Bildungsmarkt USA: Eingriffe in die Bildungslandschaft

Mann benutzt Tablet und schaut auf Roboterarm
© Georgijevic/iStockphoto.com
Das Lernen mit modernen Bildungstechnologien nimmt an US-amerikanischen Schulen und Universitäten zu – auch als Reaktion auf die steigenden Kosten akademischer Bildung. Dabei müssen sich Bildungseinrichtungen und -behörden, die für Aufsicht und Kontrolle zuständig sind, zunehmend mit kommerziellen Geschäftsstrategien und den Spielregeln des freien Marktes auseinandersetzen.
Hightech-Unternehmen aus dem Silicon Valley engagieren sich zunehmend mit Bildungsinitiativen in Schulen. Das Unterhaltungsunternehmen Netflix etwa spürt mit einem Computerprogramm, das normalerweise die Gewohnheiten und Vorlieben von Kunden des Firmenangebots analysiert, den Interessen und Neigungen von Schülerinnen und Schülern nach und stellt entsprechende Bildungsprogramme zusammen. Reed Hastings, der Geschäftsführer von Netflix, hat eine Lernplattform namens DreamBox Learning finanziert, mit der heute mehr als zwei Millionen Jungen und Mädchen Zusatzlektionen in Mathematik bearbeiten können.

Die Software beinhaltet Elemente animierter Videospiele und ist nicht zuletzt deshalb bei den jungen Nutzerinnen und Nutzern sehr beliebt. DreamBox Learning verfolgt aber auch jeden einzelnen Klick, richtige Antworten, Verzögerungen und Fehler und sammelt damit rund 50.000 Einzeldaten pro Lernendem pro Stunde. Dieses Wissen soll die Software nutzen, um die Mathelektionen an die individuellen Bedürfnisse anzupassen und auch um den Lehrkräften zu helfen, die Bereiche zu erkennen, mit denen die Kinder in ihrer Klasse Schwierigkeiten haben.

Facebook lässt in einem mehr als 100 Schulen umfassenden, landesweiten Versuch die Schülerinnen und Schüler selbst bestimmen, was sie lernen wollen, und verändert so die Rolle der Lehrkräfte, die eine eher beratende Funktion übernehmen sollen. Nach dem Willen von Facebook-Gründer Marc Zuckerberg sollen sich Schülerinnen und Schüler ganz nach eigenem Wunsch zusammenfinden und an Laptops arbeiten. Dabei sollen sie eine Software nutzen, mit der sie ihre Aufgaben selbstständig auswählen und in ihrem eigenen Tempo bearbeiten können. Facebook hat diese Software mitentwickelt. Nur wenn Schwierigkeiten auftauchen, sollen Lehrkräfte bereitstehen, um die Lernenden zu unterstützen. Am Ende jeder Lerneinheit gilt es, einen Multiple-Choice-Test mit zehn Fragen zu bestehen.

Risikokapital für öffentliche Einrichtungen

Die Firma Salesforce schließlich, ein führender Anbieter Cloud-basierter Marketing- und Verkaufssoftware, vergibt "Innovation Grants" zu jeweils 100.000 United States (US)-Dollar an Schulleiterinnen und Schulleiter, damit sie "mehr unternehmerisch und weniger bürokratisch" handeln. Marc Benioff, der Chef von Salesforce, hat dem Schuldistrikt von San Francisco 100 Millionen US-Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren zugesagt und die Schulverwaltung kann jährlich eine Art "Wunschliste" für Anschaffungen bei Salesforce einreichen. Die Schulen bekommen aber nicht nur Geld, sondern auch Vorgaben für das Management ihrer Einrichtung. Mit dieser Art der Eingriffsmöglichkeit in Bildungsbelange mutiert seine Unterstützung zu einer Art "Risikokapital2 für öffentliche Einrichtungen.

Mit dem Geld hat der Schuldistrikt bislang Mathematiklehrkräfte angestellt und einen umfassenden Informatik-Lehrplan für Kinder und Jugendliche vom Prä-Kindergarten bis zur zwölften Klasse entwickelt. Weitere Mittel flossen in die Installation von WiFi in Schulen und in die Anstellung von Technik-Coaches für Lehrerinnen und Lehrer. Die Schulleitungen haben mit ihren Zuwendungen unter anderem Clubs für Robotertechnik ins Leben gerufen und Schulbibliotheken neugestaltet, damit die Lernenden dort besser mit ihren Laptops arbeiten können.

