Berufliche Bildung rückt in arabischen Golfstaaten immer stärker in den Fokus

Die arabischen Golfstaaten investieren weiter massiv in die Bildung. In den Fokus rückt dabei immer stärker die berufliche Ausbildung. Sie befindet sich vielfach noch im Aufbau. Für deutsche Branchenunternehmen eröffnen sich insbesondere in Saudi-Arabien interessante geschäftliche Chancen.

 

Der Bildungssektor in den Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) bleibt auf Wachstumskurs. Das ist das Fazit eines Branchenreports, den jetzt die Investmentbank Alpen Capital vorgelegt hat. Danach wird die Zahl der Studenten und Schüler in der Region von 10,2 Millionen im Jahr 2011 auf 11,6 Millionen im Jahr 2016 zunehmen, was einer jährlichen Wachstumsrate von 2,7 Prozent entspricht. Hauptgrund für diesen Anstieg sei das Bevölkerungswachstum in den GCC-Staaten.

 

Dem Report zufolge wächst die Zahl der Schüler in den einzelnen Schulformen unterschiedlich stark. Das höchste Wachstum (11,2 Prozent) wird im Bereich der Vorschulerziehung erwartet. Es folgt der tertiäre Bereich (Berufsausbildung und Unterricht an Hochschulen) mit einem Zuwachs von jährlich 4,6 Prozent. In der "Primary Education" (Grundschule) wächst die Zahl der Schüler um jährlich 1,7 Prozent. Das geringste Wachstum wird mit 1,6 Prozent in der "Secondary Education" erwartet, die der Sekundarstufe I und II in Deutschland entspricht. Auf diesen Bereich entfielen im Jahr 2011 etwa 83 Prozent aller Schüler und Studenten am Golf.

 

Der Report von Alpen Capital skizziert eine Reihe von Trends, die den Bildungssektor in den GCC-Staaten auszeichnen. So schicken immer mehr Eltern ihre Kinder auf private Schulen, weil dort die Qualität der Bildung höher sei als an privaten Schulen. Auch nimmt aufgrund der wachsenden Zahl der in den Golfstaaten lebenden Ausländer die Zahl der privaten internationalen Schulen ständig zu.

 

Als größte Herausforderung des Bildungssektors wird der ausgesprochene Mangel an qualifizierten Lehrern genannt. Vor allem für die Betreiber privater Schulen stellt dies ein potenziell großes Problem dar. Beklagt wird zudem die im internationalen Vergleich geringe Beteiligung junger Menschen an der tertiären Bildung, also an der Berufsausbildung und an dem Unterricht an Hochschulen. Der Grund hierfür bestehe darin, dass die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten nicht den Erfordernissen des Arbeitsmarktes entsprächen. Viele junge Menschen studieren daher im Ausland.

 

In den GCC-Staaten sei daher, so Alpen Capital, in der jüngeren Vergangenheit die technische und berufliche Ausbildung in den Vordergrund gerückt. Die Länder hätten erkannt, dass entsprechende und qualitativ gute Angebote nachhaltig dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Es gebe daher in der Region ein wachsendes Interesse an einer Zusammenarbeit mit ausländischen Institutionen und Firmen in diesem Bereich. Beispielsweise habe Saudi-Arabien in Kooperation mit privaten Firmen und ausländischen Institutionen eine Reihe von Berufsbildungszentren etabliert.

 

Tatsächlich steht der Bildungssektor in dem bevölkerungsreichsten Land der arabischen Halbinsel vor großen Veränderungen und Herausforderungen. Das hat eine Anfang diesen Jahres veröffentlichte Studie von iMOVE, der Initiative des Bundesbildungsministeriums für den Bildungsexport, eindrucksvoll belegt.

 

Der Studie zufolge sind mehr als 50 Prozent der saudi-arabischen Bevölkerung im Alter von unter 16 Jahren. Jedes Jahr drängen über 430.000 Schulabgängerinnen und -abgänger und Hochschulabsolventinnen und -absolventen auf den Arbeitsmarkt.

