Unsichere Zeiten für Brasiliens Wirtschaft

Die Proteste in den brasilianischen Großstädten im Juni 2013 sind nach Meinung der meisten Experten keine Bedrohung der politischen Stabilität insgesamt, sondern viel mehr ein Weckruf für die politisch Verantwortlichen. Diese sollen auf ihre zahlreichen Pläne auch Tatsachen folgen lassen und die jahrzehntelang vernachlässigten Themen Bildung, Mobilität und Transparenz angehen.

Brasiliens Konjunktur und Infrastrukturausbau kommen nicht in Schwung. Die Konsumanreize verlieren an Wirkung, Unternehmen zögern mit Investitionen und das globale Umfeld beeinträchtigt die Aussichten stärker denn je. Die Proteste im Juni 2013 sehen Experten jedoch nicht als Ende der politischen Stabilität, sondern als Weckruf, die nötigen Reformen anzugehen. Trotz der momentanen Flaute bleibt Brasilien aufgrund seines langfristigen Wachstumspotenzials ein interessanter Markt.

Die Welle der Euphorie, auf der Brasiliens Wirtschaft 2009 durch die Krisen glitt und dabei beste Haltungsnoten als neue globale Wachstumshoffnung bekam, ist abgeebbt. Die Dynamik des Inlandskonsums lässt langsam nach. Viele Kunden nutzten die mittlerweile ausgelaufenen Steuersenkungen (Kraftfahrzeug, Haushaltsgeräte) für vorgezogene Käufe. Nun lassen die ansteigende Inflation, eine höherer Privatverschuldung bei steigenden Zinsen sowie ein möglicher Verlust des Arbeitsplatzes selbst die kauffreudigen brasilianischen Konsumenten vorsichtiger agieren.

Die Stimmung in der Industrie ist bis auf wenige Ausnahmen pessimistisch. Die Umfrage des Industrieverbands CNI zur Zuversicht der Industrieunternehmen fiel im Juli 2013 das erste Mal seit 2009 unter die Marke von 50 Punkten - dem Übergang von Optimismus zu Pessimismus. Die Industrieproduktion schwankt monatlich so stark, dass momentan kaum Tendenzen abzuleiten sind.

Die Investitionen werden 2013 aufgrund der schwachen Vorjahresbasis dennoch um rund 5 Prozent zulegen. Investitionsentscheidungen werden in erster Linie in Branchen getroffen, für die Sonderregeln gelten, wie das Anreizprogramm Inovar Auto der Kraftfahrzeug-Industrie. Ansonsten fahren Unternehmen momentan ihre Kosten herunter, um international wieder wettbewerbsfähiger zu werden.

Die bislang niedrige Arbeitslosigkeit zeigt erstmals seit 40 Wochen wieder eine ansteigende Tendenz. Allerdings ist damit zu rechnen, dass die Regierung, die 2014 zur Wiederwahl steht, alles tun wird, um Entlassungen im größeren Stil zu verhindern. Dies könnte dem langfristigen Ziel, Produktivität und Effizienz zu erhöhen, entgegenstehen.

Der Primärüberschuss der Regierung wird 2013 voraussichtlich besonders niedrig ausfallen, die Staatsverschuldung steuert auf 70 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu. Zudem droht Brasilien eine Abstufung durch die Ratingagenturen, da die Staatsbanken bereits mehr Kredite ausgeben als die privaten Banken. Das geht nach Meinung der Agenturen auf Kosten der internationalen Kreditwürdigkeit.

 

Externe Faktoren wirken sich stärker aus als früher

 

Das globale Umfeld sorgt für zusätzliche Unsicherheit, zumal die brasilianische Wirtschaft aufgrund des schwächeren Binnenmarkts verwundbarer ist als noch in der Krise von 2009. Aufgrund der Stabilisierung der US-Wirtschaft wird spürbar Kapital aus Brasilien abgezogen. Der brasilianische Real wertete gegenüber dem US-Dollar innerhalb von zwei Monaten um 10 Prozent ab und bewegt sich, nachdem er Anfang 2012 bei 1,80 R-Dollar/US-Dollar stand, nun um die 2,20 bis 2,30 R-Dollar/US-Dollar. Auch der Euro ist auf Höhenflug und liegt bei über 3R-Dollar/Euro.

