Deutsche Standards in der arabischen Wüste

Maryam ist Praktikantin in einer Dattelfabrik und bald Managerin. Ein deutsches Projekt in Abu Dhabi bildet die jungen Leute aus. Gerade die weiblichen Schülerinnen nehmen ihre Chancen hochmotiviert wahr. Manchmal gegen den Willen ihrer Familien.

Am Abend streift sich Ahmad wieder die traditionelle Kleidung der Golfaraber über, die blütenweiße Dishdasha. Denn vier Wochen kleidet den 19 Jahre alten Berufsfachschüler tagsüber von 9 Uhr bis 16 Uhr der ungewohnte blaue Overall. Ahmad besucht in der Wüstenstadt Madinat Zayed 100 Kilometer westlich von Abu Dhabi das "Vocational Education and Training Institute" (VETI), das die deutsche "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" (GTZ) im September 2008 eröffnet hat und seither betreibt. Es sieht im vierten der sechs Semester ein Praktikum vor. Ahmad, der zum Industriemechatroniker ausgebildet wird, macht dies in der Dattelfabrik al Foah seiner Heimstadt Mirfa.

Gerade beugt er sich über eine Wasserpumpe, die er gemeinsam mit Hassan, einem Techniker der Fabrik, repariert. Danach steht die Reparatur eines elektrischen Geräts an, und bevor er die Dishdasha überstreift, schreibt er noch einen Bericht. Gewiss, die Schule sei schöner, lächelt Ahmad und neigt den Kopf leicht zur Seite. Für dieses Praktikum sei er dennoch dankbar. Denn es führe ihn in die wirkliche Welt ein, in der man sich seinen Lebensunterhalt hart erarbeiten müsse. Er lerne, praktisch zu arbeiten und mit anderen zu kommunizieren. Bezahlt werde er durch das Wissen, das er von hier mitnehme. Ahmad hat bereits einen großen Schritt nach vorne gemacht. Andere Emiratis geben sich damit zufrieden, mit einem goldenen Löffel im Mund geboren zu sein.

Mit Bürgern vieler Staaten arbeitet Ahmad zusammen. Außerhalb der Monate, in denen die Datteln geerntet werden, beschäftigt die Dattelfabrik - sie ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten die größte ihrer Art - 300 Arbeitnehmer. Nur ein Dutzend sind Emiratis wie Ahmad. Die Regierung des Emirats Abu Dhabi verfolgt daher eine Politik der Emiratisierung, um den Anteil der einheimischen Bevölkerung an der Erwerbsbevölkerung zu erhöhen.

Jeder zweite Einwohner der Emirate ist 18 Jahre oder jünger

Deshalb hat sie die GTZ beauftragt, in der Wüstenstadt Madinat Zayed und der Oase al Ain zwei Zentren für die berufliche Aus- und Weiterbildung einzurichten sowie bedarfsgerechte Curricula für die Emiratis zu entwickeln, aber auf der Grundlage deutscher Ausbildungs- und Industriestandards. Der Vertrag läuft zunächst bis Sommer 2011. Ziel sei, den Arbeitsmarkt zu bedienen und nicht einen zweiten Bildungsweg zu schaffen, sagt Uwe Munzert, der Direktor der Schule in Madinat Zayed. Denn jeder zweite Einwohner der Vereinigten Arabischen Emirate ist 18 Jahre und jünger. Jeder dritte Schüler verlässt aber die Schule vor dem Abschluss der zwölften Klasse. Bei den Schülerinnen ist es nur jede siebte. Im Büro neben Ahmads Werkstatt arbeitet Maryam am Computer. Sie wird zur technischen Zeichnerin ausgebildet und erstellt die ersten genauen Pläne der 1992 gebauten Fabrik. Die praktischen Erfahrungen werden ihr im nächsten Jahr helfen, sagt sie strebsam. In der Fabrik arbeiten Ahmad und Maryam Seite an Seite. Maryam bedeckt ihr Gesicht nicht durch einen Schleier. In der Schule sei es für die Mädchen aber angenehmer, wenn die Geschlechter getrennt seien, sagt Maryam etwas schüchtern. In dieser konservativen Region sei es eben so Tradition, fügt Ahmad hinzu. Das Schulgebäude in Madinat Zayed ist daher in zwei völlig voneinander getrennte Hälften geteilt. Die hohen Zäune schließen jeglichen Blickkontakt aus. Separat werden die 146 Mädchen und 51 Jungs der ersten zwei Jahrgangsstufen unterrichtet. Dazu sind 29 Lehrer erforderlich. Nur drei von ihnen sind Emiratis. Die meisten aber sind Deutsche, unter ihnen ein pensionierter Ausbildungsleiter von Daimler in Stuttgart. Wählen können sie aus den Fächern Informationstechnologie, angewandtes Management, Design, industrielle Technologie und medizinische Versorgung. Unterrichtssprache ist Englisch. Die 21 Labors und Ausbildungsstätten sind mit deutscher Technik und nach deutschen Standards ausgestattet. Mehr als ein Drittel der Schüler hat sich für das Fach industrielle Technologie entschieden, will also technischer Zeichner werden, Industriemechatroniker oder Materialprüfer. Mit einem Diplom der Schule könne ein Absolvent sich um einen Arbeitsplatz bewerben, an die Universität wechseln oder selbständig werden, sagt Munzert.

