China: Berufsausbildung für die zweite Reihe

Seit Jahren zeigen die Umfragen unter ausländischen Unternehmen in China: Gut qualifiziertes Personal zu finden ist ein Problem. Insbesondere Mitarbeiter, die nicht nur akademisch gut ausgebildet sind, sondern auch über praktische Kenntnisse verfügen, fehlen. Die Synergy Consulting Company Ltd. in Peking will mit ihrem Berufsbildungsprojekt die Lücke schließen.

Volker Wagner, der Synergy seit vielen Jahren berät, legt den Finger in die Wunde: "Der Facharbeiter hat in China kein Ansehen." In einer Welt, in der ein harter Wettbewerb um die idealen Ausgangspositionen für das Leben "tobt", sei das Streben nach den besten Ausbildungsmöglichkeiten besonders ausgeprägt.

Universitäten zählten mehr als Berufsschulen. "Doch selbst den Ingenieuren fehlt praktisches Wissen", stellt Volker Wagner fest. "Sie absolvierten zwar während der Ausbildung Praktika, doch welchen Wert haben sie? Die Praktikanten schauen sich die Firmen an. Das war es." Und Teana He ergänzt: "Ein studierter Maschinenbauer weiß zwar, wie eine CNC-Maschinen programmiert wird, sie bedienen, kann er aber nicht. Der Arbeiter an der Maschine hat wiederum keine Kenntnisse vom Programmieren. Da geht viel Effizienz verloren."

Firmenname ist Programm

Teana He ist die Geschäftsführerin von Synergy. 2004 hat sie das Unternehmen gegründet und den Firmennamen mit Bedacht gewählt. Teana He hat in Deutschland studiert und ihr Anliegen ist es, Synergien zwischen der deutschen und der chinesischen Wirtschaft zu schaffen. Angefangen hat das Unternehmen mit der Vermittlung von Au-Pair-Mädchen. Drei Jahre später erkannte sie die Notwendigkeit, in der Berufsausbildung deutsche und chinesische Player enger zusammenzubringen. "Damit waren wir aber zu früh", meint die Managerin, "auf hochwertige Berufsausbildung wurde zu diesem Zeitpunkt in China noch kaum Wert gelegt."

Inzwischen hat sich das geändert. China verfolgt mit der Strategie "Made in China 2025" eine Neuausrichtung der einheimischen Wirtschaft. Produktion am oberen Ende der Wertschöpfungskette soll die "einfache" Massenherstellung ersetzen. Innovative Industrien haben Priorität. "'Made in China 2025' kann nicht mit Hilfskräften zum Erfolg geführt werden", erklärt Teana He. "Es reicht nicht aus, die modernste Hardware einzuführen." Inzwischen spüren chinesische Unternehmen den Mangel an qualifizierten Fachkräften, die nicht nur theoretische Fähigkeiten haben, ebenso wie ausländische Firmen in China.

Teana He belegt das mit Zahlen: In China seien 2015 etwa 90 Robotik-Facharbeiter ausgebildet worden. Gleichzeitig würden jährlich 60.000 Roboter in Betrieb genommen. Pro Roboter seien vier Bediener erforderlich.

In Zusammenarbeit mit deutschen Berufsschulen, Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammern hat Synergy daher vor fünf Jahren das Projekt "Berufsbildung" wieder in Angriff genommen, um vor allem für die Bereiche Fahrzeugbau, CNC und Mechatronik Fachkräfte auszubilden.

Das deutsche Duale Berufsausbildungssystem ist in China längst zu einem "Hit" geworden. In Deutschland gehört aber auch dazu, dass Unternehmen ihre Fachkräfte selber ausbilden. In China ist das anders. Volker Wagner stellt fest, dass große Unternehmen, insbesondere die ausländisch investierten, inzwischen erkannt hätten, wie wichtig es ist, die eigenen Spezialisten selbst auszubilden. "Den kleinen fehlen aber die Mittel dazu."

