Brasilien: Intensiver Wettbewerb um gutes Personal

Brasiliens Wirtschaftsdynamik wirkt sich auf den Arbeitsmarkt aus. Zwei Drittel aller Unternehmen klagen über Schwierigkeiten bei der Personalsuche.

Laut einer aktuellen Untersuchung verdienen Topmanager in São Paulo bereits mehr als in New York, London oder Hongkong. Auch bei technischem Personal herrscht Knappheit. Deutsche Firmen verstärken die innerbetriebliche Ausbildung, setzen bei Führungskräften aber mehr und mehr auf brasilianische Firmenchefs und weniger auf Expats. Hilfe finden sie bei professionellen Personalvermittlern.

Die gleichzeitige Konjunktur in vielen Branchen enthüllt das Versäumnis der Regierung, rechtzeitig das Bildungssystem zu modernisieren. Besonders die Bau-, Kraftfahrzeug sowie Öl- und Gasindustrie saugen viele Fachkräfte auf, was in anderen Bereichen für extreme Knappheit sorgt. Nach Angaben der Zeitarbeitsfirma Manpower haben in Brasilien 64 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten Stellen zu besetzen, im Vergleich zu 40 Prozent in China und 16 Prozent in Indien.

Der Mangel betrifft die gesamte Palette an Profilen, Unternehmensführung, mittleres Management, Ingenieure, Techniker, Informationstechnik-Experten und zahlreiche andere Gruppen. "Es gibt in Brasilien qualifizierte Arbeitskräfte, aber nicht in der nötigen Menge", sagt Adriana Prates, Präsidentin der Personalagentur Dasein Executive Search.

Der Wettbewerb um Managementtalente wird zusätzlich durch die Tatsache angeheizt, dass viele multinationale Unternehmen den Sitz ihrer Lateinamerikazentrale von Miami, Mexiko-Stadt oder Buenos Aires nach São Paulo verlegen, wobei sie die bisherigen Stelleninhaber oft von dem Umzug nicht überzeugen können. Dafür ist unter anderem São Paulos Image als Stadt mit geringer Lebensqualität und hohen Lebensunterhaltskosten schuld.

Unternehmen bleibt oft nichts anderes übrig, als für das Topmanagement überdurchschnittlich hohe Gehälter zu bezahlen und den zukünftigen Bedarf an Fachkräften direkt im Unternehmen auszubilden.

Managergehalt in São Paulo höher als in New York

Die Managergehälter folgen der Entwicklung der Immobilienpreise. Zunächst erstaunte die Meldung, dass die Mietkosten in der Südzone von Rio de Janeiro und an São Paulos Geschäftsstraße Faria Lima sogar Manhattans Fifth Avenue übertreffen. Jetzt ergab eine Untersuchung des Headhunterverbands Association of Executive Search Consultants (AESC), dass Topmanager in Brasiliens Business-Metropole São Paulo mehr verdienen als in New York, London, Singapur oder Hongkong.

Zum gleichen Ergebnis kam eine Umfrage der Headhunterfirma Dasein unter 80 Topexecutives von Unternehmen mit 1.000 bis 15.000 Angestellten aus Kraftfahrzeug-Industrie, Metallverarbeitung, Bergbau, Bauindustrie und anderen Branchen.

Ein Firmenchef eines Industriekonzerns in São Paulo verdient demgemäß durchschnittlich 620.000 US-Dollar pro Jahr und ein Vorstand 243.000 US-Dollar, während es in New York 574.000 US-Dollar beziehungsweise 213.000 US-Dollar sind. Im Finanzmarkt sind die Gehälter noch höher. Adriana Prates weist auf den großen Anteil von leistungsorientierter Bezahlung in Brasilien hin, der in einigen Fällen bis zu 23 Extramonatslöhne ausmacht.