 

Bei Absolventinnen und Absolventen von Hochschulen und technischen Ausbildungsgängen wird dabei oftmals eine ungenügende Eignung für die tatsächlichen Anforderungen des Arbeitsmarktes bemängelt. Über 50 Prozent der registrierten Arbeitslosen haben zudem lediglich eine Schulbildung genossen. Deswegen ist in technischen Berufen der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte in dem Königreich mit 95 Prozent sehr hoch.

 

Laut iMOVE wirkt die saudische Regierung mit einem umfangreichen Weiterbildungsprogramm für die heimische Bevölkerung dieser Situation entgegen. So sind im Staatshaushalt für das Jahr 2012 45 Milliarden US-Dollar für die Bildung und Qualifikation reserviert. Die Bildungsausgaben machen damit 24 Prozent des gesamten Budgets aus.

 

Doch reichen die Kapazitäten der öffentlichen Weiterbildungseinrichtungen derzeit noch nicht aus, um eine hohe Zahl von Studierenden aufzunehmen und auszubilden. Den Angaben zufolge finden lediglich 32 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber für öffentliche Aus- und Weiterbildungsprogramme einen Platz in den staatlichen Einrichtungen.

 

Ein wichtiger Player in der Berufsausbildung des Königreiches ist laut iMOVE die staatliche "Technical and Vocational Training Corporation" (TVTC). Ihr Fokus liegt auf generellen Trainings und On-the-Job-Schulungen. Das erklärte Ziel der TVTC ist es, die privaten Unternehmen, die von diesen Maßnahmen profitieren, einzubeziehen. Die Institution fördert entsprechend auch Investitionen in diesem Bereich.

 

Die berufliche Bildung findet in staatlichen und privaten Institutionen statt. Die Industrial Vocational Institutes bieten dreijährige Kurse mit einem Abschluss an, der dem Abschluss der Secondary School entspricht.

 

Die TVTC ist aktuell federführend beim Aufbau neuer Bildungszentren. Im gesamten Königreich sollen 55 neue Technical Colleges, 39 Technical Higher Institutes sowie 150 neue Industrial Vocational Institutes entstehen.

 

In diesem Zusammenhang gibt es laut iMOVE eine Nachfrage nach sämtlichen Produkten und Leistungen der beruflichen Bildung – von der Ausstattung bis zum Betrieb und Management der Bildungszentren. Auch sollen vier weitere Technical Trainers Colleges (TTC) zur Ausbildung von Berufsschullehrkräften nach dem Vorbild des bereits von der deutschen GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) betriebenen TTC in Riad entstehen.

 

Für ausländische Bildungsanbieter eröffnet der hohe Bedarf an beruflicher Bildung in Saudi-Arabien interessante geschäftliche Chancen. Laut iMOVE-Studie sind Aktivitäten deutscher Firmen in dem Königreich im Vergleich zu den internationalen Wettbewerbern noch relativ neu. Dagegen sind amerikanische und englische Anbieter bereits seit 15 bis 30 Jahren in dem Markt aktiv und haben eine Vielzahl von Trainingsinstituten ausgestattet.

 

Saudi-Arabien ist der mit Abstand bedeutendste Bildungsmarkt in den GCC-Staaten, was sich schon an der Zahl der Schüler und Studenten ablesen lässt. Sie belief sich laut Alpen Capital im Jahr 2011 auf rund 7,5 Millionen junge Menschen. Der Anteil an allen Schülern und Studenten in den GCC-Staaten lag damit bei etwa 73 Prozent. Gleichwohl verfolgen auch die anderen Golfstaaten das Ziel, ihre Berufsbildungssysteme auszubauen und zu erneuern.

 

Für deutsche Anbieter eröffnen sich auch dort geschäftliche Möglichkeiten. Beispielsweise sind in Bahrain die Unternehmen daran interessiert, in den Bereichen Maschinenbau sowie Umwelt- und Chemietechnik das deutsche Berufsbildungssystem einzuführen.

 

Überall in der arabischen Welt hat sich herumgesprochen, dass das duale deutsche System, das betriebliche und schulische Ausbildung verbindet, weltweit führend ist. Im Wettbewerb um Aufträge ist dies ein nicht zu unterschätzendes Verkaufsargument.


Quelle: SOUQ, Das Ghorfa - Wirtschaftsmagazin, Ausgabe 3/2012