Die einzige Chance zur Weiterqualifizierung

Die Berufsfachschule bietet den Schülern der Region al Gharbiya, die 80 Prozent der Fläche des Emirats Abu Dhabi umfasst, aber fast ausschließlich aus Wüste besteht, erstmals eine Gelegenheit einer Ausbildung jenseits der Schulpflicht von zwölf Jahren. Für viele Jugendliche ist sie die einzige Chance zur Weiterqualifizierung, vor allem für Mädchen. Hanna, 22 Jahre, hatte dennoch ihrer Familie in langen Diskussionen die Zustimmung abzuringen, die Berufsfachschule am Wohnort der Familie zu besuchen. Nun studiert sie im zweiten Semester angewandtes Management und dort den Zweig "Veranstaltungsmanagement". Hier könne sie sich weiterbilden, und das sogar praxisnah, freut sie sich.

Hanna ist in ihrer Klasse die Sprecherin der Gruppe der "Pirateninsel". Sie trägt gerade einen Zweikampf mit vier Studentinnen der "Insel al Dhabi" aus. Beide Gruppen waren gerade in Abu Dhabi und haben sich von der TDIC, die die Museumsinsel Saadiyat baut, in die Planung großer Projekte einführen lassen. Wie die künftigen Vermarkterinnen ihrer Heimat treten sie nun gegeneinander an, aufgeweckt und selbstbewusst preisen sie in Englisch ihr Produkt an. Ihre schwarzen Abbayas sind farbig bestickt, nicht mehr nur öde schwarz, und sie lassen ihr Gesicht frei. In nur zwei Tagen hatten sie von null aus bunte Power-Point-Präsentationen in einer Fremdsprache entwickelt. Ihre Mütter waren noch Analphabeten.

Maryam, die Sprecherin der Gegengruppe, will nach dem dritten Jahr auf die Universität in Abu Dhabi wechseln. Ihre Mitstreiterin Raudha, bereits 30 Jahre alt und Mutter von fünf Kindern, plant indes die Gründung eines eigenen Unternehmens. In der Region gebe es kein einziges Fitnessstudio für Frauen, sagt sie. Und sie sei ja so glücklich, dass sie zu Hause keinen Konflikt austragen müsse. Denn ihr Mann fördere den Besuch der Berufsfachschule und unterstütze sie bei der Gründung eines Unternehmens.

Das Projekt nutzt dem Emirat Abu Dhabi, und es belastet den deutschen Steuerzahler nicht. Auftraggeber und Financier ist die Schulbehörde des Emirats Abu Dhabi, das "Abu Dhabi Education Council". Es hatte im April 2008 den Geschäftsbereich International Services der GTZ beauftragt, die zwei berufsbildenden Institute aufzubauen. "Die Gewinne aus den Projekten der GTZ International Services fließen in eine Risikorücklage und in einen Fonds für gemeinnützige Projekte", sagt Jürgen Koch, der Büroleiter der GTZ in Abu Dhabi für die Golfregion. Von dort aus betreut er in fünf der sechs Staaten des Golfkooperationsrats (GCC) kommerzielle Projekte der GTZ. In vielen steht die Qualifizierung der einheimischen Bevölkerung im Vordergrund.

•Von Rainer Hermann

Quelle: Artikel Internetportal Frankfurter Allgemeine faz.net, 14.09.2010