im Durchschnitt 32 Prozent und bei Führungskräften 28 Prozent der Gesamtbezüge.


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von Gerit Schulze 


Quelle: bfai Online-News, Nummer 18 vom 30.09.2008