Irak: Berufsbildung nach deutschem Vorbild

Angebot und Nachfrage – das gilt auch auf dem Arbeitsmarkt. Im Irak allerdings passt das eine nicht unbedingt zum anderen.

Das sorgt für Frust. Jochen Renger erklärt, wie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hilft, den irakischen Arbeitsmarkt zu modernisieren.

wirtschaftsplattform irak (WPI): Herr Renger, mal jenseits des recht sperrigen Projektnamens "Arbeitsmarktorientierte Modernisierung der beruflichen Ausbildung im Irak als Beitrag zum Aufbau und zur Friedenssicherung" – was ist das konkrete Ziel?

Jochen Renger: Ziel des Projektes ist, die Beschäftigungsfähigkeit von Berufsschulabsolventen zu verbessern, so dass sie möglichst unmittelbar nach ihrem Abschluss einen Arbeitsplatz in der Wirtschaft bekommen.

WPI: Was ist das Problem dabei?

Wir haben kein Problem etwa mit einer mangelnden Grundbildung irakischer Schüler - sie sind so gut, mit denen können die Berufsschulen in der Regel etwas anfangen. Aber an den Berufsschulen gibt es eine ganz starke Tradition der fachtechnischen Ausbildung, so wie übrigens fast überall in der arabischen Welt. Andere Kompetenzen werden dadurch zuwenig gefördert. Und der Berufsschulbereich ist weitgehend in staatlicher Hand, Staat und Privatwirtschaft sind aber auch im Irak weit auseinander. Es gibt also keine Tradition wie bei uns mit dem Dualen System, wo es per se eine institutionelle Partnerschaft gibt zwischen Privatunternehmen und staatlichem Ausbildungsbereich. Im Irak haben die Berufsschulen ihre Ausbildung deswegen weitgehend abgekoppelt vom Arbeitsmarkt gefahren. In der Folge haben sie oft an den Anforderungen der Unternehmen vorbei ausgebildet.

WPI: Welche Anforderungen müssen Absolventen denn erfüllen?

Die Absolventen müssen eine Kombination mitbringen aus Managementkompetenz und fachlich-technischem Wissen. Und das fachlich-technische Wissen muss wirklich auf dem aktuellen Stand sein. Nehmen wir mal die Automobiltechnik: Da haben die Iraker sehr gute Grundkenntnisse, aber mit moderner Mechatronik sind sie nicht vertraut. Das Wissen darüber muss man also vermitteln, so dass sie auch moderne Fahrzeuge reparieren können.

WPI: Wie steht es mit den Kompetenzen jenseits der Technik?

Der Nachholbedarf ist groß, eben weil die Berufsschulen extrem fachtechnisch fokussiert sind. Es fehlt an Querschnittsthemen wie dem Finanzmanagement, aber auch etwa der Frage, wie man mit Auftraggebern umgeht. Das sind wichtige Bereiche, die man in Zukunft abdecken muss.

WPI: Was wollen Sie tun, um die Defizite zu verringern?

Wir konzentrieren uns auf die staatlichen Berufsschulen, und wir haben jetzt mit dem Automobilbereich exemplarisch angefangen, weil da die Nachfrage sehr hoch war. Ich kann mir aber auch den Gesundheitssektor vorstellen – wir werden sehen, wo es weitere Nachfrage geben wird. Zum einen versuchen wir Verbindungen herzustellen zwischen Berufsschulen und Privatunternehmen – vornehmlich irakischen Firmen, aber wir wollen auch ausländische Unternehmen ins Boot holen.

Wir helfen dabei, Austauschforen einzurichten, damit die Privatwirtschaft sagen kann, was sie braucht, und die Berufsschulen das auch aufnehmen können. Und wir arbeiten am Management, etwa indem wir Berufsschulen helfen, ihre Lehrpläne entsprechend anzupassen und einen guten Dialog mit der Privatwirtschaft zu führen.

WPI: Das klingt etwas abstrakt.

Machen wir es konkret. Im Oktober hatten wir eine fünfköpfige Delegation hier in Deutschland, die Leute haben sich 10 Tage lang das deutsche Berufsschulwesen angeschaut. Wir wollten die Idee des Dualen Ausbildungssystems vermitteln, und das erschließt sich ja nicht gleich von allein. Man muss es verstehen, und dann kann man vor Ort im Irak schauen, was man damit anfangen kann. Sicher kann man es nicht 1:1 übertragen, aber einzelne Elemente lassen sich sicher einbringen.

Und momentan trainieren wir wieder Berufsschulmanager, denn die kommen alle aus einer Fachkarriere heraus und haben das Management nie wirklich gelernt. Finanzen, Strategie- und Organisationsentwicklung, Mitarbeiterführung – all das ist jetzt dort Thema.

WPI: Wie kommen Sie mit der Überarbeitung der Lehrpläne voran?

Wir sind erst dabei, die bestehenden Pläne zu analysieren, um dann zu entscheiden, was neu aufgenommen werden muss. Und was rausfällt. Auch hier haben wir mit dem Automobilbereich angefangen. Klar ist jetzt schon, es muss mehr Praxis in die Lehrpläne rein. Und man ist da schnell ganz tief drin im Fachtechnischen, etwa bei der Mechatronik. Ich habe das ja in Autowerkstätten in Kurdistan-Irak gesehen:

Da kann man Autos bis zu einem Baujahr Anfang der 90er Jahre perfekt reparieren, aber danach hört es auf. Wenn die Leute es jetzt aber mit modernen Wagen zu tun haben, mit all der Elektronik, wo man nicht mehr selbst herumschrauben kann – da muss man zunächst ein Ausbildungsangebot schaffen, damit die Berufsschulabsolventen solch ein Auto auch wirklich unter die Lupe nehmen können.

