Unternehmen bewerten Polen als besten Investitionsstandort in Mittel- und Osteuropa

Unternehmen schätzen die Qualität der akademischen Ausbildung in Polen. Wesentlich schlechter sieht es in der Berufsbildung aus. Das Problem liegt vor allem in mangelnder Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen mit dem Unternehmertum.

Polen schaffte es zum ersten Mal an die Spitze der attraktivsten Investitionsstandorte in Mittelosteuropa. Dies geht aus den Ergebnissen der Auslandshandelskammer (AHK)-Konjunkturumfrage 2013 hervor. Trotz wirtschaftlicher Flaute wollen im Land ansässige Unternehmer ihr Engagement steigern und glauben, die richtige Standortwahl getroffen zu haben. Der Faktor Mensch zählt weiterhin zu den größten Stärken von Deutschlands östlichem Nachbarn. Die Schwachpunkte werden nach und nach ausgemerzt.

Bereits zum achten Mal führte das Netzwerk deutscher Auslandshandelskammern die Konjunkturumfrage in der Region Mittelosteuropa durch. Im Februar und März 2013 wurden 1.623 Unternehmen in 16 Ländern befragt. Die meisten davon kamen aus dem Dienstleistungssektor (40 Prozent aller Teilnehmer), gefolgt von der verarbeitenden Industrie (26 Prozent) und vom Handel (22 Prozent).

Die Umfrageergebnisse lassen keinen Zweifel daran, dass die Mittel- und Osteuropa (MOE)-Länder von der Euro-Krise in Mitleidenschaft gezogen wurden. So fällt die Beurteilung der aktuellen Wirtschaftslage in der Region schlechter aus als noch im Vorjahr. Dabei liegt der Anteil der Optimisten unverändert bei 10 Prozent, die Gruppe der Pessimisten ist allerdings um vier Prozentpunkte auf 46 Prozent gewachsen. Das Schlimmste scheint jedoch überstanden zu sein, denn mehr als jeder Fünfte glaubt an eine Verbesserung bereits in 2013. Im Vorjahr ließen sich nur 16 Prozent zu einem positiven Jahresausblick hinreißen.

In Polen scheint derweil der Tiefpunkt noch nicht erreicht zu sein: Zwar beurteilen fast doppelt so viele Unternehmer die aktuelle Lage positiv als negativ - der drittbeste Wert in der Region. An eine weitere Verbesserung 2013 glauben aber nur 11 Prozent.

Besser bewertet werden Situation und Aussichten der eigenen Branche und des eigenen Unternehmens. Bei der Branche machen sowohl Optimisten als auch Schwarzseher etwa ein Viertel der Befragten aus. Die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens stufen 38 Prozent der Befragten als gut ein. Genauso viele glauben an eine weitere Verbesserung 2013. Damit einhergehen auch die Pläne für das aktuelle Jahr. Ein Drittel der Befragten in Polen will seine Belegschaft erweitern, 38 Prozent möchten sogar mehr investieren - in beiden Fällen liegt das Land über dem MOE-Durchschnitt.

Nüchterner betrachtet werden dagegen die Exportperspektiven: Glaubt ein Drittel aller insgesamt Befragten an eine Steigerung der Ausfuhren, sind es in Polen nur 26 Prozent. Weitere 63 Prozent meinen aber, ihr Exportniveau halten zu können. Somit dürften die Gesamtausfuhren also zulegen, was auch offizielle Statistiken belegen: Im ersten Quartal schickte das Land an der Weichsel 5,6 Prozent mehr Güter ins Ausland als im Vorjahreszeitraum.

 

Verwaltung in der Kritik

 

"Mit ihrer Standortwahl sind 94 Prozent der 151 in Polen befragten Unternehmer zufrieden. Außer Estland konnte kein anderes Land in der Praxis so überzeugen", unterstreicht Michael Kern, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen). Dennoch gibt es Nachbesserungsbedarf: "Die Effizienz der staatlichen Verwaltung ist [dabei] das größte Problem", meint Janusz Reiter, Polnischer Botschafter in Deutschland a. D. und Vorstandsvorsitzender des Zentrums für internationale Beziehungen (Centrum Stosunkow Miedzynarodowych, www.csm.org.pl). Dies belegen eindeutig die Umfrageergebnisse.

