"Die Internationalisierung des deutschen Bildungssystems macht gute Fortschritte"

Das stark praxisorientierte deutsche duale System gilt als positives Beispiel einer an den Bedürfnissen der Wirtschaft ausgerichteten Berufsausbildung. Im Gespräch mit dem Souq spricht Professor Dr. Reinhold Weiß, Ständiger Vertreter des Präsidenten und Forschungsdirektor des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn, über die Besonderheiten der deutschen Berufsausbildung und die arabisch-deutsche Kooperation im Bildungssektor.

 

Souq: Herr Professor Weiß, wie wichtig sind leistungsfähige Berufsbildungssysteme für die Entwicklung der Wirtschaft?

 

Weiß: Vor dem Hintergrund globaler Märkte und zunehmend wissensbasierter Gesellschaften wandeln sich die Anforderungen an die berufliche Qualifikation der Beschäftigten ständig. Gefragt sind solides fachliches Wissen, der selbstverständliche Umgang mit modernen Technologien, gute Teamwork-Fähigkeiten und eine hohe berufliche Handlungskompetenz. Nur eine qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter kann die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen langfristig garantieren. OECD-Studien zufolge gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau und Wohlstand sowie der Wachstumsdynamik eines Landes.

 

Souq: Welche Besonderheiten hat das deutsche Berufsbildungssystem im internationalen Vergleich?

 

Weiß: Das deutsche System der Berufsbildung ist weltweit einzigartig. Vorzüge sind die enge Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft sowie die starke Stellung der Sozialpartner und Kammerorganisationen in der Berufsbildungspolitik. Weiterhin lernen die jungen Erwachsenen im realen Arbeitsprozess, verbunden mit der engen Koppelung von theoriegeleitetem Lernen in der Berufsschule und praxisorientierter Ausbildung im Unternehmen. Es gibt eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz einheitlicher Regelungen für die Berufsbildung und die darin geltenden Standards. Die Qualität des Ausbildungspersonals in Betrieben und Berufsschulen sowie die institutionalisierte Berufsbildungsforschung sind weitere Besonderheiten. Das "Matching" zwischen den Anforderungen des Beschäftigungssystems und der beruflichen Bildung gelingt viel besser als in Systemen mit beruflichen Vollzeitschulen oder einer hohen Akademisierung.

 

Souq: Wie kann die Internationalisierung des deutschen Bildungssystems gefördert werden?

 

Weiß: Die Internationalisierung des deutschen Bildungssystems hat gute Fortschritte gemacht. Viele Schüler nehmen die Möglichkeit wahr und gehen als Austauschschüler an eine Schule im Ausland. Der Fremdsprachenunterricht ist ein wichtiger Bestandteil des Curriculums, und viele junge Menschen kommen aus anderen Ländern zum Studium nach Deutschland. Auch in der Berufsausbildung ist viel getan worden, um interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln. Allerdings müssen wir feststellen, dass Austauschprogramme mit arabischen Ländern noch ausbaufähig sind.

 

Souq: Das deutsche System der dualen Berufsausbildung gilt als vorbildlich. Lässt es sich einfach auf die arabischen Länder übertragen?

 

Weiß: Ein historisch gewachsenes System der beruflichen Aus- und Weiterbildung lässt sich nicht 1:1 auf ein anderes Bildungssystem übertragen. Es ist aber sehr wohl möglich, Elemente dieses Systems zu übertragen. Dies gilt beispielsweise für die enge Einbindung des privaten Sektors und der Sozialpartner in die Steuerung und Curriculumentwicklung. Wir sind überzeugt, dass ein solches Konzept des Public-Private-Partnership auch in der internationalen Zusammenarbeit sinnvoll und wirksam ist.

 

Souq: Können Sie uns einige Praxisbeispiele von einer erfolgreichen deutsch-arabischen Zusammenarbeit in der Berufsausbildung nennen?

 

Weiß: Vor allem durch die Aktivitäten von iMOVE sind zahlreiche Kontakte, Projekte und Partnerschaften zustande gekommen. iMOVE unterstützt deutsche Bildungsanbieter mit Serviceleistungen bei der Vorbereitung und Realisierung ihres Engagements im Ausland. Gleichzeitig steht iMOVE ausländischen Nachfragern von "Training - Made in Germany" als Ansprechpartner zur Verfügung. Wie das Projekt "Water-Energy-Building - Training & Transfer" (WEB-TT) in Ägypten oder das Kunststoffzentrum SKZ in den Vereinigten Arabischen Emiraten – erfolgreiche Beispiele der Kooperation gibt es viele. Eine Zusammenstellung mit acht Erfolgsgeschichten der arabisch-deutschen Kooperation "Developing Skills for Employability with German Partners. 8 Success Stories from Arab Countries" steht im Internet unter www. imove-germany.de in der Rubrik "Publikationen" zur Verfügung.