"Amerikas Bildung umdenken"

Natasha Singer von der New York Times hat diese Beispiele für ihren Artikel "The Silicon Valley Billionaires Remaking America's Schools" recherchiert und nennt diese Entwicklung ein "einzigartiges Bildungsexperiment, bei dem Millionen von Schülerinnen und Schülern als de facto Beta-Tester für die Ideen einiger der reichsten und mächtigsten Titanen des 21. Jahrhunderts dienen. Einige der Technologieführer glauben, dass man mit einer Technik-orientierten Geisteshaltung so ungefähr jedes System verbessern kann und dass ihr Geschäftssinn sie dafür qualifiziert, Amerikas Bildung umzudenken".

In allen Fällen beeinflussen die reichen Gönner, welche Fächer gelehrt werden, die Lernmittel und fundamentale Ansätze für das Lernen. Dadurch entsteht ein ausgeprägtes Spannungsfeld, in dem sich die schulische Bildung bewegt: Einerseits ermöglichen es moderne Technologien, Bildung individueller und möglicherweise effektiver zu gestalten. Andererseits streben die Entwickler dieser Technologien auch nach einer Führungsrolle bei der inhaltlichen Gestaltung der Bildungsziele und -prozesse, für die ihnen allerdings die gesetzliche Legitimierung fehlt.

Megan Tompkins-Stange, Professorin für Politikwissenschaften an der Universität von Michigan, bringt die Kritik an den Unternehmen und ihren Geschäftspraktiken folgendermaßen auf den Punkt: "Sie haben die Macht, die grundlegende Strategie zu verändern, aber es gibt keine entsprechende Kontrolle dieser Macht. Das untergräbt den demokratischen Prozess."

"Gläserne" Schülerschaft droht

Außerdem gibt es bislang nur wenige Erkenntnisse darüber, ob die Bildungsinitiativen der Tech-Giganten die Leistungen der Kinder und Jugendlichen tatsächlich verbessern oder ob sie eher oder ausschließlich den Unternehmen nützen. Das DreamBox-Beispiel zeigt, wie leicht nicht nur Lernleistungen, sondern auch die Lernenden selbst für kommerzielle Anbieter "gläsern" werden.

Amerikanische Industriekapitäne nutzen bereits seit Langem ihre finanziellen Möglichkeiten, um auf das Bildungssystem Einfluss zu nehmen. Im Unterschied zu früher treten sie heute aber direkt über soziale Medien an die Schülerschaft, den Lehrkörper und die Eltern heran. Lehrkräfte werden gezielt als Multiplikatoren für Produkte umworben. So kann man rasch zahlreiche Unterstützer um sich scharen, die ihrerseits Gesetzgeber und Bildungsbehörden beeinflussen können.

Ein weiterer Unterschied: Manche Unternehmen intervenieren auf fast jeder Stufe der "Versorgungskette" für Bildung: Sie finanzieren Kampagnen, um Bildungsstrategien zu verändern, entwickeln Lern-Apps und bezuschussen die Lehrerausbildung. Laut Larry Cuban, einem emeritierten Professor für Erziehungswissenschaften an der Stanford Universität, handelt es sich hierbei um einen "fast monopolistischen Ansatz für eine Bildungsreform".

Bei all dem darf man nicht vergessen: Die Initiativen gehen Hand in Hand mit den Bemühungen von Silicon Valley, Computer und Software an amerikanische Schulen zu verkaufen. Dieser lukrative Markt soll bis 2020 rund 21 Milliarden US-Dollar umfassen. Schon heute nutzen mehr als die Hälfte der Schüler der Primar- und der Sekundarstufe in den USA Google-Services wie Gmail in ihren Schulen.

Lernen ohne Lehrkräfte

Auch in amerikanischen Hochschulen sind Bildungstechnologien bereits weit verbreitet. Dazu zählen etwa Massive Open Online Courses (MOOCs) und Online-Lernplattformen, die vergleichsweise kostengünstige Möglichkeiten darstellen, um Wissen zu vermitteln. Personalisierte Lernsoftware unternimmt dabei den Versuch, einzelne Lernziele zu definieren, Inhalte zu identifizieren, die auf die Erreichung dieser Lernziele abgestimmt sind, die Inhalte in einzelnen Lernmodulen zusammenzufassen, sie den einzelnen Lernenden gemäß ihren Wüschen zur Verfügung zu stellen und diesen gesamten Prozess zu automatisieren, damit er für viele verschiedene Lernende in unterschiedlichen Kontexten wiederholbar wird. Häufig entfällt in diesem Design die (vergleichsweise teure) Lehrkraft.

Mit Hilfe von Edtech sollen nach dem Willen ihrer Entwickler verschiedene Bildungsziele an Hochschulen besser erreicht werden: Die Studierenden sollen einfacher lernen und das Gelernte besser behalten. Auch das Lehren soll effizienter funktionieren, weniger Kosten verursachen und es soll insgesamt ein verbesserter Zugang zu Bildung geschaffen werden. Auch wenn nicht ausreichend belegt ist, dass der Zugang zu Bildungstechnologien für bessere Lernresultate sorgt, gilt Lernen mit digitalen Medien als Lösung für viele Bildungsprobleme. Warum ist das so?