Die vier am schlechtesten bewerteten Standortfaktoren in Polen sind demnach Steuersystem und Behörden, die Effizienz der öffentlichen Verwaltung, die Transparenz der öffentlichen Vergabe sowie die Flexibilität des Arbeitsrechts. All diese Bereiche werden von 40 bis 44 Prozent der Befragten als schlecht oder sehr schlecht bewertet.

Fairerweise sollte allerdings hinzugefügt werden, dass diese Schwachstellen für den gesamten MOE-Raum gelten: Im Falle der Staatsaufträge werden nur Estland und Mazedonien besser bewertet, in allen anderen befindet sich Polen immer noch in der oberen Hälfte der Länder.

"Das Steuersystem ist zu kompliziert und ändert sich sehr häufig, das Arbeitsrecht ist viel zu unflexibel", so bringt es Wojciech Skrudlik, Vorstandsmitglied vom MAN Accounting Center in Posen, auf den Punkt. Allerdings wandelt sich die Lage zum Besseren: Traf das Callcenter noch vor kurzem wegen des Zeitunterschiedes auf arbeitsrechtliche Hindernisse bei der Bedienung von Kunden zum Beispiel in den USA, so wurde bereits eine Gesetzesnovelle auf den Weg gebracht, die in diesem Fall die Tätigkeit erleichtert.

"Die Unvorhersehbarkeit der Besteuerung ist ein [weiteres] Problem", moniert Dr. Dirk Elvermann, Vorstandsvorsitzender von BASF, unter anderem im Hinblick auf den Energiemarkt. "Ein Schwachpunkt ist außerdem die Infrastruktur, vor allem im Energiebereich." Auch 40 Prozent der Umfrageteilnehmer bewerten diesen Bereich als schlecht oder sehr schlecht. Im Vergleich zu den Vorjahren kann dennoch ein positiver Trend in diesem Punkt verzeichnet werden, selbst wenn der Aus- und Neubau der Infrastruktur den meisten noch zu langsam vorangeht.

Auch in weiteren Punkten treffen die Aktivitäten der öffentlichen Stellen auf mehr Kritik als Zuspruch. So sind mit der Steuerbelastung zwar 22 Prozent der Befragten zufrieden, 32 Prozent bezeichnen sie aber als übermäßig. Bei der Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik sowie der Bekämpfung von Korruption und Kriminalität ist die Stimmenverteilung etwas ausgeglichener (24 Prozent gut oder sehr gut; 28 Prozent schlecht oder sehr schlecht). Dies sichert Polen bei beiden Kriterien den zweiten Platz im regionalen Vergleich, alleine Estland schneidet besser ab.

Hinter Estland und Litauen wird Polen in Bezug auf die Rechtssicherheit eingestuft: Die positiven und negativen Beurteilungen halten sich mit jeweils knapp 30 Prozent in diesem Fall die Waage. Ähnlich gestaltet sich die Situation bei der Bewertung des Zugangs zu öffentlichen Fördermitteln.

Das beste Ergebnis bei den öffentlichen Faktoren erzielt Polen bei der politischen und sozialen Stabilität. Zwar kommt das Land mit 54 Prozent positiver Noten nicht ganz an Estland heran, jedoch wurden nirgendwo anders so wenige negative Bewertungen abgegeben: Lediglich 10 Prozent der Befragten beurteilen dieses Kriterium schlecht oder sehr schlecht.

 

Akademische Bildung gut - Schwächen bei Berufsbildung

 

Polens größte Stärke ist und bleibt jedoch das menschliche Kapital. Kein anderes Land der befragten Region kann so viele Fachkräfte anbieten: Ihre Verfügbarkeit wird von 47 Prozent der Umfrageteilnehmer als gut oder sehr gut eingestuft. Im Schnitt kommen die 16 Länder auf lediglich 28 Prozent positive Bewertungen. Noch besser gestaltet sich die Beurteilung der Qualifikationen der Arbeitnehmer, mit denen 71 Prozent der Befragten in Polen zufrieden oder sehr zufrieden sind, 20 Prozentpunkte mehr als im MOE-Durchschnitt.

In keinem anderen Land konnte auch die Qualität der akademischen Ausbildung mehr Zuspruch (65 Prozent) sammeln. Wesentlich schlechter schneidet die Berufsbildung ab, von der nur 26 Prozent überzeugt sind. Ein Problem der ganzen Region, wie Polens dritter Platz beweist.

