Indien möchte die berufliche Bildung stärker fördern

Trotz einer jungen Bevölkerung von 500 Millionen Menschen unter 25 Jahren beklagen indische und ausländische Unternehmen zunehmend den Mangel an Fachkräften. Bis zum Jahr 2022 sollen nun insgesamt 500 Millionen Inder durch berufliche Qualifizierungsmaßnahmen fit für den heimischen, aber auch internationalen Arbeitsmarkt gemacht werden.



Bis 2022 sollen 500 Millionen Menschen ausgebildet werden / Stärkere Einbindung der Betriebe geplant

Autor: Boris Alex

Trotz einer jungen Bevölkerung von 500 Millionen Menschen unter 25 Jahren beklagen indische und ausländische Unternehmen zunehmend den Mangel an Fachkräften. Die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern aus technischen Berufen stellt eine immer größere Herausforderung für die Firmen dar, denn in Indien werden viel zu wenig Menschen ausgebildet. Nun will die Regierung mit Hilfe der Privatwirtschaft die veralteten Lehrstätten modernisieren und erweitern - und ist dabei auch auf ausländisches Know-how angewiesen.

Nicht nur die Suche nach qualifizierten Hochschulabsolventen bereitet den in- und ausländischen Unternehmen in Indien zunehmend Schwierigkeiten. Vor allem der Mangel an ausgebildeten Fachkräften aus traditionellen Handwerks- und Lehrberufen stellt ein Problem dar. Der Subkontinent hat jahrzehntelang den Ausbau und die Modernisierung seiner beruflichen Bildungseinrichtungen vernachlässigt. Die Personalberatung Manpower schätzt, dass nur 3 Prozent aller Erwerbstätigen eine berufliche Ausbildung haben. Trotz einer Milliardenbevölkerung herrscht akuter Fachkräftemangel.

Nach Angaben der Confederation of Indian Industries (CII) kommen derzeit nur etwa 1 Million der insgesamt 13 Millionen Menschen, die jedes Jahr auf den indischen Arbeitsmarkt drängen, in den Genuss beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen. Weitere 2 Millionen Inder werden an den Universitäten und Colleges des Landes in akademischen Berufen ausgebildet. Angesichts eines jährlichen Bedarfs von rund 15 Millionen Fachkräften - insbesondere im Dienstleistungssektor, der verarbeitenden Industrie und der Baubranche - noch viel zu wenige. Nur 5 Prozent der 20- bis 24-jährigen Erwerbstätigen haben laut CII eine Berufsausbildung erhalten.

Die indische Regierung versucht nun gegenzusteuern und hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2022 sollen insgesamt 500 Millionen Inder durch berufliche Qualifizierungsmaßnahmen fit für den heimischen, aber auch internationalen Arbeitsmarkt gemacht werden. Die Industrieländer dürften langfristig die Nachfrage nach Fachkräften - insbesondere im Dienstleistungssektor - nicht mehr mit einheimischem Personal decken können. Prognosen zufolge werden 2020 weltweit rund 50 Millionen Arbeitskräfte fehlen, und Indien hofft, diese Lücke durch den Export von qualifiziertem Personal schließen zu können.

Die Finanzierung des milliardenschweren Mammutprojektes soll mit Unterstützung der indischen Wirtschaft gestemmt werden, so die Pläne der Regierung. Im Mittelpunkt steht die Modernisierung und Erweiterung der rund 7.000 "Industrial Training Institutes" (ITI) und "Industrial Training Centres" (ITC), dem indischen Äquivalent zu den Berufsschulen. Hier sollen eigentlich die Fachkräfte für Wachstumsbrachen wie die Karftfahrzeug- und Zulieferindustrie, der Metallverarbeitung, dem Bausektor oder der Chemieindustrie ausgebildet werden. Doch die Einrichtungen sind völlig veraltet, und die Ausbildungspläne gehen nach Einschätzung von Experten an den Bedürfnissen der Wirtschaft vorbei.

Kein Wunder, denn bislang ist die berufliche Bildung in Indien Sache des Staates und nicht der Unternehmen. Für die meisten Firmen wird die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter als Kostenfaktor angesehen und nicht als Investition. Entsprechend zurückhaltend waren die Betriebe bislang bei einer stärkeren Beteiligung an den ITI und anderen Qualifizierungseinrichtungen. Doch die indische Regierung möchte die Wirtschaft stärker in die Verantwortung nehmen - denn schließlich kommen die Fachkräfte auch den Unternehmen zugute.

Beispielsweise sollen in den kommenden Jahren 500 neue ITI in Form von Public Private Partnership (PPP) gemeinsam mit der indischen Wirtschaft eingerichtet werden. Allein hierfür wird die Regierung in den nächsten Jahren rund 14 Millarden indische Rupien (iR; circa 201 Millionen Euro; 1 Euro = 69,53 iR) bereitstellen. Zudem sollen die bestehenden ITI und ITC in den kommenden Jahren sukzessive modernisiert werden. Laut Ministry of Human Resource Development wurden bislang 1.900 Einrichtungen für rund 60 Millarden iR aufgerüstet.

Durch die engere Kooperation mit Vertretern aus der Industrie soll sich der Standard der beruflichen Bildung erhöhen und die Auszubildenden besser auf die Aufgaben in den Unternehmen vorbereitet werden, so die Hoffnung seitens der Regierung. Aufgrund fehlender Strukturen fangen die Bildungseinrichtungen praktisch bei Null an. Zunächst müssen die Bedürfnisse der Wirtschaft identifiziert werden, dann entsprechende Lehrpläne erarbeitet und anschließend die Ausbilder geschult werden. Am Ende dieses Prozesses sollen indienweit einheitliche Standards bei der beruflichen Ausbildung stehen. Zudem soll - wie in Deutschland und anderen Staaten auch - der Großteil der Kosten von der Wirtschaft und nicht vom Steuerzahler getragen werden.

Dabei ist das südasiatische Land auch auf ausländische Know-how angewiesen. Deutschland steht über die iMOVE-Initiative des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit Regierungsvertretern und Wirtschaftsverbänden Indiens in engem Kontakt. Aber auch andere Länder wie die Schweiz, Großbritannien und Kanada sind auf dem Subkontinent aktiv und möchten ihre Dienstleistungen rund um die berufliche Ausbildung "exportieren".

Die Beteiligungschancen sind dabei vielfältig: Angefangen bei der Ausstattung von ITI und ITC mit Lehrmaterialien und -maschinen, die das Erlernen eines Handwerksberufes erst möglich machen, über die Entwicklung von Lehr- und Ausbildungsplänen bis hin zum "Train the Trainer". Auch für deutsche Unternehmen aus dem Aus- und Weiterbildungssektor dürfte Indien daher in den kommenden Jahren interessante Geschäftschancen eröffnen.

Quelle: Bericht der gtai - Germany Trade and Invest vom 09.11.2009