Brasiliens Manager sind hervorragend ausgebildet, kommen von den Eliteuniversitäten des Landes wie der Universität von São Paulo (USP) oder Belo Horizonte (PUC Minas) und verfügen oft über Zusatzqualifikationen und Auslandserfahrung. Viele ausländische und multinationale Konzerne stellen für den brasilianischen Markt verstärkt einheimische Executives ein.

Zum einen sind brasilianische Führungskräfte besser an die Arbeit in einem unberechenbaren Umfeld gewöhnt. Zum anderen unterscheidet sich die Führungsmethodik in einem brasilianischen Unternehmen stark von dem anderer Länder. So tun sich brasilianische Mitarbeiter oft schwer mit der direkten Art von europäischen und US-amerikanischen Managern, die als aggressiv wahrgenommen wird. Auch die hohen Nebenleistungen und die doppelte Steuerpflicht spricht immer mehr gegen den Einsatz von Expats.

Wichtigstes Argument für einen einheimischen Manager ist jedoch der Wegfall der unproduktiven Einarbeitungszeit. Nach Angaben von Adriana Prates dauert es im mittleren Management bis zu zwei Jahre, bis ein Ausländer produktiv wird, da die Unterschiede doch größer als erwartet sind. Eine Rolle spielt dabei auch das private Umfeld, zum Beispiel durch die eingeschränkte Mobilität, die Kriminalität oder Probleme bei der Familienassimilation.

Ein Beispiel, wie wichtig diese interkulturellen Faktoren sind, zeigt der Fall eines renommierten Kraftfahrzeug-Herstellers, dessen Brasilienchefin nach acht Monaten aufgab, da sie Gerüchten zufolge mit dem kulturellen Umfeld und dem männlich-dominierten Firmenklima nicht zurechtkam. Unter den 100 umsatzstärksten Konzernen steht nur eine Frau ganz oben: Dilma Pena vom Wasserversorger Sabesp.

Brasilianische Arbeitnehmer sind grundsätzlich flexibel und daher auch von einem Unternehmenswechsel zu überzeugen. Um gute brasilianische Manager anzulocken, müssen deutsche Unternehmen neben einem großzügigen Gehalt weitere explizite Anreize setzen. Standard sind Krankenversicherungen, ein dreizehntes Monatsgehalt sowie Transport und Verpflegungszuschüsse. Immer öfter wird auch eine Mitgliedschaft in einem Freizeit- beziehungsweise Sportclub geboten.

Für höhere Posten kommen ein Dienstwagen und eine Zahnarztversicherung für die ganze Familie dazu. Beliebter Bonus sind auch leistungsorientierte Gehaltsanteile. Brasilianische Unternehmen schütten nach einem guten Jahr in der Regel 5 bis 15 Prozent des Gewinns an die Mitarbeiter aus. Für Führungskräfte sind Aufstiegsperspektiven, Personalentwicklungsprogramme, MBA-Stipendien etc. wichtig.

Nach Schätzung von Experten werden rund 50 bis 80 Prozent aller Executivestellen über Netzwerke vergeben. Bei der Suche nach Topmanagern greifen Unternehmen auf die Hilfe professioneller Dienstleister zurück. Diesbezüglich ist der brasilianische Arbeitsmarkt gut entwickelt. Alle großen Headhunterfirmen sind in São Paulo vertreten, unter anderem Michael Page, Robert Half, Korn/Ferry, Boyden, RusselReynolds, Egon Zehnder und Kienbaum.

Eine interessante Zielgruppe sind auch brasilianische Manager im Ausland, die aufgrund der guten Verdienstmöglichkeiten zurzeit leicht zu einem Engagement in der Heimat überzeugt werden können.

Personalagenturen wie Catho, Manager oder Curriculum.com bieten den Service, Lebensläufe und offene Stellen aller Niveaus abzugleichen. Datenbankeneinträge und Anzeigen im Internet haben laut Statistiken eine doppelt so hohe Erfolgsquote wie Zeitungsannoncen. Die Datenbanken CIEE und NUBE helfen bei der Suche nach Praktikanten.