Das Problem liegt vor allem in mangelnder Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen mit dem Unternehmertum: "In unserem Tätigkeitsfeld sind Mitarbeiter die Grundlage. Nach Abschluss der Ausbildung sind sie aber nicht an die Marktbedürfnisse angepasst. Es müssen engere Verbindungen zwischen Schulen und Universitäten und dem Business aufgebaut werden", postuliert Janusz Skrudlik.

An einer Verbesserung der Lage arbeitet auch die AHK Polen zielstrebig. Sie begleitet bereits mehrere Berufsbildungsprojekte nach dem Vorbild des deutschen dualen Systems im ganzen Land. Auf ihre Hilfe greifen gerne große deutsche Konzerne zurück, darunter Bosch, Häring, Hochland oder MAN.

Die Arbeitskräfte stellen aber nicht den einzigen Vorteil Polens dar. Auch die Qualität und Verfügbarkeit lokaler Zulieferer wird von knapp 50 Prozent der Umfrageteilnehmer als gut oder sehr gut eingeschätzt. Lediglich 8 Prozent sehen in dieser Hinsicht Nachholbedarf - weniger als die Hälfte des Regionaldurchschnitts. Zudem ist die polnische Zahlungsmoral die Viertbeste unter den berücksichtigten Ländern und wird von nur 26 Prozent der hier angesiedelten Unternehmer bemängelt.

 

Hohe Attraktivität als Investitionsstandort

 

Auch wenn Polen nicht in allen Kriterien voll überzeugen kann, stellen die über 1.600 Teilnehmer der Konjunkturumfrage dem Land die beste Endnote aus. Zum ersten Mal, seit die Erhebung stattfindet, konnte der größte Staat der Region das oberste Treppchen erklimmen.

"2007 lag Polen noch auf dem neunten Rang. Seit dieser Zeit hat das Land aber eigentlich in allen Kriterien nachgelegt. Insofern ist die Spitzenplatzierung gerechtfertigt und wir sind zuversichtlich, dass sie auch in den nächsten Jahren erreicht wird", versichert Michael Kern, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der AHK Polen. Dem stimmt auch Elvermann zu: "Polen verfügt über einen großen Binnenmarkt, ist ein Hub für ganz Europa und bietet gutqualifizierte und motivierte Arbeitskräfte. Zudem bietet es Potenzial, das während der Standortentscheidung zu unserem Katalysatorenwerk in Sroda Slaska mitausschlaggebend war. Bei unserer Tätigkeit müssen wir schließlich nicht nur für Heute, sondern vor allem für Morgen und Übermorgen planen."

Janusz Reiter glaubt Polen in einer einzigartig guten Lage: "Polen wird sehr gut in der ausländischen Presse dargestellt - vor allem in Deutschland. Unsere beiden Länder verbindet mehr als alle anderen EU-Mitglieder. Wir müssen den Schwung nutzen und daran arbeiten, die Vorteile zu festigen und auszubauen." In der Zukunft sollte deswegen das Wachstum vor allem organisch geschehen: "Die großen Investoren sind bereits in Polen. Jetzt müssen Erweiterungen folgen und darauf sollte der Staat besonders hinarbeiten: Es müssen entsprechende Rahmen geschaffen und ein stabiles Umfeld gewährleistet werden", gibt Michael Kern zu bedenken, und fügt hinzu, dass weiteres Potenzial zudem im KMU-Sektor schlummert.

Die Investitionsstatistiken vom letzten Jahr stimmen in dieser Hinsicht nicht besonders optimistisch. Die Polnische Nationalbank errechnete, dass deren Zufluss 2012 lediglich 2,9 Milliarden Euro betrug. Allerdings muss hier auf den starken negativen Einfluss des Transferkapitals hingewiesen werden. Die Polnische Agentur für Information und Auslandsinvestitionen (PAIiIZ) geht davon aus, dass ausländische Investitionen unter Ausschluss dieses Faktors ein Niveau von 9 bis 10 Milliarden Euro erreicht haben könnten. Die Agentur selbst bedient aktuell 156 Investitionsprojekte mit einem Gesamtwert von 3,9 Milliarden Euro.

Mit 20 laufenden Projekten im Wert von 483 Millionen Euro ordnen sich deutsche Unternehmen auf den zweiten Rang der größten potentiellen Investoren ein und müssen nur den USA Vortritt gewähren (43 Projekte). Die PAIiIZ konnte in diesem Jahr bereits 20 Investitionsprojekte im Wert von 510 Millionen Euro abschließen, die insgesamt 5.202 Arbeitsplätze schufen.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, gtai.de, 06.06.2013