Vietnam: Weder universitäre noch berufliche Bildung können Nachfrage der Wirtschaft befriedigen

In Vietnam übersteigt die Nachfrage das Angebot von Arbeitskräften in vielen Branchen und Berufen bei Weitem. Westliche Geschäftsleute sind mittlerweile der Ansicht, dass das größte Entwicklungshindernis die falsche oder zu geringe Ausbildung der Vietnamesen ist.


Hanoi (bfai) - Die Wirtschaft des südostasiatischen Landes Vietnam leidet zusehends unter einem Mangel an Arbeitskräften. Das hohe Wachstum, das in den vergangenen Jahren regelmäßig über der Rate von 8 Prozent lag, die seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO stark gestiegenen Auslandsinvestitionen sowie Mängel im Ausbildungssystem haben dazu geführt, dass immer mehr Stellen temporär oder sogar auf Dauer nicht besetzt werden können.

Jedenfalls übersteigt die Nachfrage das Angebot von Arbeitskräften in vielen Branchen und Berufen bei Weitem. Westliche Geschäftsleute sind mittlerweile der Ansicht, dass das größte Entwicklungshindernis die falsche oder zu geringe Ausbildung der Vietnamesen ist.

Der Mangel ist an allen Ecken und Enden offensichtlich. Es fehlt an Fachleuten in den Bereichen Infrastruktur, Informationstechnologien, Telekommunikation, Rechtsanwälten, Marketingexperten, Analysten und Projektmanager. Während alleine im Jahr 2007 nach Angaben von "vietnamworks.com", dem führenden Jobportal des Landes, der Nachfrageindex um 67 Prozent nach oben stieg, kletterte der Angebotsindex nur um 22 Prozent.

"Es gibt sehr viele Abgänger von Universitäten und von Berufsschulen, aber die Firmen übernehmen nur wenige von ihnen, da sie nicht über die richtige Ausbildung verfügen", sagt der Direktor der Universität von Danang. Bei den durchgeführten Job-Bazars in den Zentralprovinzen überstünden weniger als die Hälfte der Kandidaten auch nur die Vorrunde der Bewerbungsgespräche.

Die in der Nähe von Danang gelegene Stadt Hue meldete jüngst, dass die lokalen Betriebe von 7.000 Anwärtern nur 500 übernehmen konnten.

Studenten mit Theorie überfüttert

Nach Aussagen der "Headhunting"-Firma HR Pro suchen über 90 Prozent der auslandsfundierten Betriebe nach Arbeitskräften, können den Bedarf aber nicht decken. Ursache seien falsche Lehrpläne, die die Studenten mit Theorie überfütterten, während praktische Fähigkeiten zu wenig gelehrt würden. Im Ergebnis seien die Studienabgänger irritiert, wenn sie mit tatsächlichen Schwierigkeiten konfrontiert würden.

Zentrales Problem scheint die Qualität und weniger die Quantität der Lehre zu sein. Die Ausgaben für Erziehung und Ausbildung des Landes beliefen sich in den letzten Jahren immer auf etwa 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - ein Wert, der international gesehen im Mittelfeld liegt.

Vietnam verfügte Ende 2006 über fast 300 Universitäten und Colleges mit insgesamt 1,7 Millionen Studenten, und allein in den vergangenen drei Jahren kamen weitere 69 Universitäten sowie 28 Colleges hinzu. Allerdings ist die Qualität der Lehre mangelhaft, meint der Direktor der National University of Hanoi. Die Probleme in der Lehre werden nach Ansicht von Beobachtern weiter zunehmen, da Hanoi die Anzahl der Studenten bis 2020 mehr als verdoppeln möchte.

Der Arbeitskräftemangel betrifft aber nicht nur Universitätsabgänger, sondern auch das Angebot für viele Branchen der Verarbeitenden Industrie. So haben Betriebe im Schiff- und Kfz-Bau, aber auch im Maschinenbau sowie in der Elektrotechnik Schwierigkeiten, ausgebildete Arbeitnehmer zu finden.

Das gleiche gilt für den boomenden Bausektor, der nicht genug Zimmerleute, Klempner, Betonbauer auftreiben kann. Hier zeigt sich das Fehlen einer gut strukturierten beruflichen Ausbildung.

In der Folge nimmt das "Job-Hopping" immer mehr zu. Firmen engagieren häufig "Headhunter", um der Konkurrenz Arbeitskräfte abzujagen, und die Fluktuationsrate soll in bestimmten Branchen bei mehr als 15 Prozent pro Jahr liegen. Parallel müssen zwischenzeitlich immer häufiger Löhne gezahlt werden, die mit der eher geringen Produktivität der Arbeitskräfte nicht mehr vereinbar seien, wird moniert.

"On-the-job-training" im Ausland

Manche der größten Auslandsinvestoren gehen eigene Wege, um der mangelnden Ausbildung der Arbeitskräfte entgegenzuwirken. Für Firmen wie Intel, die Milliarden im Lande investiert haben, bleibt offensichtlich keine andere Alternative, als Hunderte von Mitarbeitern zum "On-the-job-training" für längere Zeit ins benachbarte asiatische Ausland zu senden, um ihnen dort die Kenntnisse beizubringen, die die Fertigung in Vietnam erfordert.

Auch die taiwanesische Foxconn-Gruppe, die insgesamt 5 Milliarden US-Dollar in Vietnam investieren will, geht dieses Problem strategisch an. Alleine 2007 wurden Hunderte von Mitarbeitern auf allen Stufen des Betriebes nach China oder in andere Länder geschickt, in denen Foxconn Fertigungsstätten unterhält.

Schließlich ist auch die Nachfrage nach Managern und anderem leitendem Führungspersonal inzwischen so groß, dass immer mehr "Expatriates" aus dem Ausland zum Zuge kommen - trotz der hohen Kosten. Hanoi sah sich kürzlich gezwungen, die bislang geltende Regel, dass in einer Firma maximal 3 Prozent Ausländer beschäftigt werden dürfen, ersatzlos zu streichen.

Nach Angaben von "vietnamworks.com" wurden im 1. Quartal 2008 im Vergleich zur Vorjahresperiode um zwei Drittel mehr Verträge mit Ausländern abgeschlossen. Insgesamt sollen derzeit in Vietnam etwa 40.000 "Expats" arbeiten.

Quelle: bfai online-news vom 14.07.2008, www.bfai.de, von Bernd Schaaf, asien@bfai.de