Der dadurch verteuerte Import wird laut Experten die Inflation erhöhen, die auf bis zu 7 Prozent zum Jahresende prognostiziert wird. Die Zentralbank befindet sich trotz stockender Konjunktur wieder auf dem Weg zu einem höheren Leitzins, was die zurückhaltenden Investitionen weiter verzögern könnte.

Neben der zunehmend negativen Leistungsbilanz wies sogar die bislang stets positive Handelsbilanz zwischen Januar und Juli 2013 ein Minus von 5 Milliarden US-Dollar auf. Hauptverursacher des Defizits war der teure und umfangreiche Import von Erdölderivaten. Aber auch der Export in die wirtschaftlich wieder erstarkenden USA bleibt schwach, ein Indiz für Brasiliens geringe Wettbewerbsfähigkeit bei industriellen Produkten. Die etwas schwächere Konjunktur in der Volksrepublik China, wohin Brasilien seine wichtigen Exportgüter Eisenerz und Soja verkauft, könnte sich in den kommenden Monaten negativ auf die Ausfuhren auswirken.

Symbolhaft für das vorläufige Ende des schnellen und unkomplizierten Wachstums Brasiliens, das 2013 nur noch bei mageren 2 Prozent liegen könnte, sieht die internationale Presse den Absturz von Vorzeigeunternehmer Eike Batista. Der (ehemalige) Multimilliardär hatte sich ein Firmenkonglomerat in Brasiliens wichtigsten strategischen Wachstumsbranchen wie Öl und Gas, Logistik, Energie und Bergbau aufgebaut und sogar einen deutschen Großkonzern zu einer Beteiligung bewegt. Als er dann aber die versprochenen Ergebnisse schuldig blieb und die Zeit der leichten Liquidität zu Ende ging, kollabierte das Imperium innerhalb von kurzer Zeit.

Einige Kritiker sehen Parallelen zur Entwicklung des gesamten Landes, da viele Ressourcen eher in Öffentlichkeitsarbeit und Verkauf fließen, als in nachhaltige Planung und konkrete Projektdurchführung. In der Regel werden Brasiliens Konzerne jedoch solide und professionell geführt. Das wahre Problem des Landes liegt laut Experten eher in den elitären Strukturen und Seilschaften, die oft kein Interesse an einer flächendeckenden Modernisierung und Marktöffnung hätten.

 

Demonstrationen als Warnsignal

 

Die Proteste in den brasilianischen Großstädten im Juni 2013 sind nach Meinung der meisten Experten keine Bedrohung der politischen Stabilität insgesamt, sondern viel mehr ein Weckruf für die politisch Verantwortlichen, auf ihre zahlreichen Pläne auch Tatsachen folgen zu lassen und die jahrzehntelang vernachlässigten Themen Bildung, Mobilität und Transparenz anzugehen.

Damit fordern die Demonstranten letztlich das Gleiche wie die Regierung selbst, die eingesehen hat, dass Brasilien dringend seine internationale Wettbewerbsfähigkeit steigern muss. Es besteht also kein gesellschaftlicher Dissens, sondern Ungeduld und Unzufriedenheit über das Tempo der Reformen.

Der Druck der Straße kann helfen, den nötigen Modernisierungsprozess zu beschleunigen, so Landeskenner. Präsidentin Dilma Rousseff sagte São Paulo umgehend 8 Milliarden R-Dollar an Sondermitteln zu, insbesondere für die Infrastruktur. Das Wachstumshemmnis Korruption, bislang allgemein mit Schulterzucken hingenommen, wird nicht länger toleriert, sondern nun offen diskutiert. Im Fokus steht derzeit eine Kartellabsprache bei früheren Ausschreibungen von U-Bahn-Linien in São Paulo.

Diese Sensibilisierung könnte ein transparenteres Vorgehen bei den anstehenden Konzessionierungen von Häfen, Flughäfen, Autobahnen und Schienenstrecken bewirken. Die Regierung wird zudem aller Voraussicht nach vom milliardenschweren Hochgeschwindigkeitszug Campinas-São Paulo-Rio de Janeiro Abstand nehmen und die Mittel eher in den Ausbau des prekären öffentlichen Nahverkehrs und die Gesundheitsinfrastruktur leiten. Ausländische Direktinvestitionen fließen trotz aller Standortnachteile und der Konjunkturflaute weiter ins Land, da die meisten Experten einen dauerhaften Aufwärtstrend erwarten.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, 13.08.2013