Das "umgedrehte Klassenzimmer" für Digital Natives

Unternehmen und Schulen sind gut beraten, das digitale Mindset der Generation Z zu nutzen und moderne Technologien bereitzustellen.

grafische Darstellung einer Person, die vom Medium Tafel in ein Medium Tablet läuft
martinwimmer/iStockphoto.com

Edwin Lemke

Die Situation

Junge Menschen sind mit Technologien groß geworden, von denen viele Ausbilder/-innen und Lehrkräfte früher nicht einmal geträumt haben. Mehr als 2,5 Milliarden Menschen besitzen ein Smartphone. Dabei verwenden (gerade in Entwicklungsländern) immer mehr Anwenderinnen und Anwender zwischen 18 und 34 Jahren ein Smartphone.

Insofern besteht die Herausforderung darin, den "Digital Natives" auf Augenhöhe zu begegnen. Sie konsumieren kurze Inhalte und kommunizieren mit Hilfe des Smartphones.

Die Tools und die Umsetzung von kreativen Ideen dürfen allerdings nicht zu umfangreich, zu kompliziert oder zu teuer sein – denn Softwareprogramme oder gar Hardware sind meist nicht vorhanden beziehungsweise können nicht angeschafft oder nicht angewendet werden.

Deshalb müssen Lösungen leicht zu erlernen, einfach zu bedienen und finanziell erschwinglich sein.

Die Fragen

Welches Konzept bietet sich an, um die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen? Und was kann ich leicht umsetzen, um meine Schüler, Schjülerinnen und Auszubildenden zu motivieren? Damit beziehe ich mich vor allem auf diejenigen, die ab etwa 1999 geboren und als Digital Natives bekannt sind, weil sie so selbstverständlich mit den Technologien der Digitalisierung umgehen.

Die Fragen werden mir nicht nur in Deutschland gestellt, sondern rund um den Globus, sei es in Chile, in Nordmazedonien oder in Malaysia. Und die Frager sind meist erfahrene Lehrkräfte und kompetente Ausbilderinnen und Ausbilder, die bereits seit Jahrzehnten ihre Lernenden professionell führen und begleiten.

Mein Vorschlag

Nutze das Konzept des Flipped Classroom – setze das "Umgedrehte Klassenzimmer" ein!

Seit einigen Jahren wird in Deutschland bereits nach diesem Prinzip an einigen Schulen, Universitäten und Ausbildungsstätten unterrichtet. Hierbei wird das bekannte Vorgehen "Lehrer erklären Inhalte im Klassenzimmer, Schüler wiederholen zuhause" umgedreht: Schüler lernen Inhalte selbstständig über Videos oder Texte im Internet und bearbeiten, diskutieren und vergleichen ihre Ergebnisse im Plenum. Dieses Konzept vermittle ich erfolgreich seit einigen Jahren in meinen Trainertrainings, Lehrerfortbildungen und Ausbildung-der-Ausbilder- (AdA-)Trainings weltweit ein.

Das Vorgehen

Die teilnehmenden Trainerinnen und Trainer brauchen "nur" ein Smartphone mit Internetanschluss. In ihrer Rolle als Lernende erhalten sie Lerninhalte über eine Internetadresse. Für ihre Rolle als Lehrende erfahren sie anschließend, wie leicht ein Lehrinhalt in einem Video festgehalten werden kann.

Die Trainingsgruppe wird in drei Arbeitsgruppen unterteilt. Ich gebe eine Internetadresse an, über die die Kleingruppen unterschiedliche Informationen zu einem Thema bekommen. Wichtig bei der Aufgabenstellung in diesem Seminarkontext ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einfache Informationen erhalten, die leicht zu erklären sind, und dass sie im Laufe des Seminars genügend Erfahrung im Umgang mit Visualisierungen gesammelt haben.

Die Aufgabe besteht darin, diese Informationen so zu präsentieren, dass daraus eine Videoaufnahme für das Smartphone realisiert werden kann. Letztlich sollen Erklärvideos mit einer Länge von zwei bis drei Minuten entstehen. Hierzu haben die Arbeitsgruppen eine halbe Stunde Zeit für das Lesen und die Vorbereitung der Präsentation mit Flipchart, mit Karten oder mit Whiteboard.

Meine Beobachtungen bei der Gruppen-Arbeitsphase:

  • Alle sind neugierig auf die Internetinformation − und die jungen Kolleginnen und Kollegen finden sie schneller als die älteren.
  • Es gibt immer sofort Ideen zur Umsetzung in einer Visualisierung.
  • Unter älteren Teilnehmenden herrscht ein wenig Zurückhaltung, wer die Präsentation hält und damit vor die Kamera tritt – allerdings wird immer jemand gefunden. Die jüngeren treten selbstverständlicher vor die Kamera.
  • Gelegentlich wechseln sich die Ausbilderinnen und Ausbilder nicht nur während der Präsentation ab, sondern es wird sogar die gesamte Arbeitsgruppe in die "Vorführung" eingebunden.

Bevor ich dann nach der Arbeitsphase die Präsentationen filme, gebe ich Hinweise dazu, dass man am besten in die Kamera des Smartphones schauen sollte, welcher Bereich gefilmt wird – und ich erinnere noch einmal an die drei Minuten Präsentationsdauer. Fast immer klappt diese Verfilmung direkt bei der ersten Aufnahme. Manchmal verspricht sich der oder die Präsentierende und besteht auf einem neuen Versuch. Nur ganz selten unterbreche ich, wenn ich merke, dass die Erklärung zu langatmig gerät und deutlich länger als vier Minuten dauern würde. Danach starten wir dann die meist erfolgreiche, kürzere zweite Aufnahme.

Innerhalb von etwa einer Stunde entstehen so drei Erzählvideos. Diese lade ich am Abend auf meinen Laptop und füge sie in Powerpoint ein. Am nächsten Tag habe ich für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Präsentation, in der sie ihre Ergebnisse sehen und beurteilen können. Manche dieser Filme, etwa kleine Erklärvideos auf Chinesisch und Mazedonisch, werden später auch auf Youtube hochgeladen, weil die Teilnehmenden ihre Ergebnisse gern selbst weiter anschauen und anderen zeigen möchten.

Das Ergebnis

Mit dieser Erfahrung motiviere ich Lehrende, nur mit ihrem Smartphone Inhalte bereitzustellen. Sie lernen, sich entweder von einem Kollegen oder einer Kollegin filmen zu lassen, oder filmen sich selbst, am besten mit Hilfe eines Stativs. In einem weiteren Schritt im Rahmen des Flipped Classroom folgt am Ende des Erklärvideos eine Aufgabe, deren Ergebnisse am nächsten Tag mit den Lernenden diskutiert werden.

Auf diese Weise lernen Jüngere neue Inhalte kennen auf eine Weise, die ihnen sehr vertraut ist. Und Ausbilder lernen weltweit, schnell und einfach Inhalte für verschiedene Lehrsituationen digital zu erstellen.


Fachartikel "Das 'umgedrehte Klassenzimmer' für Digital Natives?"

Dieser Fachartikel ist dem aktuellen iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 1/2020, entnommen.

  • Autor: Edwin Lemke, Experte für wertschätzende Kommunikation und International Learning Development sowie der weltweit erste "Trainer in Business (AHK)", der andere Trainer (meist in englischer Sprache) zertifiziert

xPORT 1/2020

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Titel des Exportmagazins


Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 01/2020