Ägyptens Wirtschaft hofft auf Neuanfang

Ägypten wird die heftigen Einbrüche für den wichtigen Tourismussektor sowie die Verunsicherung von Investoren durch die Unruhen und Plünderungen nicht alleine bewältigen können. Kurzfristig wird es daher Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein, das Land beim Aufbau und Neuanfang durch konkrete Hilfen zu unterstützen. Maßnahmen zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit sowie ein verstärktes Engagement im Ausbildungssektor sind überaus wichtig.

Auf dem Weg der Konsolidierung / Wachsendes Schwellenland mit Perspektiven / Deutsche Partner sollten Umbruch nutzen

Nicht nur die Politik, auch Ägyptens Wirtschaft steht vor einer unbekannten Zukunft. Auch wenn noch offen ist, wohin der Weg der Wirtschaftspolitik geht - es gibt gute Gründe, die Aufbruchsstimmung im Land zu nutzen. Deutsche Unternehmen sind in Nordafrika gefragte Partner. Sie stehen für hohe Qualität und Zuverlässigkeit und können die Länder bei ihrem Neuanfang positiv begleiten und unterstützen. Unternehmergeist ist in der Region reichlich vorhanden, auch die Privatwirtschaft sollte zukünftig neue Impulse setzen.

Entscheidend wird auch sein, wie schnell die Rahmenbedingungen für Besucher und Investoren aus dem Ausland wieder Sicherheit und Stabilität versprechen. Nach Gewalt, Plünderungen und dem Exodus von Ausländern sind die letzten Wachstumszahlen in Ägypten Makulatur. Die ersten Schätzungen für die konkreten volkswirtschaftlichen Einbußen während der Unruhen lauten auf eine Größenordnung von 300 Millionen US-Dollar pro Tag. Nationale und internationale Beobachter hatten vor der Revolution ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von real 5,5 Prozent prognostiziert. Ägyptens Finanzminister Samir Radwan äußerte sich erstmals am 13.02., dem Tag Zwei nach dem Ende der Ära Mubarak, zu den neuen Projektionen für die Wirtschaft des Landes. Er nannte einen BIP-Anstieg um 3,5 bis 4,0 Prozent für das Fiskaljahr 2010/11 (Juli bis Juni).

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Nach den Unruhen bewegt sich Ägypten mit ersten Schritten in eine neue Normalität. Die stärksten unmittelbaren Auswirkungen des Volksaufstandes liegen wie in Tunesien im Tourismusbereich. Aus den Reihen der deutschen Industrie sind insbesondere Automobilzulieferer betroffen, deren Lieferketten teilweise unterbrochen wurden. Einzelne Schäden verzeichneten deutsche Firmen auch durch Schließungen und Plünderungen. Das befürchtete Chaos und Herunterfahren der Wirtschaft ist jedoch ausgeblieben. Die grundlegenden Versorgungsdienste waren durchweg funktionsfähig, auch wenn es Engpässe bei der Ersatzteilversorgung von Kraftwerken und Krankenhäusern gab. Geschäfte und Banken wurden sukzessive wieder geöffnet. Große ägyptische Industrieunternehmen haben die Wiederaufnahme der Produktion angekündigt oder bereits bekannt gegeben.

Die derzeitige Regierung ist darum bemüht, nicht nur durch staatliche Präsenz im öffentlichen Raum für Beruhigung zu sorgen. Sie hat auch eine Erhöhung der Entgelte für Regierungsbeschäftigte sowie der Pensionen um 15 Prozent ab April angekündigt. Bereits zum Jahresende hatte die Regierung in Kooperation mit dem Bankensektor ein Programm für niedrigverzinsliche Kredite für nahezu 6 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst aufgelegt. Die Übergangsregierung beeilte sich denn auch mit der Zusage, es werde keine Abstriche bei Subventionen geben. Vor allem Unterstützung bei Grundnahrungsmitteln, Medikamenten sowie Benzin und Butangas ist für weite Teile der Bevölkerung lebensnotwendig.

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Die ägyptische Revolution hat vielfältige Ursachen. Der Ruf nach "Freiheit" ("Horreya") war am lautesten hörbar. Aber die Erwartungen der Bevölkerung richten sich zugleich auf Armutsbekämpfung und höheren Lebensstandard, auf Abbau der (Jugend-) Arbeitslosigkeit sowie Rückführung der Inflation und insbesondere der Nahrungsmittelpreise. Die Übergangsregierung hat angekündigt, die erfolgten Wirtschafts- und Finanzreformen nicht rückgängig zu machen. Vielmehr soll in Ergänzung der Fokus verstärkt auf einer Verbesserung des Lebensstandards der unteren und mittleren Schichten liegen. Dies wird zunächst das Budgetdefizit und die öffentliche Schuld erhöhen. Die Stabilisierung der Inlandswährung vor allem gegenüber dem US-Dollar sollte das Risiko einer importierten Inflation eindämmen. Es bleibt jedoch bei der Gefahr steigender Nahrungsmittelpreise im Ausland.