Auch für den Auswahlprozess oder Assessment-Center stehen spezialisierte Personalagenturen bereit. Die Stellenbörse der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer ist eine gute Fundgrube für Arbeitnehmer mit Deutschkenntnissen.

In Anbetracht der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt versuchen viele Unternehmen, Talente in den eigenen Reihen zu erkennen, auszubilden und möglichst langfristig an das Unternehmen zu binden. Einen guten Schutz vor Abwerbungsversuchen von Konkurrenten bieten folgende Maßnahmen: Perspektiven im eigenen Haus aufzeigen, Personalentwicklung betreiben, eine betriebsinterne Altersvorsorge bieten und Prämien an langfristige Erfolgskriterien koppeln. Einige Firmen zahlen schon von Anfang an überdurchschnittliche Gehälter.

Der deutsche Automobilzulieferer Kostal beteiligt nach Aussage von Personalchef Hiroki Hiratsuka alle seine Mitarbeiter finanziell am Unternehmenserfolg und stellt ihnen neben Gesundheits- und Lebensversicherungen auch ein Fitnesscenter und einen Fußballplatz zur Verfügung. Neue Fachkräfte werden über Praktikums- und Trainee-Programme verstärkt im Unternehmen herangebildet. "Gut ausgebildete Leute von außen zu holen ist momentan sehr schwierig", so Hiratsuka.

Außerdem intensiviert das Unternehmen den Dialog mit der Senai, dem System für industrielle Ausbildung des nationalen Industrieverbands, mit dem Ziel, die Palette der Ausbildungsberufe auszuweiten, und stärker auf den konkreten Bedarf der Unternehmen auszurichten, wie zum Beispiel im Fall von Kostal den Beruf des Kunststoffformgebers.

Deutsch-Brasilianische Industrie- und Handelskammer plant die Einführung der dualen Berufsausbildung

 
Die Deutsch-Brasilianische Industrie- und Handelskammer plant die Einführung der dualen Berufsausbildung in Brasilien und hat nach Angaben von Martin Gebhardt, Leiter der Berufsbildungsabteilung der Kammer, bereits die Firmen Festo, Bernauer, VW, ZF, Kostal und Siemens für das Programm interessieren können. Start des Programms soll im August 2011 sein.

Der Wettbewerb mit einheimischen Unternehmen wird wahrscheinlich weiter zunehmen. Waren früher multinationale Unternehmen der Traum brasilianischer Nachwuchskräfte, liegen mittlerweile die aufstrebenden und international expandierenden brasilianischen Firmen wie Petrobras, JBS, Vale, AmBev, Odebrecht oder Bradesco ganz vorne in der Beliebtheitsskala.

Die Gehälter variieren je nach Region, Unternehmensform und Berufserfahrung des Beschäftigten. Grundsätzlich sind die Löhne in São Paulo deutlich höher als in anderen Landesteilen und offene Kapitalgesellschaften zahlen nach einer aktuellen Untersuchung der Personalberatung Hay Group 12 Prozent mehr als Familienunternehmen.

Das Forschungsinstitut der Tageszeitung Folha de São Paulo veröffentlicht auf der Internetseite http://datafolha.folha.uol.com.br monatlich eine Übersicht mit Mindest-, Mittel- und Höchstwerten für detaillierte Berufsgruppen. Auch die Headhunter bieten ausführliche Listen solcher Richtwerte.

Weitere Informationen

Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht Brasilien:

 

  • Publikation: Lohn- und Lohnnebenkosten Brasilien, Germany Trade & Invest (gtai)
  • Geschäftshandbuch Brasilien 2011/12, Deutsch-Brasilianische Industrie- und Handelskammer (AHK Brasilien)

Quelle: gtai Online-News Nummer 7, 18.04.2011