"Entwicklungshilfe" für die zweite Reihe

Vor allem in den kleineren Städten der sogenannten zweiten Reihe fehlen derzeit noch Kapazitäten für eine qualifizierte Berufsausbildung. Dies insbesondere, weil diese Städte als alternative Standorte zu den entwickelten Wirtschaftsmetropolen an der Ost- und Südküste immer mehr an Bedeutung gewinnen. Sie werben gezielt um deutsche Investoren, die sich allerdings nur ansiedeln werden, wenn sie auch die entsprechenden Fachkräfte für ihre Produktion finden.

Hier setzt Synergy an – seit 2014 mit neuer Energie. In Städten wie Baotou oder Nanning, Anqing oder Baoding baut das Unternehmen in Kooperation mit lokalen Berufsschulen und deutschen Partnern modernste Berufsbildungszentren auf, in denen Fachkräfte sowohl für deutsche als auch chinesische Unternehmen ausgebildet werden. Das Zentrum in Anqing in der Provinz Anhui wird Anfang 2018 mit der Ausbildung beginnen. In den Aufbau wurden 150 Millionen Yuan investiert, knapp 20 Millionen Euro.

Die Zentren orientieren sich an den beruflichen Erfordernissen für die vierte industrielle Revolution. Robotik wird ein Schwerpunkt in der Ausbildung sein, aber auch das Kernfach für Industrie 4.0, Mechatronik, die Kombination aus Mechanik, Elektronik und Informatik.

An den Zentren, die ausschließlich mit modernster Technik aus Deutschland ausgestattet werden, soll die Ausbildung in drei Phasen erfolgen, wobei die Lehrbücher und -materialien von Synergy auf Grundlage deutscher Ausbildungsprogramme erstellt werden. Dafür haben sie vom Wuppertaler Verlag Europa Lehrmittel die Lizenzen erworben, um das Material ins Chinesische zu übersetzen.

"Unser Ziel ist es, pro Jahr 50.000 Facharbeiter dem Markt zur Verfügung zu stellen", sagt Teana He. Möglich sei eine Teilausbildung in einzelnen Modulen, aber auch eine komplette Berufsbildung. "Unsere Zentren sind sozusagen der 'Ersatz' für die Ausbildungsbetriebe in Deutschland."

Volker Wagner bezeichnet das Projekt als "Entwicklungshilfe". Die geplanten Zentren versteht Synergy als "Modelle" für die duale Berufsausbildung in China. Deshalb geht es auch nicht nur darum, Kapazitäten für die praktische berufliche Ausbildung aufzubauen.

In der Startphase werden in den Zentren Ausbilder aus Deutschland arbeiten. Wichtig sei aber, chinesische Ausbilder heranzubilden, Methoden zu vermitteln, den künftigen Berufsschullehrern das Handwerk an die Hand zu geben, damit aus den "Modellen" mehr werden kann. In den Anfangsjahren der chinesischen Reformen gab es in China einen sogenannten "Funken-Plan", um im Land die Hochtechnologie-Entwicklung voranzutreiben. Aus dem Funken sollte ein Feuer entstehen. Ähnlich können die Synergy-Projekte verstanden werden.

Dem Synergy-Team in Peking ist bewusst, dass es nicht ausreicht, Zentren für moderne und den Erfordernissen der Zeit entsprechende berufliche Ausbildung aufzubauen. Es müsse auch etwas getan werden, um das Image eines Facharbeiters in China aufzupolieren. Schon Kinder sollen erfahren, welche Chancen ihnen offenstehen, wenn sie sich entscheiden, Facharbeiter zu werden.

So sollen die Zentren künftig auch den Grund- und Mittelschulen offenstehen, für Schnupperkurse in den Labors. Es geht darum, die Kinder schon früh zu begeistern, in der Produktion mit Hand anzulegen, kreativ zu sein und zu erkennen, dass Innovation nicht ausschließlich durch akademisches Wissen vorangetrieben werden kann.


Quelle: OWC-Verlag für Außenwirtschaft GmbH, ChinaContact, Ausgabe 08/2017, 27.07.2017