Das "System Mubarak" ist auch nach dem Fortfall des Kopfes mit Sicherheit noch nicht aus der Welt geschafft. Die über Jahrzehnte eingeübten Denk-, Verhaltens- und Handlungsweisen lassen sich nicht einfach umstürzen. Es geht nun auch darum, Vertrauen zurückzugewinnen. Dies kann im wirtschaftlichen Bereich zunächst durch eine nachhaltige Bekämpfung von Korruption, Klientelwirtschaft und Nepotismus unter Stärkung der Wettbewerbskräfte erfolgen. Es sind straffere Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft zu ziehen. Künftige Reformen werden notwendigerweise auch auf eine Verbesserung öffentlicher Dienste abstellen. Mit einer dynamisch wachsenden Wirtschaft lassen sich Einkommensdisparitäten langfristig besser kontrollieren als durch Umverteilung.

Grundsätzlich zählt Ägypten zu den Schwellenländern, die in Zukunft für die Weltwirtschaft enorm an Bedeutung gewinnen werden. So bescheinigte die OECD dem Land eine Reihe von Fortschritten bei der Verbesserung des geschäftlichen Umfelds in den letzten fünf Jahren. Dies hat sich auch in diversen internationalen Rankings niedergeschlagen. Sollten sich die politischen Verhältnisse stabilisieren und auch Reformen nachhaltig umgesetzt werden, bleibt das größte und bedeutendste Land der arabischen Welt hochinteressant für Investoren. Dabei stehen die Anforderungen der stetig wachsenden Bevölkerung im Fokus. Die deutschen Direktinvestitionen in Ägypten hatten 2008 einen Bestand von 403 Millionen Euro. Es besteht ein Investitionsfördervertrag, der seit dem 22.11.09 in Kraft ist. Die Finanzielle Zusammenarbeit lag im Jahr 2009 bei 72,5 Millionen Euro und die Technische Zusammenarbeit bei 21,3 Millionen Euro. Die deutschen Ausfuhren nach Ägypten beliefen sich 2009 auf 2,66 Millarden Euro. Bis November 2010 nahmen sie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13,2 Prozent auf 2,75 Millarden Euro zu.

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Das lange Zeit an Subventionen gewöhnte Land wird die heftigen Einbrüche für den wichtigen Tourismussektor sowie die Verunsicherung von Investoren durch die Unruhen und Plünderungen nicht alleine bewältigen können. Kurzfristig wird es daher Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein, nicht nur beim Aufbau neuer politischer Strukturen zu helfen, sondern die Wirtschaft des Landes zu stabilisieren und die Bevölkerung beim Neuanfang durch konkrete Hilfen zu unterstützen. Maßnahmen zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit sowie ein verstärktes Engagement im Ausbildungssektor sind überaus wichtig.

Im Rahmen eines "10-Punkte-Aktionsplans-Nordafrika" unterstützt auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) die Region. Damit soll ein Beitrag zum Aufbau einer prosperierenden Wirtschaftsstruktur in Nordafrika geleistet werden, an der alle Gesellschaftsschichten teilhaben. Der Prozess wird positiv durch ein Bündel von Maßnahmen flankiert. So werden verstärkt Partnerschaften unterstützt, die dem Aufbau transparenter und effizienter Verwaltungsstrukturen dienen sollen. Diese können dazu beitragen, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit in der Region zu stärken. Das BMWi steht dazu in engem Kontakt mit Wirtschaftsverbänden, den Auslandshandelskammern, Germany Trade & Invest sowie anderen Organisationen.

Im Fokus stehen darüber hinaus Projekte der Aus- und Fortbildung, Möglichkeiten zur Stützung von Unternehmen, Information in Deutschland über die neue Entwicklung, unter anderem durch Veranstaltungen und Roadshows, sowie weitere Beratungsmaßnahmen zur Flankierung des Reformprozesses. Die staatliche Exportförderung läuft zunächst wie gewohnt weiter. Derzeit werden Exportprojekte im Wert von rund 700 Millionen Euro nach Nordafrika abgesichert. Der gegenwärtige Umbruch bietet deutschen Unternehmen gute Möglichkeiten, sich neu aufzustellen und den Wandel positiv zu begleiten.

 

  • vollständiger Artikel bei Germany Trade & Invest, Datenbank "Länder und Märkte"

Quelle: Germany Trade & Invest, Auszüge aus Artikel 17.02.2011