Bildung statt Flucht

Subsahara-Afrika. Armut ist einer der Hauptgründe für die Flucht nach Europa. Deutsche Unternehmen zeigen Perspektiven auf, indem sie ihr Know-how an junge Menschen vor Ort weitergeben.

Ein fast alltägliches Szenario irgendwo in Afrika, etwa in Ghana, Nigeria oder Senegal: Eltern nehmen einen Kredit auf und verkaufen alle Besitztümer, um das Geld für einen Schlepper aufzubringen und ihrem Sohn die Flucht nach Europa zu finanzieren.

Selbst ausgebildete junge Handwerker wollen lieber eine gefährliche Überfahrt nach Europa riskieren, als in der Heimat ein Leben am Existenzminimum in einem schlecht bezahlten Job zu fristen. "Ich habe meinem Sohn geraten, seinen Pass ins Meer zu werfen", erzählt ein Vater, "wir haben nichts, nicht genug zu essen, keine Arbeit. Er ist alles, was wir haben, das Kostbarste, unsere Hoffnung."

Wenn es Menschen aus einem ganz "normalen", politisch stabilen afrikanischen Land bis nach Europa schaffen, heißen sie "Wirtschaftsflüchtlinge". Im Unterschied zu den anerkannten klassischen Gründen für ein Asylrecht wie Krieg, Bürgerkrieg, Vertreibung, politische Verfolgung oder Unterdrückung, sind sie auf der Flucht vor der Armut. In der Realität handelt es sich bei den Flüchtlingen aus Afrika zumeist um eine Kombination aus mehreren Beweggründen.

Oft ist es noch nicht einmal die Armut, die die Menschen zu ihrer riskanten Flucht motiviert, sondern – wie die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie im Bestseller "Americanah" schreibt – "die niederdrückende Ausweglosigkeit, der Hunger nach Wahlmöglichkeiten und Sicherheit". Mit solchen trüben Aussichten für ihr gesamtes Leben kämpft die überwiegende Mehrzahl der Einwohner in fast allen Ländern Subsahara-Afrikas.

Auch in diesen Ländern mit wachsender Mittelschicht wie Nigeria, Angola oder Ghana nimmt die Einkommenskluft zwischen den Gutverdienenden und den am Existenzminimum lebenden Bürgern stetig zu. Wichtigste Ursache ist der Mangel an regulären, ordentlich bezahlten Arbeitsplätzen für die jährlich steigende Zahl von Schulabgängern, eine Folge des anhaltend hohen Bevölkerungswachstums. Die junge Erwerbsbevölkerung ist das Zukunftspotenzial Afrikas – aber nur, wenn sie gut ausgebildet wird für qualifizierte, gut bezahlte Jobs, die jedoch in den Ländern erst einmal geschaffen werden müssen.

 

Perspektiven geben

 

Für junge Menschen in Afrika ist Bildung der einzige Weg aus der Armut. Das deutsche Unternehmen Alexander Binzel Schweißtechnik aus Hessen hat ein firmeneigenes Ausbildungsprojekt in Kamerun ins Leben gerufen, um qualifizierte Arbeitskräfte vor Ort auszubilden.

"Als wir dorthin kamen, waren die Zustände verglichen mit unseren Standards katastrophal. Wir haben uns mit dem Stahlverarbeiter Cometal zusammengetan und bilden nun junge kamerunische Schweißer an unseren eigenen Schweiß- und Schneidbrennern aus", berichtet Manfred Stöhr, Business Development & Key Account Manager International bei Binzel. "Wir geben ihnen Perspektiven und erteilen ihnen ein Zertifikat, das sie vorweisen können."

Von dem Projekt profitieren letztendlich beide Seiten. "Wenn wir unsere Produkte in den Ländern Subsahara-Afrikas verkaufen wollen, müssen wir dort die jungen Leute an unseren eigenen Geräten ausbilden." Seit zwei Jahren ist Binzel in Kamerun aktiv, die Geschäfte entwickeln sich positiv. "Wir rechnen aber noch mit einem Jahr bis zur Gewinnschwelle", sagt Projektleiter Stöhr. "Als Investor in der Region muss man Geduld und Ausdauer haben."

Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) präsentiert in einem aktuellen Bericht zu dem Thema acht Erfolgsgeschichten unterschiedlicher Branchen und Unternehmen aus Subsahara-Afrika.

Dazu zählen das Trainingsprogramm der Leipziger Firma Sachsen Wasser GmbH für die ländliche Wasserversorgung in Tansania sowie die International Training & Support, die die Ausbildung von Technikern in Adamawa (Nigeria) aufbaut. In Mosambik ist die "Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen in Baden-Württemberg" mit Trainingsangeboten für Lehrer tätig, und im kongolesischen Kinshasa wurde in Kooperation mit einer lokalen Universität und mithilfe der Frankfurt School of Finance & Management Bankakademie die Central Africa Europe Business School errichtet.

Die Delegation der Deutschen Wirtschaft in Nigeria führt seit 2012 gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer Gießen-Friedberg ein vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördertes Projekt zur Einführung einer dualen Berufsausbildung durch. Im Rahmen dieses Projekts werden insgesamt 180 Auszubildende und Ausbilder in vier Berufen geschult.

Neben dem kaufmännischen Beruf Office Administration wird in drei technischen Berufsfeldern ausgebildet: Industrial Electronics, Industrial Mechanics und Technical Facility Management. Ziel des Projekts ist es, die duale Berufsbildung schrittweise in Kooperation mit den eingebundenen lokalen Akteuren auszubauen, sodass sie nachhaltig im Land implementiert werden kann.

Diese Erfolgsgeschichten stellen Leuchtturmprojekte dar, die direkt an der Wurzel des Problems ansetzen: der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit, besonders unter jungen Menschen.

Aber der demografische Druck steigt weiter. Die Einwohnerzahl Afrikas wird sich bis 2050 etwa verdoppeln, auf knapp zwei Milliarden Menschen. Es bedarf vieler weiterer Ideen und Initiativen, um Perspektiven für die junge Erwerbsbevölkerung Afrikas zu schaffen.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, 02.10.2015