WPI: Solch ein Ausbildungsangebot muss an die Schüler vermittelt werden – durch gute Lehrer. Sind Sie auch an diesem Punkt aktiv?

Noch nicht, denn wir haben unser Projekt erst im Sommer begonnen. Aber wir werden auch Ausbilder qualifizieren, wobei es neben dem fachtechnischen Wissen auch um moderne Lehrmethoden gehen wird. Der Unterricht ist heute sehr frontal, man kann ihn viel interaktiver gestalten, durch Kleingruppenarbeit oder eigene Projekte.

WPI: Das bedeutet Veränderung – wie reagieren ihre irakischen Partner darauf?

Sehr gut und offen. Die Iraker sind ja an die Bundesregierung herangetreten und haben gesagt: Wir wollen Berufsbildung nach deutschem Vorbild. Wir drängen uns hier also nicht auf, sondern bedienen eine Nachfrage. Zudem haben wir das Projekt zusammen mit Irakern entwickelt und sind dabei auf deren Bedürfnisse eingegangen.

Man darf ja auch eines nicht vergessen: Auf politischer Seite ist der Irak bei der Bildung gut aufgestellt. Es gibt drei Fachministerien und eine nationale Berufsbildungsstrategie – das ist doch schon mal wunderbar und bildet günstige Rahmenbedingungen, um auf diesem Sektor etwas bewegen zu können.

WPI: Ziehen auch Ihre lokalen Partner mit, jenseits der großen Politik?

Ja, und zwar sehr engagiert. Aus anderen Ländern kenne ich das ganz anders. Die Iraker aber leisten Eigenbeiträge, sie organisieren sich selbst. Sie wissen, was sie wollen. Und was nicht.

WPI: Was wollen sie denn nicht?

Als GIZ haben wir in vielen Ländern langfristig angelegte Beratungs- und Reformprojekte, die auf hoher staatlicher Ebene angesiedelt sind. Die Iraker haben ganz klar gesagt: So etwas brauchen wir jetzt nicht, wir wollen gleich ans Eingemachte, auf Ebene der Berufsschulen.

WPI: Sie haben also in der Praxis wenig mit den Ministerien zu tun, wo man es ja mitunter erlebt, dass sie die Dinge eher verkomplizieren.

Unser Partner ist die Foundation of Technical Education (FTE), und damit sind wir landesweit auf dem Berufsschullevel. Und wir wollen ja landesweit aktiv werden, mit deutschem und irakischem Fachpersonal. Wobei das aus Sicherheitsgründen nicht einfach ist, weshalb wir derzeit von Kurdistan-Irak aus arbeiten und Projektaktivitäten dort, in Deutschland oder auch Jordanien durchführen. Aber je mehr einheimische Multiplikatoren wir ausbilden, umso größer werden die Chancen, dass die Verbesserungen im Berufschulwesen in die Breite gehen.

WPI: Das Duale System ist ja grundsätzlich Vorbild für das, was Sie im Irak erreichen möchten. Welche Rolle spielen dann Kooperationen mit deutschen Unternehmen und Ausbildungsstätten bei Ihrer Arbeit?

Wir suchen durchaus deutsche Partner, und die Chancen für eine Zusammenarbeit stehen nicht schlecht, denn es gibt in Deutschland eine Reihe von auch firmengebundenen Ausbildungsinstitutionen, die im Irak gern Fuß fassen würden.

So wie die Hotelfachschule in Erbil – da liefert man nicht nur die Ausstattung, sondern zeigt auch, was man damit anstellen kann und bildet aus. Wir würden sehr gern deutsches Know-how in unser Projekt bringen, indem wir das Personal solcher Ausbildungsinstitutionen einbinden. Diese Fachleute könnten bei uns Berufsschullehrer und –manager schulen, also unsere Multiplikatoren, die dann in ihrem eigenen Bereich selbstständig aktiv werden können.

WPI: Aber was haben Unternehmen davon, wenn sie diese Multiplikatoren schulen?

Die Sache ist doch evident. Wer dabei mitmacht, verspricht sich einen besseren Marktzugang. Wenn eine europäische Firma vor Ort im Irak im Ausbildungsbereich tätig ist, macht sie sich einen Namen, baut ein Netzwerk auf. Der Hintergrund eines Engagements ist also weniger altruistischer Natur als vielmehr die Idee einer systematischen Markterschließung.

WPI: Wenn Sie ihr Ziel erreichen und irakische Berufsschulabsolventen leichter einen Arbeitsplatz bekommen, gerade auch in irakischen Firmen – entsteht da nicht gleich das nächste Problem? Top-Absolventen werden von ihren Arbeitgebern mehr fordern – Geld, Förderung, Verantwortung. Dann müssen sich auch die Unternehmen bewegen...

Ich kann zwar nur von den Firmen berichten, mit denen ich selbst zu tun habe. Aber die suchen nun wirklich händeringend nach qualifiziertem Personal, so dass ich davon ausgehe, dass sie auch einiges dafür tun werden.

Quelle: Internetportal wirtschaftsplattform irak, wp-irak.de, Artikel 13.12.2011