 

Souq: Angelsächsische Anbieter im Bildungssektor haben in den arabischen Ländern einen Vorsprung. Was können deutsche Unternehmen von ihnen lernen?

 

Weiß: Studien haben gezeigt, dass sich der Ruf angelsächsischer Länder im Bildungsexport vor allem auf die Leistungen ihrer Hochschulen stützt. Gleichzeitig betonen Experten, dass Deutschland mit seinem dualen Berufsbildungssystem über einen außergewöhnlichen Wettbewerbsvorteil verfügt. Das zeigen auch die verstärkten Nachfragen in jüngster Zeit aus dem angelsächsischen Raum, beispielsweise aus den USA und dem Vereinigten Königreich selbst. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen und Instrumenten, um berufliche Aus- und Weiterbildung aus Deutschland international noch besser zu positionieren. Eine starke Serviceorientierung und das professionelle Marketing von Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen erhöhen die Marktchancen der Bildungsanbieter. Die Stärkung der deutschen Industriepräsenz auf ausländischen Märkten ist eine besonders Erfolg versprechende "Huckepack-Strategie".

 

Souq: Wie beurteilen Sie den Entwicklungsstand und die Qualität der Bildung in den arabischen Ländern? Welche Zukunftsaufgaben sehen Sie?

 

Weiß: Viele arabische Länder haben in den letzten Jahren Fortschritte bei der Verbesserung ihrer Bildungssysteme erreicht. Aber der Mangel an Angeboten zur beruflichen Aus- und Weiterbildung ist nach wie vor einer der Gründe für die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Gegenwärtig ist über ein Fünftel der Bevölkerung in der arabischen Welt zwischen 15 und 24 Jahre alt. Mehr als ein Viertel der rund 70 Millionen jungen Menschen findet langfristig keine Arbeitsstelle. Durch ihre mangelnde Beschäftigungsfähigkeit können sie nicht gleichberechtigt am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben und zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum beitragen. Zugleich ist die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften viel höher als das Angebot. Deshalb sind einige Staaten auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Ihr Ziel ist es jedoch, den Anteil der Einheimischen an den Beschäftigten zu erhöhen. Wir möchten unsere arabischen Partner dabei unterstützen, Strukturen zu schaffen und Angebote zu entwickeln, die den Anforderungen des Arbeitsmarktes genügen. Dazu ist es wichtig, dass sich die Wirtschaft vor Ort aktiv beteiligt.

 

Souq: Es gibt eine Reihe von deutschen Bildungsprojekten in den arabischen Ländern. Wie beurteilen Sie die Chancen für weitere Vorhaben?

 

Weiß: Die Umwälzungen im Zuge des "Arabischen Frühlings" haben eine Aufbruchstimmung erzeugt. Die Zeit ist reif und überfällig für Reformen – auch im Bildungswesen. Vieles, was lange galt, wird nun infrage gestellt. Neue Instrumente und Bildungswege müssen entwickelt und erprobt werden. Diese Ausgangssituation und die vielen guten Erfahrungen, die deutsche und arabische Kooperationspartner bereits miteinander gemacht haben, bieten eine gute Grundlage für die weitere Zusammenarbeit.

 

Souq: Die Ghorfa und iMOVE veranstalten jährlich das Bildungsforum. Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit und welche Erwartungen haben Sie an das Forum?

 

Weiß: Das Arabisch-Deutsche Bildungsforum ist ein fester Bestandteil der bilateralen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der beruflichen Bildung. Sie ist das Kernthema der Veranstaltung und wird in Zukunft noch stärker in das Zentrum des Dialogs rücken. iMOVE und die Ghorfa engagieren sich gemeinsam dafür, dass das Bildungsforum eine zentrale Plattform für neue Ideen zur Weiterentwicklung von Bildungskooperationen bleibt. Das Bildungsforum leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Dialog der Kulturen, der von Respekt und Toleranz geprägt ist. Ich erwarte die Festigung der bereits geschaffenen partnerschaftlichen Grundlagen und die Erschließung neuer Bildungshorizonte.

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Professor Dr. Reinhold Weiß, Ständiger Vertreter des Präsidenten und Forschungsdirektor des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB)

Quelle: SOUQ, Das Ghorfa – Wirtschaftsmagazin, Ausgabe 4/2012