In ihrem Artikel "The Rise of Educational Technology as a Sociocultural and Ideological Phenomenon" werfen die beiden Pädagogik-Professoren George Veletsianos und Rolin Moe einen Blick auf die Rahmenbedingungen, in denen sich höhere Bildung in den USA heute bewegt. Dabei zeigt sich, dass immer mehr (potenzielle) Studierende den Nutzen der hohen und nach wie vor steigenden Kosten für eine Hochschulausbildung infrage stellen.

Im Lauf der vergangenen 30 Jahre haben sich die Kosten für einen Collegebesuch um mehr als 225 Prozent erhöht, während sich die Anzahl der Studierenden, die Collegekurse mit einem anerkannten Abschluss besuchen, mehr als verdoppelt hat. Die Aussichten für die zukünftige Bezuschussung höherer Bildung durch nationale Programme oder auf Ebene der Bundesstaaten sind nicht vielversprechend, sondern lassen (weiterhin) Kürzungen erwarten.

Außerdem lässt die Immigrationspolitik der neuen US-Administration einen möglichen Kostensprung für einen Hochschulbesuch in den USA befürchten. Weil internationale Studierende an einigen Hochschulen mit ihren Studiengebühren einen nennenswerten Deckungsbeitrag leisten, müsste ein Rückgang dieser Mittel infolge eines nachlassenden Interesses aus dem Ausland unter Umständen durch höhere Studiengebühren für US-Bürgerinnen und -Bürger aufgefangen werden. Manche Wissenschaftler sprechen angesichts dieser Situation von einer "Bildungsblase", die bald zu platzen droht, mindestens aber einer bevorstehenden Konsolidierung und Flurbereinigung in der US-amerikanischen Hochschullandschaft.

"Wunderwaffe" Online-Bildung

Im Falle eines Crashs kann auf dem Bildungsmarkt nur überleben, wer seine Produkte kostengünstiger anbieten kann. Dies soll durch die "Wunderwaffe" Edtech bewerkstelligt werden. Deren Befürworter empfehlen außerdem, Bildung künftig den Kräften des Marktes ohne jede Einschränkung auszusetzen. Dann würden die Kosten geringer und die Qualität der angebotenen Serviceleistungen automatisch besser.

Entsprechend werden eine weitere Reduzierung der Zuschüsse durch die Regierung, die Deregulierung der Studiengebühren und ein vermehrter Wettbewerb unter den Universitäten empfohlen. Um die Kosten für Bildung zu reduzieren, soll Online-Bildung als kostengünstige Alternative zu traditionellen Bildungsangeboten gefördert werden. Dazu schlagen die Reformer vor, technologiebasierte Public-Private-Partnerships zu forcieren und die Akkreditierungs-Beschränkungen für Edtech-Projekte herabzusetzen.

Die Befürchtungen der Kritiker: Dies werde einen Privatisierungsprozess langfristig gewachsener öffentlicher Strukturen vorantreiben. Privaten und kommerziellen Akteuren werde ein wesentlich größerer Zugriff auf die öffentliche Bildung gewährt werden als bislang. Vorprogrammiert seien Konflikte zwischen Bildungsbehörden und kommerziellen Anbietern über soziale Belange der Studierenden und die kurz- und langfristigen Ziele, die mit den Bildungsmaßnahmen erreicht werden sollen.

Die Forscher Veletsianos und Moe fordern, dass Bildungs-Wissenschaftler und Technologie-Entwickler in Zukunft intensiver kooperieren sollten, um eine transparente und unabhängige Evaluierung von Bildungsprodukten zu ermöglichen. Es gibt bereits erste gemeinsame Ansätze, um das Lernen mit digitalen Medien besser zu verstehen, aber noch bilden sie die Ausnahmen von der Norm. Wenn es gelingt, Lern- und Lehrprozesse besser zu verstehen, kann auch der Wert von Technologien für die Bildung besser eingeschätzt und gesteigert werden, wovon alle Beteiligten profitieren würden.

Fachartikel Bildungsmarkt USA

Dieser Fachartikel ist dem aktuellen iMOVE-Exportmagazin xPORT (Ausgabe 2/2017) entnommen, das im November erschienen ist.

  • Autorin: Silvia Niediek

xPORT-Magazin 2/2017

Titel des Exportmagazins, grafische Darstellung Roboterkopf
Bestellen Sie die gedruckte Ausgabe 2/2017 des iMOVE-Exportmagazins xPORT per E-Mail.

Bildungsmarkt USA

wehende Nationalflagge USA

Marktinformationen USA 


Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT - Das iMOVE-Exportmagazin, Ausgabe 2/2017