Polen: Arbeitnehmer wollen mehr Fortbildung

Außergehaltliche Leistungen zur Mitarbeiterbindung werden in Polen immer wichtiger. Die Arbeitgeber aber zögern, da Arbeitszeitbefreiung und Schulungsurlaub bei Fortbildungen obligatorisch sind.

Die Motivation der Mitarbeiter sehen Experten des Online-Rekrutierungsportals Pracuj.pl in diesem Jahr als eine der größten Herausforderungen für Personalabteilungen polnischer Firmen an. Nach einer gemeinsamen Untersuchung des Personaldienstleisters Randstad und dem Meinungsforschungsinstitut TNS OBOP gaben indes 51 Prozent der Probanden an, nichts zur Mitarbeiterbindung zu unternehmen - so eines der alarmierenden Fazits in einem Arbeitsmarkt-Seminar in Warschau Ende Juni 2011.

22 Prozent der 300 von Randstad und TNS OBOP befragten Unternehmen boten im 1. Halbjahr 2011 ihren Mitarbeitern berufliche Schulungen und Fortbildungskurse an und 20 Prozent beziehungsweise 17 Prozent höhere Gehälter und Prämien. 11 Prozent gewährten weitere Zusatzleistungen wie zum Beispiel eine private medizinische Gesundheitsversorgung, 10 Prozent Einmalzahlungen.

Das gemeinsam von der Treuhandgesellschaft Intergest und der Polnisch-Schweizerischen Wirtschaftskammer organisierte Seminar brachte noch weitere interessante Ergebnisse zutage. Etwa den hohen Bedarf an Projektmanagern im Land an der Weichsel. Zwar werden - ähnlich wie im übrigen Europa - in Polen vor allem qualifizierte Fach-, Industriearbeiter und Handwerker gesucht. Gleich an zweiter Stelle aber folgen Projektmanager, die im kontinentalen Maßstab unter den zehn "most wanted" gar nicht auftauchen. Auf den weiteren Plätzen der in Polen meistgesuchten Arbeitskräfte folgen Küchenchefs, Kraftfahrer und Mitarbeiter für Sekretariats- und Verwaltungsaufgaben. Das geht aus einer Erhebung des Personaldienstleisters Manpower hervor.

Mitarbeiter mit zwei- bis dreijähriger Berufserfahrung lassen sich nach Untersuchungen der Unternehmensberatung Towers Perrin am besten durch Karriereperspektiven, die Übertragung interessanter Aufgaben und die Möglichkeit des Erzielens persönlicher Erfolge motivieren. Im Gegensatz dazu zählten für Beschäftigte mit mindestens fünfjähriger Berufserfahrung in erster Linie ein attraktives Gehalt, zusätzliche finanzielle Anreize und "reelle" Aufstiegsmöglichkeiten.

Betriebliche Altersvorsorgeprogramme gab es im vergangenen Jahr in Polen gerade einmal gut 1.100, ihre Zahl hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. An ihnen nahmen rund 342.000 Mitarbeiter teil. Untersuchungen zufolge wollen nur 5 bis 10 Prozent der Unternehmen, die noch über keine entsprechenden Programme verfügen, überhaupt welche gründen. Die Weiterführung eines betrieblichen Altersvorsorgevertrags bei einem neuen Arbeitgeber ist in Polen nach einem Jobwechsel nicht möglich.

Die Finanzkrise hat viele Unternehmen dazu gezwungen, ihre Lohnanreiz- und materiellen Motivationssysteme neu zu überdenken. Allgemein überwiegt die Tendenz, den Anteil der Grundbezüge am Gesamtgehalt zu senken, andererseits erfolgsabhängige Komponenten mit klar definierten, leistungsbezogenen Zielen (Performance pay) auszubauen.

Zu den populärsten Gehaltsnebenleistungen für Fachkräfte und Spezialisten zählen die private Nutzung von Mobiltelefonen und Laptops sowie die kostenlose Nutzung privater medizinischer Einrichtungen. Einige Arbeitgeber übernehmen für sie auch die Kosten für Sport- und Freizeitaktivitäten. Boni über zwei-/dreijährige Zeiträume (Retention bonus) sind weitgehend für besonders wichtige Manager in Schlüsselpositionen reserviert.

