Deutsches Bildungssystem als Vorbild für Süd-Europäer

Der griechische Chef der Agentur für Berufsbildung der Europäischen Union (EU) hat ein Modell für den Kampf gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Eine Abkehr von der Fixierung auf ein Hochschulstudium als Bildungs- und Ausbildungsideal fordert der neue Chef der EU-Agentur für Berufsbildung Cedefop, James Calleja: "Statistiken zeigen, dass für 40 Prozent einer Kohorte learning by doing normalerweise der beste Weg ist", sagt er im Gespräch mit der "Welt". Die duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild biete große Chancen für die Arbeitsmärkte und damit auch für die Arbeitslosen in Südeuropa.

Mit Ratschlägen und Expertise will seine Agentur die EU-Länder dabei beraten, EU-Strategien gegen Jugendarbeitslosigkeit umzusetzen und Menschen so in Arbeit zu bringen. "Nicht alle Mitgliedsstaaten fliegen bei der Umsetzung auf gleicher Reisehöhe", sagt er. "Manche sind wohl auch erst noch auf der Startbahn."

Auch wenn sich die Wirtschaft in Südeuropa zu erholen beginnt, die Jugendarbeitslosigkeit bleibt hoch, in Griechenland liegt sie bei knapp 60 Prozent. Eine "Jugendgarantie" gibt die EU-Kommission daher seit vergangenem Jahr (2013) allen Schulabgängern: Die Garantie, dass sie binnen Monaten in Aus- oder Weiterbildung sind oder einen Arbeitsplatz finden.

2014 ist das Jahr, in dem sich erweisen muss, ob diese Garantie hält: Bis Ende Dezember mussten diejenigen EU-Staaten einen Aktionsplan vorlegen, in denen die Jugendarbeitslosigkeit über 25 Prozent liegt. Calleja fordert, den Worten Taten folgen zu lassen: "Die EU-Mittel sind ein erheblicher Beitrag und werden die Ausbildung junger Menschen beschleunigen", sagt er.

Kann man Jobs einfach versprechen? Was fehlt, um aus der Garantie ein hilfreiches Instrument zu machen? "Reformen von Berufsausbildung und Lehre sind ein wichtiger Schritt", sagt Calleja. Für den Fall, dass das passiere, hat Calleja Hoffnung: "Ich bin sicher, dass besonders die Jugendarbeitslosigkeit bis 2016 abnehmen wird und dass die derzeitigen Reformen eine anhaltend positive Wirkung haben werden." "Die duale Ausbildung in Deutschland ist keine Blaupause für jedes Land, aber eine Inspiration ist sie", sagt Calleja. In Griechenland etwa begann im Dezember ein dualer Ausbildungsgang in der Gastronomie.

Auch Spanien und Portugal sowie Lettland haben sich vor einem Jahr darauf verpflichtet, die Ausbildung im Betrieb in ihren Ländern einzuführen. "Das war wichtig ", sagt Calleja, ein Bildungsexperte aus Malta, der im Herbst an die Spitze der Cedefop berufen wurde.

Tatsächlich zeige die Situation in all den Ländern, aber auch weltweit, "etwa in Südkorea", dass eine große Zahl von Universitätsabsolventen allein kein Rezept gegen Jugendarbeitslosigkeit sei, sagt Calleja. Selbst wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften mit höheren Abschlüssen in Europa rasch zugenommen habe, gelte: "Statistiken zeigen, dass die höchste Nachfrage nach Arbeitskräften in mittleren Qualifikationsniveaus besteht", sagt er. "Wir müssen die Menschen also heute mehr dahin lenken, wo diese Nachfrage besteht", sagt er.

Ein Hindernis für die von Jugendarbeitslosigkeit am meisten gebeutelten Länder in Südeuropa sieht Calleja in mangelnder Reputation von Ausbildungsberufen. "Eine Berufsausbildung hat in manchen Ländern ein schlechtes Image bei Jugendlichen und ihren Familien. In einigen Ländern ist das die Herausforderung, die zu meistern ist."

Das gilt in jedem Fall für Griechenland, wo Callejas Agentur beheimatet ist. Der Gewerkschaftsfunktionär Christos Goulas bestätigt: "Wer eine Lehre macht, wird als Verlierer angesehen, als einer, der es nicht bis an die Uni geschafft hat."

Dabei ist ein Hochschulabschluss nicht nur keine Jobgarantie, sondern auch kein Beleg für tatsächliche Bildung. Die Bildungsstudie Piaac – als Pisa für Erwachsene apostrophiert – aus dem vergangenen Oktober zeigt, dass Fertigkeiten nicht immer mit einem formalen Bildungspfad korrelieren.

Die Studie maß weltweit die Kenntnisse von Erwachsenen in grundlegenden Bildungskategorien. In manchen EU-Ländern lagen Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse von Universitätsabsolventen unter denen von Absolventen einer Berufsausbildung.

Calleja zieht zwei Schlüsse aus der Studie. Zum einen: Europa müsse mehr Wert auf Bildungsinhalte legen als auf Form und Institution: "Der deutsche Meisterbrief ist im europäischen Qualifikationsraster ebenso hoch eingestuft worden wie ein Bachelor-Abschluss", nämlich auf Stufe sechs des achtstufigen EU-Qualifikationsrahmens. "Das ist ein Beispiel, dem andere folgen sollten."

Die erfreuliche Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt hänge nicht kausal allein von der dualen Ausbildung ab. "Die niedrige Arbeitslosigkeit in Deutschland liegt an der besseren Wirtschaftsleistung, aber die wird unterstützt von der Verfügbarkeit gut ausgebildeter Arbeitskräfte. Die wiederum ist eine Folge eines guten Ausbildungssystems."

Der zweite Schluss aus der Piaac-Studie setzt früher an: Wer in der Schule die grundlegenden Fertigkeiten nicht gelernt habe, der werde sie sich danach nur noch schwerlich aneignen. "Es darf nicht sein, dass in Europa Menschen die Pflichtschulzeit beenden, ohne dass sie Lesen und Schreiben können und wissen, wie man einen Computer bedient", sagt Calleja. "Das können wir uns nicht leisten."

Cedefop-Zahlen belegen, dass junge Menschen mit einer Berufsausbildung in Spanien, Portugal und Irland mit ihren Lese- und Schreibfähigkeiten unter dem Schnitt der OECD-Länder liegen. Aber auch in Deutschland gibt es Erwachsene, die trotz Lehre Analphabeten bleiben. Für welche Jobs sollen diese Menschen infrage kommen?

"2025 werden nur noch zehn Prozent der Arbeitsplätze keine Qualifikation erfordern. Und es werden Arbeiten sein, die niemand gerne macht", sagt Calleja. "Das Problem ist: Wir haben heute nicht genügend Leute mit ausreichend Fähigkeiten für Jobs im mittleren Qualifikationsniveau."


Quelle: Die Welt, welt.de, 02.01.2014