Trotz hoher EU-Fördersummen für Maßnahmen zur Qualifizierung und Weiterbildung und relativ hoher Nachfrage seitens der Mitarbeiter bieten laut Befragungen nur 10 bis 15 Prozent der Unternehmen solche an (Tendenz leicht steigend). Auch Studienfinanzierungen sind im landesweiten Maßstab eher die Ausnahme.

Einen der Hauptgründe hierfür sehen Fachleute darin, dass Arbeitgeber, die auf eigene Initiative ihre Mitarbeiter fortbilden wollen oder einem solchen Gesuch seitens des Arbeitnehmers zustimmen, Letzterem für die Teilnahme am Unterricht Arbeitszeitbefreiung sowie Schulungsurlaub gewähren müssen. Das schreibt die Novelle des Arbeitsgesetzbuches vom 20.05.2010 (veröffentlicht im Gesetzblatt Dziennik Ustaw Nummer 105 Position 655) im Falle sämtlicher beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter vor, die nach dem 16.07.2010 begonnen haben. Danach stehen betroffenen Arbeitnehmern zu: 

 

  • sechs Tage bezahlter Urlaub vor Prüfungen, welche die zu erwerbende Qualifikation bestätigen sollen sowie 
  • 21 Tage bezahlter Urlaub im Jahr vor der Diplomprüfung.

 

Der Arbeitgeber kann mit dem Mitarbeiter einen Schulungsvertrag (umowa szkoleniowa) abschließen, der Rechte und Pflichten beider Seiten (zum Beispiel zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers wie die Übernahme von Studiengebühren) aufzählt.

Um einen schnellen Wechsel des betreffenden Mitarbeiters nach abgeschlossener Weiterbildungsmaßnahme zu verhindern, kann der Arbeitgeber eine Klausel in den Vertrag aufnehmen, die besagt, dass der zu fördernde Mitarbeiter die Kosten für seine Fortbildung selbst tragen muss, wenn er das Unternehmen innerhalb einer festzusetzenden Frist nach deren Abschluss verlässt. Die auf diesem Wege getroffenen Festlegungen dürfen für den Arbeitnehmer indes nicht weniger vorteilhaft als gemäß der Bestimmungen des novellierten Artikels 103 des Arbeitsgesetzbuches sein.

Außerdem können beide Seiten im Rahmen einer Vereinbarung (porozumienie) weitere Details der Unterstützungsleistung festlegen, zum Beispiel ob der Arbeitgeber für Schulungszwecke bereit ist, weitere als gesetzlich zustehende Urlaubstage, zum Beispiel ohne Lohnausgleich, zu gewähren. Eine Vereinbarung raten Fachleute insbesondere Arbeitgebern an, die nur in die Weiterbildung ihres Mitarbeiters investieren, aber keine weiteren Kosten tragen wollen und kein "Abarbeiten" für Schulungszwecke verwandter Zeiten verlangen.

Um individuelle Leistungen aus dem Betriebsfonds für Sozialleistungen (Fundusz swiadczen socjalnych), der vom Arbeitgeber gemäß der Vorschriften der Finanzwirtschaft in Form einer jährlichen Abschreibung gebildet wird, in Anspruch zu nehmen, sollte sich der Arbeitgeber immer auf das im Artikel 8 Absatz 1 des zugrunde liegenden Gesetz (Dziennik Ustaw 1994 Nummer 43 Position 163 mit späteren Änderungen) erwähnte soziale Kriterium stützen und nicht etwa die Dauer der Berufstätigkeit des Arbeitnehmers oder Ergebnisse aus dieser (Urteile des Obersten Gerichts vom 20.08.2001, I PKN 579/00, sowie vom 16.08.2005, I PK 12/05). Das Oberste Gericht hat auch entschieden, dass sich das soziale Kriterium nur auf die Gewährung ermäßigter Leistungen gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes bezieht (Urteil vom 23.10.2008, II PK 74/08). Leistungen aus dem Betriebsfonds für Sozialleistungen sind prinzipiell von der Sozialversicherung befreit, unterliegen aber zum Teil der Einkommensteuer.


Quelle: Germany Trade and Invest, Artikel 08.07.2011